Pflanzenalchemie - Ein praktisches Handbuch - eBook. Manfred M. Junius
Wesens
»Dieser wahren Anruffung zu dem lieben Gott folget nun nach der Ordnung die Betrachtung eines jeden Dinges; das ist so viel gesagt, dass alles anfänglich wohl muss betrachtet werden, nemlich die Umstände eines jeden Dinges, was seine Materia und Form, woraus dasselbe seine Würckung überkommen, wodurch sie eingegossen und einverleibet, auch wie sie aus dem Siderischen empfangen, durch die Elementa gewürcket, und durch die drey anfahenden Dinge gebohren und förmlich gemacht werden.22 lm gleichen wie eines jeden Dinges sein Leib wiederum kann rücklich gemacht, das ist, resolviret werden in seine Primam Materiam, oder erstes Wesen, wie ich dann in den andern meinen Schriften dessen allbereit unterschiedlich gedacht habe, damit aus der ultima Materia die Prima Materia und aus der Prima Materia wiederum die ultima Materia werden kann.23 (…)
Das ist nun Theoria, nemlich, was sichtbar und greifilich, auch ein zeitliches förmliches Wesen hat, auszugründen, wie ihm fortzuhelffen ist durch seine Zerlegung, dass ein jedes Corpus seinen Nutzen von sich geben kan, was in ihm ist, gut oder böse, Gifft oder Artzney, wie das Ungesunde von dem Gesunden zu scheiden ist, auch wie seine Anatomia anzustellen, und seine Zerstörung und Zerbrechung vorzunehmen, damit justo titulo ohne falsch und Sophisterey Purum ab Impuro [damit ist die richtige Art und Weise gemeint] kan geschieden und separiret werden, welche Scheidung nun geschehen kan durch vielerley Hand-Arbeit, vielerley Wege und Mittel, dero etliche in der Erfahrenheit gemein, etliche aber nicht gemein seynd: als da geschiehet durch Calciniren, Sublimiren, Reverberiren, Circuliren, Putreficiren, Digeriren, Destilliren, Cohobiren, Figiren, und dergleichen, welche Gradus allzumal nacheinander in der Arbeit erfunden, gelemet, ergründet, und offenbar gemacht werden, daraus beweißlich wird, was fix und unfüx, was weiß, schwartz, roth, blau oder grün ist, und so fortan: da anders der Künstler recht damit umgehet, und die Betrachtung wohl anlegen wird …«
Basilius fordert uns auf, die Materie und die Prozesse durchzumeditieren, bevor wir zur Handlung schreiten.
Die unverfälschte Bereitung
Auf die theoretische Betrachtung der Dinge folgt die praktische Aufbereitung, welche die rechte Einstellung, Hingabe und entsprechendes Können verlangt. Zur rechten Erkenntnis kommt nun die Handarbeit, auf diese Weise wird das geplante Werk zur Wirklichkeit.
»Wann nun die Betrachtung eines jeden Dinges recht ergründet worden, welches, wie zuvor ermeldet, anders nichts ist denn Theoria, so folget diesem nach die rechte wahre Bereitung, welche rechte wahre Bereitung durch die Hand-Arbeit muss vollzogen, und zu Werck gerichtet werden, damit etwas Thätliches und Würckliches hernach folgen möge. Aus der Bereitschaft kömmt her die Wissenschaft, nemlich eine solche Wissenschafft, daraus man allen Grund und Gelegenheiten der Artzneyen haben kan. Die Hand-Arbeit geschiehet durch eine fleißige Anwendung; Die Wissenschafft aber bringet sein Lob durch Erfahrung zum Unterscheid dieser beyder; dass eines vor dem andern in gewisser Tugend kann erkannt werden, ist Anatomia ihr aller Richter. Die Hand-Arbeit gibt zu Tage, wie alle Dinge können notoria, beweißlich und sichtbarlich gemacht und vorgestellt werden, die Wissenschafft aber gibt zu Tage Praxin, und den rechten wahren unverfälschten Grund, daraus ein rechter und wahrer Practicus werden kan, und ist anders nichts, denn eine Confirmation und Bestättigung, dass die Hand-Arbeit etwas Gutes offenbahret, und die verborgene geheime Natur herausser bekannt und beweißlich gemacht hat zum Guten.«
Der rechte Gebrauch
»Wann nun deine Bereitung geschehen, nemlich die Absonderung des Guten vom Bösen, welches durch die Aufschließung geschehen muss, so musst du demnach den Gebrauch in acht nehmen des Gewichts, dass du der Sachen nicht zu viel noch zu wenig thust, welches du in der Würckung kanst mercken und observiren, ob die Artzney zu stark oder zu gelinde, auch ob sie nützlich oder schädlich seyn wolte: welches dann ein Artzt zwar vorhin wissen soll, und dessen einen Grund haben, will er ihm nicht einen neuen Kirch-Hof zubereiten, mit Verlust und Verderb seiner Seelen, und mit Untergang seines guten Namens.«
Der Nutzen
Hier steht vor allem die Gretchenfrage nach der richtigen Dosis im Mittelpunkt.
