Arnika - Königin der Heilpflanzen - eBook. Frank Nicholas Meyer

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goetheanistischer Blick auf die Arnika

      Unter dem Datum des 24. Februar 1823 berichtete Kanzler von Müller (1956, S. 63), Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) habe sich über die ihn behandelnden Ärzte geärgert, und notierte: »Er triumphierte, dass sein scharfer Geschmack etwas Anis in einer Arznei entdeckt habe, und dass man sich, weil ihm diese Kräuter stets verhasst gewesen, zur Umänderung des Recepts entschlossen. Mit Wohlgefallen hörte er, dass man ihm Arnika geben wolle, und hielt ganz behaglich eine kleine botanische Vorlesung über diese Blume, die er häufig und sehr schön in Böhmen getroffen.«

      »Auch Arnika ist eine Goethe-Pflanze« heißt es deshalb in dem Essay, den der Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer gemeinsam mit Franz-Christian Czygan, dem langjährigen Professor für Pharmazeutische Biologie in Würzburg, im Jahr 2000 veröffentlichte. Die tiefe Beziehung Goethes zur Arnika durchzieht auch unser Buch bis hin zu seinen dramatischen Krankengeschichten. Goethe hatte die Fähigkeit, polare Aspekte zu bemerken und sie in Worte zu kleiden, die durch ihre paradoxe Verknüpfung wachrütteln können, so zum Beispiel beim »offenbaren Geheimnis« oder der »anschauenden Urteilskraft«. Seine Art, Pflanzen wahrzunehmen, die Verwandlung ihrer Blätter zu beachten, Polaritäten und Steigerungen in ihrem Leben zu beschreiben – all dies hat immer wieder Menschen begeistert. Die goetheanistische Pflanzenbetrachtung bemüht sich, in seinem Sinne Entwicklungen von Pflanzen zu erfassen, die dazu passenden Begriffe zu bilden und die entsprechenden Prozesse innerlich mitzuerleben.

      Glückliche Fügungen brachten uns drei Autoren zusammen. Alle lieben wir die Arnika schon lange und hatten uns jeweils intensiv mit ihr beschäftigt. Es war faszinierend zu erleben, wie aus unseren unterschiedlichen Begabungen in einem langen Prozess etwas ganz Neues entstand, ein echtes »Gesamtkunstwerk«, das niemand von uns allein zustande gebracht hätte. Die Gegensätze liebende Arnika ist in dieser Hinsicht ein großartiges Vorbild.

      Ruth Mandera

      Die Arnika – eine Königin und ihr botanischer und geografischer Umkreis

      Die Korbblütler

      Die Familie der Korbblütler (Asteraceae, Compositen), der die Arnika angehört, ist mit etwa 1600 Gattungen und etwa 24 000 Arten eine der größten Familien im Pflanzenreich – zehn Prozent aller Blütenpflanzen umfasst sie –, sie ist zudem fast über die ganze Erde, von der Arktis bis zu den Subtropen, verbreitet. Ihre großen, farbig leuchtenden »Überblüten« bilden einen absoluten Höhepunkt im Bereich der Blütenpflanzen. In anderen Pflanzenfamilien wird das Zusammenfügen von Einzelblüten zu langgestreckten oder kugeligen Blütenständen bereits kreativ ausgelebt. Den Doldenblütlern gelingt es zum Beispiel, fünfzig, hundert oder noch mehr kurze Stängelabschnitte zuerst auseinanderstrahlen zu lassen und dann zu einer großen Komposition zusammenzufassen: Es entsteht eine Dolde, eine plane oder konvexe Einheit der meist weißen, kleinen Endblütchen auf höherer Ebene. Die Korbblütler steigern dieses Prinzip des Zusammenschließens dadurch, dass sich ihr blütentragender, markerfüllter Stängel an seinem oberen Ende stark weitet. Auf diesem »Hochbeet« wachsen nun die zahlreichen Blütchen, dicht gedrängt, eng nebeneinander. Das Erstaunliche ist dabei, dass sich zusätzlich zwei ganz unterschiedliche Blütenformen entwickeln, die aufrechten, kleinen, glockenförmigen Röhrenblüten im Inneren des Korbes und die langgestreckten, ausgeweiteten Zungenblüten am Rand. Der Blütenstand eines Gänseblümchens, einer Kamille oder einer Calendula sieht wie eine Einzelblüte aus, mit Staubgefäßen und Fruchtknoten in der Mitte und andersfarbigen Blütenblättern außen herum. In Wirklichkeit aber ist es eine »Blüte aus Blüten«, also eine »Überblüte«, die zusätzlich außen von mehr oder weniger großen, grünen Hüll- oder Hochblättern umgeben ist, die an Kelchblätter erinnern.

