Arnika - Königin der Heilpflanzen - eBook. Frank Nicholas Meyer
noch kleine Drüsenhaare.
Stängel und Hüllkelchblätter sind mit weißen Borsten und roten Drüsenhaaren übersät.
Querschnitt durch ein Rhizom von Arnica montana mit angeschnittenen Ölgängen in der Rindenschicht. Rhizom-Durchmesser 5,7 mm. Ölgänge nachträglich gelb eingefärbt. (Aus Zeller 1983, S.174)
Duftabsondernde Drüsenhaare außen an den grünen Organen sind bei Korbblütlern nicht selten. Ebenso eindrucksvoll sind sie ja bei der Calendula: Dort verkleben sie unsere Hände und vermitteln uns den typischen Duft.
Arnica montana beschränkt sich nicht auf die Bildung ätherischer Öle im Kontakt mit der Außenwelt, sondern verlagert sie zusätzlich auch noch ins Innere ihrer gesamten Organisation! Dies ist tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal für einen europäischen Korbblütler.
Die Botanikerin Ottilie Zeller (1913–2004) konnte anhand von Längsschnitten durch winzige Blütenkörbchen der Arnika zeigen, dass lange Ölgänge den Stängel durchziehen und sich bis in den Körbchenboden hinein erstrecken. Diese Ölgänge sind mit Drüsenzellen ausgekleidet, die das entstehende Sekret nach innen in die Gänge hinein abgeben. Alle Pflanzenteile, ausgenommen Einzelblüten und Laubblätter, haben derartige Sekretgänge. Auf ihrem Rhizomquerschnitt sind in der Rindenschicht 28 angeschnittene Ölgänge zu erkennen, die zumeist in der Nähe der Leitgewebe liegen. Ungewöhnlich für die Pflanzenwelt ist allerdings, dass die Ölgänge wirklich die ganze Pflanze durchziehen – bis in die Wurzeln hinein! Damit wird verständlich, weshalb die Wurzeln vergleichsweise kräftig und fleischig sind. Zeller beschreibt einen Querschnitt durch eine Wurzel folgendermaßen: »Der vergrößert wiedergegebene Zentralzylinder der nur 2,4 Millimeter dicken Arnikawurzel erweckt den Eindruck, dass dieser wichtige Teil der Wurzel geradezu von einem Mantel von Gängen mit goldgelbem Arnikaöl umkleidet ist« (ZELLER 1983, S. 172).
Der Geruch des geschnittenen Rhizoms und der Wurzeln unterscheidet sich deutlich von dem der Blütenkörbchen. Oberirdisch überwiegt ein warmer, einhüllender, aromatischer Duft, selbst wenn die Köpfe geöffnet wurden und sich somit innerer und äußerer Duft mischen. Die unterirdischen Organe von Arnica montana riechen intensiver und beißender: »stark, aromatisch, etwas scharf, harzig, zimtig, fast etwas orientalisch«, so beschreibt es Franziska Roemer (ROEMER 1990, S. 2). »Pfeffrig-scharf, stechend und intensiv dunkel-aromatisch, Steinkohleteer-artig«, formulieren Torsten Arncken und Ulrike Ortin ihre Wahrnehmungen (ARNCKEN und ORTIN 1996, S. 8). Diederich und Riggers berichten, die Wurzel rieche »wie Mineralöl«, sie schmecke intensiv scharf und beiße im Rachen. Der Geschmack der Röhrenblüten sei dagegen anders: »Das Herbe, Bittere, Gerbende, was schon bei den Zungen auftritt, ist hier verstärkt, die Süße tritt nur kurz in Erscheinung. Bei Pflanzen von wirklich sonnigen Standorten tritt der Geschmack des Drüsensekrets, der den Rachen eklig stechend reizt, in den Vordergrund« (DIEDERICH und RIGGERS 2003, S. 72). Der bittere Geschmack durchzieht als »Grundton« alle Organe der Pflanze von den Wurzeln bis zu den Früchten.
Ätherische Öle
Ätherische Öle sind stark riechende und leicht verdunstende Substanzgemische, die aus vielen Pflanzen gewonnen werden können. Sie bestehen aus zahlreichen flüchtigen Substanzen (Alkoholen, Estern, Terpenen und anderen), die rasch in die Luft (den »Äther«) verdampfen können. Meist werden sie unter Verwendung von Wasserdampf aus den verschiedenen Pflanzenteilen destilliert. Da sie wasserunlöslich sind, schwimmen sie als »Ölfilm« oben auf dem Wasser. In fettem Öl lösen sie sich gut. Chemisch ist ihnen eine relative Sauerstoffarmut gemeinsam, weshalb sie leicht entflammbar sind. Sie »überspringen« also die wässrige Phase und sind mit ihrer Leichtigkeit mehr der Luft verwandt und damit unserem eigenen Seelischen. In ihrer leichten Entflammbarkeit haben sie auch eine Beziehung zum menschlichen Ich und zu seiner Begeisterungsfähigkeit.
