Zeit des Zweifels. Hannelore Veit
genannt.
„Ich kann Ihnen sagen, um was es da in Wirklichkeit geht“, flüstert mir eine sehr hochrangige Person zu, die in das Projekt an maßgeblicher Stelle involviert ist. „Es gibt da bestimmte Stellen in diesem Gebäude …“ OK, an diesem Punkt zitiere ich nicht wörtlich, was mir diese Person gesagt hat. Sie will es auch nirgendwo öffentlich so genau erörtert haben. Aber es gibt Punkte am PHS-Gebäude, an denen eine geringe Gewalteinwirkung genügen könnte, um den ganzen Bau sofort wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen zu lassen. Mit einer Opferzahl, die sich auf mehr als tausend Personen belaufen könnte. „Wäre es nicht möglich, den alten Bau zu verstärken und die kritischen Stellen zu entschärfen?“, wende ich ein. „Das wäre möglich“, sagt meine Kontaktperson. „Aber es wäre teurer, als das Ganze noch einmal – und so terrorsicher wie möglich – neu zu bauen.“
Einstweilen behilft man sich mit riesigen Blumenkästen aus Stahl, die die Zufahrtstraßen zum so leicht zu gefährdenden Gebäude blockieren. Neu sind auch die kleinen Wärterhäuschen neben den Blumenkästen, in denen ein Wachposten alle kritisch beäugt, die zu Fuß um diese Barrieren herumgehen.
Der Druck, unter dem Gesichtspunkt möglicher Bedrohungen vor vielen Jahren Gebautes neu zu überdenken, begegnet einem in Brüssel auf Schritt und Tritt. Beim Hauptquartier der EU-Kommission, dem Berlaymont-Gebäude, wurde vor Kurzem nach langer Bauzeit in der Nähe des Haupteinganges ein nicht besonders auffälliger Pavillon aus Stahl und Glas fertiggestellt. Ein „Willkommenszentrum“, wie es offiziell heißt. Aber der wahre Zweck dieses Gebäudes ist ein anderer. Hier sollen in Zukunft die Sicherheitskontrollen stattfinden, für die bisher im Berlaymont selbst eine Schleuse gedient hat – an einem Punkt, der sich schon ziemlich nahe am „VIP-Corner“ befindet, wo Staatsgäste aus aller Welt das Haus betreten. Sollte also in Zukunft etwa jemand mit einer Bombe Zugang zum Berlaymont suchen, so sollte er – den Postulaten der neuen Sicherheitsarchitektur zufolge – schon im „Willkommenszentrum“ aufgehalten werden. Und sollte er die Bombe zünden können, so würde nur dieses kleine Gebäude in die Luft fliegen und nicht das Berlaymont selbst, wo zu normalen Zeiten Tausende EU-Beamte ihren Dienst versehen.
Bei allem, was gebaut wird, auch an mögliche Gefahren für die Sicherheit zu denken, das legt die EU-Kommission neuerdings allen Verantwortlichen besonders ans Herz. „Es geht um ‚security by design‘“, sagt mir Ylva Johansson, die EU-Innenkommissarin, an einem kalten Dezembertag vor dem Berlaymont-Gebäude. Alle Bauten, alle Verkehrswege, alle Teile der städtischen Infrastruktur sollten auf ihre Sicherheitstauglichkeit überprüft werden. Und da gehe es zunächst einmal um die wichtigsten Nervenzentren einer Stadt von heute, wie etwa Wasserwerke, Stromverteiler oder Einkaufsstraßen. Als besonders gefährdet stuft die EU-Kommissarin in ihren Empfehlungen aber auch Gotteshäuser ein – Kirchen, Moscheen, Synagogen. „Schauen Sie sich das Beispiel von Halle an“, meint Ylva Johansson. Im Oktober des Jahres 2019 hatte ein Rechtsextremist versucht, in die Synagoge der Stadt Halle im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt einzudringen und dort ein Massaker zu verüben. „Was damals sehr viele Menschen geschützt hat, das waren eine verstärkte Eingangstür und eine Klingel mit Sprechanlage. Das meinen wir, wenn wir von eingebauter Sicherheit reden“, sagt die EU-Kommissarin. Es war dem Täter damals nicht gelungen, in die Synagoge einzudringen. Frustriert begann er, vor dem Gebäude um sich zu schießen. Auch dort traf er zwei Menschen tödlich. Daran zeigt sich auch ein gewisser Zwiespalt, wenn es um die mitgedachte und mitgebaute Sicherheit geht. Es kann oft gar nicht darum gehen, zu verhindern, dass Menschen zu Schaden kommen. Wer zu einer Tat entschlossen ist, findet immer ein Ziel. Es geht aber zumindest darum, die Auswirkungen einer Tat, wenn sie schon geschieht, so gering wie nur möglich zu halten.