      Mit diesem »Material« aus Röhren- und Zungenblüten eröffnen sich den Pflanzenwesen schier unbegrenzte Variationsmöglichkeiten, Blütenkörbe zu füllen. So gibt es eine große Gruppe von Gattungen, die nur Zungenblüten tragen und innerlich Milchsaft bilden (Löwenzahn, Wegwarte), oder es wachsen nur Röhrenblüten in den Körbchen, wie bei Disteln, Pestwurz oder dem Wermut. Hier entstehen bevorzugt fette oder auch ätherische Öle. Die weitaus meisten Gruppen der Compositen zeigen jedoch sowohl Röhren- als auch Zungenblüten und ähneln dadurch einer »normalen« Blüte am ehesten. Allen Körbchenarten gemeinsam ist einerseits eine intensive Farbigkeit der Einzelblütchen und andererseits das vollkommen geordnete Aufblühen: in einer sich einwickelnden Spirale setzt es sich vom Rand aus allmählich nach innen fort. Da oft Hunderte von Blüten zusammengefasst sind, ist verständlich, dass sich das Blühen über eine sehr lange Zeit erstrecken kann, ohne dass das Körbchen als Ganzes unansehnlich wird, was viele Korbblütler zu beliebten Zierpflanzen werden ließ.

      Blütenköpfchen des Echten Alant (Inula helenium) mit eng stehenden, dunkleren Röhrenblüten in der Mitte und sehr schmalen, gelben Zungenblüten.

      Die kleinen Blüten der Korbblütler sind immer fünfzählig. Das ist besonders leicht bei den Röhrenblüten zu erkennen: Die fünf Blütenblätter sind zu einem fünfzipfeligen, aufrecht stehenden Glöckchen verwachsen. Innen stehen die fünf Staubgefäße, zu einer engen Röhre zusammengefügt. Durch diese Röhre schiebt sich vom unterständigen Fruchtknoten ausgehend der Griffel und öffnet sich erst oberhalb des Blütchens in seine beiden charakteristischen Gabeläste. Die kleinen harten Früchte werden Achänen genannt. Wie bei den Doldenblütlern sind Frucht- und Samenschale so eng miteinander verwachsen, dass die Früchtchen wie Samen wirken. Die Zungenblüten bestehen ebenfalls aus fünf Blütenblättern, sind aber nur ganz unten noch röhrenförmig verwachsen, ansonsten »geöffnet« und lang gestreckt. Ob sie zusätzlich zu ihrem unterständigen Fruchtknoten noch eine Staubbeutelröhre mit befruchtungsfähigen Pollen ausbilden, ist artspezifisch verschieden.

      Amerika – der Kontinent der Arnikas

      Stellen Sie sich vor, Sie blicken von oben auf einen Globus, auf den Nordpol, und jemand hätte das Verbreitungsgebiet der Gattung Arnica eingezeichnet, dann würde sich dieses rings um den Nordpol erstrecken, mit einem Schwerpunkt auf der westlichen Erdhalbkugel. Die Heimat der Arnikas umfasst weite Teile West-, Nord- und Mitteleuropas, Nordamerika sowie Japan. Heutzutage werden etwa 30 Arten (27 bis 32, je nach Wertigkeit der Unterarten) zur Gattung Arnica vereint. Die meisten davon leben im Westen von Nordamerika, von Alaska bis nach Kalifornien und New Mexico, drei Arten auch in Japan.

      Auffällig ist, dass die Arnikas Regionen bevorzugen, in denen heute die auf Industrialisierung und damit verbunden Ausbeutung der Natur basierende »westliche« Zivilisation zu Hause ist: die westlichen Industriestaaten einschließlich Japans. Die Gattung besitzt einen absoluten Schwerpunkt hinsichtlich Verbreitung und Artenvielfalt dort, wo die moderne Informationsindustrie ihren Hauptsitz und ihr Zentrum hat: im amerikanischen Westen, in der Heimat von Giganten des Informationszeitalters, wie Apple, Google, Microsoft und anderen, sowie unzähligen größeren und kleineren Internet- und Technologie-Unternehmen. Spontan möchte man fragen: Ist es reiner Zufall, dass Vertreter der Gattung vor allem dort zu finden sind, wo heute gewissermaßen das zentrale Nervensystem der industrialisierten Menschheit lokalisiert ist?

      Die Verbreitung der Arnikas (nach MAGUIRE). In der Mitte der Darstellung befindet sich der Nordpol. (Aus EKENÄS 2008)

      Arnica mollis, eine amerikanische Art, die in Gestalt und Aroma der europäischen Arnica montana recht nahe kommt.

      Interessanterweise wachsen die Arnikas aber eben gerade nicht wie Gänseblümchen am Wegesrand oder Löwenzahn in einer überdüngten Wiese (um zwei verwandte Heilpflanzen zu nennen), sondern sie brauchen zu ihrem Gedeihen abgelegene Gebiete, möglichst wenig vom Menschen gestört. Es ist eine Besonderheit des äußersten amerikanischen Westens, dass sich dort unberührte Bergwildnis in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schaltstellen der hochtechnisierten westlichen


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