Typischerweise bilden Pflanzen ätherische Öle in ihren Blütenorganen. So entsteht das kostbare Rosenöl in den frühen Morgenstunden als kleine Tröpfchen direkt in den Zellen der Rosenblütenblätter und verströmt sich dann – von der wärmenden Sonne herausgelockt – in die Umgebung. Aufgrund der »seelischen Berührung« des Pflanzenwesens durch den kosmischen Umkreis werden also in ihrer Entwicklung nicht nur die grünen Blätter in Blütenblätter verwandelt, sondern auch die Pflanzensubstanzen »verfeinert«, wie Goethe es nannte. Sie werden artspezifisch und so charakteristisch, dass wir Blütendüfte eindeutig als Maiglöckchen, Jasmin oder Rose erkennen. Die blühende Pflanze weitet sich über ihre physischen Grenzen hinaus aus und nimmt damit Kontakt zu den bestäubenden Insekten auf. Neuerdings wird auch diskutiert, ob Pflanzen mithilfe ätherischer Öle zum Beispiel bei Verletzungen oder Insektenbefall miteinander kommunizieren. Therapeutisch relevant ist bei ätherischen Ölen, in welchen Organen sie entstehen, etwa in den Duftdrüsen der Blätter wie bei Rosmarin und anderen Lippenblütlern oder in den Wurzeln wie beim Baldrian.
Unsere Arnika hat eine besonders innige und vielseitige Beziehung zu den ätherischen Ölen. Einerseits bildet sie flüchtige Substanzen ganz außen auf ihrer grünen Oberfläche, in ihren zahllosen Drüsenhaaren. Andererseits ist die ganze Pflanze auch im Inneren von Ölgängen durchzogen. Die »ätherische Leichtigkeit des Seins« hält bei ihr Einzug bis in die am tiefsten in die dunkle Erde hineinreichenden Organe, in Rhizome und Wurzeln.
Das Wesentliche der Arnika
»Im vergnüglichen Erinnern mag ich zum Beispiel gern gedenken, mit wie frohem Erstaunen wir die Arnica montana nach erstiegenen vogtländischen Berghöhen erst zerstreut, dann aber an sanften sonnigen abhängigen Waldwiesen, feuchten aber nicht sumpfigen, herrschend und man dürfte sagen wüthend erblickten.« So beschrieb Goethe die Arnika (in MAYER/CZYGAN 2000, S. 31). Wie kann man all die Einzelheiten zu einem Wesensbild der Arnica montana verdichten? Wieso erlebte Goethe sie »herrschend« und »wüthend«?
Um diese Fragen zu beantworten, muss ein wenig ausgeholt werden. 1831, ein Jahr vor seinem Tod, verfasste Goethe, 82-jährig, den Text »Über die Spiraltendenz der Vegetation«. Damit knüpfte er an seine 41 Jahre früher erschienene Schrift an, in der er die Blattverwandlung beschrieb und die er »Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären« genannt hatte (erschienen 1790). Nun fügte er zu dem »Spiralsystem« der Pflanzen (dem Blättrigen) das »Vertikalsystem« (die Achsenorganisation) und machte dadurch auf die größte Polarität im Pflanzenreich aufmerksam. Treu seiner Erkenntnis, dass zu jeder Polarität ihre Steigerung gehöre, erklärte er: »Keines der beiden Systeme kann allein gedacht werden; sie sind immer und ewig beisammen; aber im völligen Gleichgewicht bringen sie das Vollkommenste der Vegetation hervor.« Die vertikale Tendenz »ist anzusehen wie ein geistiger Stab, welcher das Dasein begründet und solches auf lange Zeit zu erhalten fähig ist« (Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, S. 218).
Rudolf Steiner (1861–1925) lebte nach seinem Studium ab 1890 für sieben Jahre in Weimar und gab während dieser Zeit die naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe heraus, versehen mit eigenen Kommentaren. Später griff er Goethes Spiraltendenz und Vertikaltendenz der Pflanzen auf und »weitete« sie, indem er den Kosmos mit einbezog. Steiner zufolge entwickelt sich jede Pflanze zwischen Erde und Himmel mithilfe von irdischen und kosmischen Kräften. Durchzogen von Lebendigkeit, bildet sie nacheinander viele grüne Blätter am grünen Stängel – bis ihr von oben, vom Kosmos, ihr »Seelisches« entgegenkommt. Durch diese »seelische Berührung« kann die Pflanze anstelle von grünen Blättern Kelchblätter, Blütenblätter, Staubblätter und Fruchtblätter bilden, also die Organe des Spiralsystems verwandeln (Steiner, Vortrag vom 21. 10. 1908, S. 29). So entstehen die Blüten; anschließend, im Zusammenwirken mit der Achse nach der Befruchtung, auch Früchte und Samen, also all das, was man in der Botanik als »generative Organe« bezeichnet.
Wir wissen alle, dass Pflanzen ohne Sonnenlicht nicht leben können. Ihre Blätter richten sich in ihrer Stellung nach der realen Sonneneinstrahlung, ihr Vertikalsystem, der »geistige Stab« Goethes, orientiert sich jedoch zum Zenith, zur »geistigen Sonne«. Die von dort kommenden Sonnenstrahlen gehen durch die Pflanze hindurch zum Mittelpunkt