Unscheinbare Bollwerke
Das ist der Zweck, weswegen jetzt überall in Europa neue Barrieren entstehen, an Verkehrswegen, vor wichtigen Plätzen, vor potenziell gefährdeten Gebäuden. Das gibt immer wieder auch Anlass zu Reibereien. Wie etwa das Bundeskanzleramt auf dem Ballhausplatz in Wien vor einem heranrasenden Fahrzeug geschützt werden könnte, darüber wurde jahrelang beraten. Und das, was am Ende dort entstand, hat mit dem, was ursprünglich beabsichtigt war, äußerst wenig zu tun. Metallsäulen, Granitblöcke, das wurde zunächst erwogen und für zu teuer befunden, dann machte man sich an den Bau einer 80 Zentimeter hohen Mauer aus Stahlbeton. Das wiederum nahm die „Kronen Zeitung“ zum Anlass für eine Kampagne gegen den, wie es hieß, teuren und unansehnlichen Mauerbau. Worauf am Ende wieder die Metallsäulen zum Zug kamen und alles, inklusive des Rückbaues der schon begonnenen Mauer, noch einmal um ein gutes Stück teurer wurde.
Billiger sind temporäre Maßnahmen, und besonders raffiniert sind sie dort einzusetzen, wo man ihnen den Zweck nicht gleich ansieht. Auf dem Wiener Maria-Theresien-Platz, zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum, standen vom Weihnachtsmarkt des Jahres 2017 an riesige Geschenkpakete, bunt verpackt und mit hübschen Schleifen versehen. Hätte man die bunte Verpackung ein Stück weit in die Höhe gehoben, wären darunter massive Betonblöcke zu erkennen gewesen, aufgestellt als Aufprallhindernis für Heranrasende, als Provisorium für die Dauer der intensiven Gefährdung, also für die Zeit des Marktgeschehens.
Der Wiener Architekt und Autor Theo Deutinger kann aus dem Kopf Dutzende Beispiele wie dieses nennen, Beispiele für temporäre oder dauerhafte Schutzmaßnahmen gegen Gewalttaten, bei denen Autos als Waffe eingesetzt werden. In seinem Buch „Handbook of Tyranny“ hat er die Formen analysiert, mit denen sich das Verhältnis von Macht und Gefahr in der Architektur manifestiert. Da spannt sich der Bogen von der Anlage eines Schlachthofes über die Konstruktion von Grenzmauern bis hin zu den Wegen, die ein motorisierter Terrortäter in einer Stadt nehmen kann, und was sich ihm dabei entgegenstellen ließe. „Schauen Sie sich einmal das neue Stadion von Arsenal in London an“, sagt Theo Deutinger, im ORF-Radio nach Beispielen für die neue Anti-Terror-Architektur befragt. „Da steht vorne in zweieinhalb Meter hohen Betonbuchstaben das Wort ‚Arsenal‘ zu lesen, und man könnte glauben, das sei einfach nur als Logo, als Blickfang, so aufgestellt.“ In Wirklichkeit sind diese Buchstaben eine Barriere, die verhindern soll, dass motorisierte Täter den Vorplatz des Stadions stürmen.
Und als in Wien, in der engen Neubaugasse, an einer neuartigen Begegnungszone gearbeitet wurde, mit vielen Rechten für Fußgänger und wenig Autoverkehr, war „security by design“ auch dort ein Thema. So laden etwa sehr stark gebaute Sitzbänke mit einem Betonsockel zum Verweilen ein. Theo Deutinger weiß, dass da nicht so sehr die Menschenfreundlichkeit dahintersteckt, sondern der neue Zwang zum Absichern: „Das sieht aus wie eine normale Parkbank, aber diese Bank hat ein irrsinnig starkes Fundament und ist als Maßnahme gegen Ramm-Attacken konstruiert.“ Der Architekt sieht Vorkehrungen ähnlicher Art, wohin er auch blickt im städtischen Raum. Etwa auf dem Heldenplatz in Wien, wo die Büros des Parlaments in Containern untergebracht sind, bis die Renovierung des Hauptgebäudes abgeschlossen ist. Mit flachen Betonblöcken drumherum, und mit darüber waagrecht gespannten Drähten, an denen sich grüne Bepflanzung in die Höhe rankt: „Das ist auch ein Rammschutz, der dazu dienen soll, dass niemand mit dem Auto in diese Container hineinfahren kann“, weiß Theo Deutinger.
Und auf dem Berliner Breitscheidplatz, ziemlich genau mitten auf der Fahrtstrecke, die Anis Amri im Dezember 2016 genommen hat, soll, aktuellen Planungen zufolge, in Zukunft der Schriftzug „BERLIN“ in großen Buchstaben aus Stahlbeton den direkten Weg auf den Platz verstellen. Moderne Städte haben keine Mauern mehr. Aber sie müssen sich jetzt laufend neue Wege überlegen, um Angreifern etwas entgegenzustellen.
January 6: Angriff auf die Demokratie
Hannelore Veit
Es ist der 6. Januar 2021. Und es ist einer jener Augenblicke, an die man sich auch Jahre später noch erinnern wird. Ich telefoniere gerade mit einer amerikanischen Freundin, plötzlich ist ihre Aufmerksamkeit weg, „something is going on“, sagt sie, mehr zu sich selbst als zu mir. Im Hintergrund höre ich den Fernseher laufen, „Dreh CNN auf“, fordert sie mich auf, „das musst du sehen“, und beendet das Telefongespräch.
Fassungslos beobachte