»Nachdem die Würckung eingegangen ist, sich auszubreiten und auszutheilen in alle Glieder des Leibes, zu suchen den Gebrechen, darzu sie angeordnet und gebraucht wird, so folgt hernach endlich die Nutzbarkeit, als das letzte, das dadurch erkannt wird, was die Würckung Guts zur Nutzbarkeit bracht. Dann es kan wohl eine Sache oder Artzney würcken zum Schaden, und nicht zum Guten, welches der Krankheit eine Widerwärtigkeit, und mehr ein Gifft denn eine Artzney zur Gesundheit seyn würde. Darum so muss ein jeder mit Fleiß darauf wohl Achtung geben, wegen der Nutzbarkeit, dass solches gemercket und aufgeschrieben werde, damit dieselbe Nutzbarkeit nicht vergessen, sondern an andern auch könne gebrauchet werden.«
Vor jeder praktischen Arbeit muss die Theorie verstanden sein. Wir sind aufgefordert, die entsprechenden Texte wiederholt aufmerksam durchzulesen und über sie zu meditieren. »Ora, lege, lege, lege, relege, labora et invenies« (bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden). Dieser Satz steht auf der vierzehnten Tafel des »Stummen Buches«; dieses ist ganz in Form von Bildern verfasst und erschien 1677 in La Rochelle.
In der Schmiede des Gottes Vulcan. (Musaeum Hermeticum, Frankfurt 1678, Nachdruck Graz 1970)
»Ora Lege Lege Lege Relege Labora et Invenies« – »Bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden« – heißt es im »Mutus liber«, dem »Stummen Buch« der Alchemie von 1677.
Betrachten wir nun zwei Stiche, um das bisher Gesagte besser zu verstehen.
Der Stich auf Seite 37 links soll zeigen, dass die Theorie (die Bibliothek) und die Praxis (das Laboratorium) miteinander Hand in Hand gehen müssen, um in der Alchemie Erfolg zu haben. Wir sehen drei Meister der hermetischen Kunst: den Benediktinermönch Basilius Valentinus, den Abt Cremerus von Westminster und den Engländer Thomas Norton, Autor des »Ordinall of Alchemy«. Der Letztgenannte deutet auf den Ofen, auf dem sich ein alchemischer Prozess vollzieht. In den Glaskolben erkennen wir eine geflügelte Schlange, Symbol einer flüchtigen korrosiven Substanz. Das Laboratorium ist symbolisch dargestellt als die Schmiede des Gottes Vulcan. Der Gott selbst dient den drei Meistern, indem er den Ofen mit Feuerholz versorgt.
Der zweite Stich (rechts) stammt aus der Sammlung »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«) des Arztes und Alchemisten Heinrich Khunrath (1560–1605). Der Zeichner dieses besonders schönen Stiches ist Hans Fredemann Vries, der Stecher ist Paulus van der Doost. Das Bild stellt das Motto Khunraths dar: Durchhaltend – Betend – Arbeitend. Links sehen wir ein Oratorium, eine Art Gebetszelt. Der Text auf der Tafel im Zelt bedeutet: »Sprecht nicht von Gott ohne das Licht«. Auf dem Tisch liegen Bücher, symbolische Zeichnungen und Schreibinstrumente. Rechts ist das Laboratorium. Die zwei Säulen tragen die Inschriften »Ratio« und »Experientia«, Vernunft und Erfahrung. Es findet gerade eine Destillation statt, die »Seele« und »Geist« voneinander trennt. Auf dem Ofen erkennen wir die Worte: »Festina lente« (Eile mit Weile). Die Tür in der Mitte des Bildes deutet das Ziel an; sie ist weit entfernt, und draußen ist es hell. Der Text auf dem Torbogen sagt: »Dormiens vigila« (wache im Schlaf). In der Mitte des Bildes sehen wir Musikinstrumente, Symbole der harmonischen Ordnung der Welt und der Kunst. Die Inschrift sagt: »Die heilige Musik verjagt die Sorgen und die bösen Geister, denn der Geist Gottes singt mit Freude im Herzen, wo die heilige Freude wohnt«.24
Heinrich Khunrath, »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«), 1595 (aus »Geheimnisse der Alchemie« von Manuel Bachmann und Thomas Hofmeier).
Das himmlische Sulphur als Phönix (auf ihm steht Chronos als göttlicher Baumeister mit Sense und Zirkel zwischen