Der eigen-sinnige Mensch - eBook. Helmut Milz
bekommt der Schweiß, vor allem der von den sogenannten »apokrinen Drüsen« (Achselhöhlen, Leisten- und Analregion, Nabelbereich, Augenlider, Brustwarzen und äußerer Gehörgang) sowie sekundär durch die Vermischung mit Hautbakterien. Daraus entstehen bisweilen »ziegenähnliche«, »käseartige« (bei Männern) und »zwiebelartige« (bei Frauen) Gerüche.
In Zeiten, in denen sich unsere menschlichen Vorfahren zur Flucht auf Bäume zurückzogen, waren vermehrte Schweißabsonderungen wie feuchte Hände oder feuchte Füße in Gefahrensituationen sinnvoll, um bessere Haftung zu erreichen. Heute erscheinen sie eher peinlich und werden ängstlich vermieden. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung leiden unter vermehrtem Schwitzen. Für viele von ihnen wird diese »Hyperhidrosis« zur problematischen Angelegenheit.
Angstschweiß wird von den apokrinen Drüsen der Haut abgesondert, die sich im behaarten Achsel-, Brustwarzen- und Genitalbereich befinden. Diese werden dann aktiver, wenn starke emotionale Reize wie Erregung und Wut vorherrschen. Angstschweiß wird auch »kalter Schweiß« genannt. Unter Stress führt die Adrenalinausschüttung dazu, dass sich die Blutversorgung mehr ins Innere des Körpers zurückzieht. Dadurch wird die Haut blasser und schwächer durchblutet. Durch die Verminderung der oberflächlichen Körpertemperatur verdampft der Schweiß auf der Haut nicht mehr wie üblich. Es bilden sich vermehrt Schweißtropfen. Gleichzeitig ziehen sich die apokrinen Drüsen vermehrt zusammen und produzieren spezifische Duftstoffe. Sollte Angstschweiß vielleicht ursprünglich die Artgenossen der Gruppe vor einer bestehenden Gefahr warnen? In bedrohlichen Situationen verstärkt Angstschweiß das Mitgefühl innerhalb einer Gruppe.
Untersuchungen bei Menschen mit Panikattacken brachten Hinweise, dass weniger die Areale von Hippocampus und Amygdala als vielmehr die des Großhirns als Ausdruck von unbewussten Erwartungsängsten aktiviert werden, die mit Vermeidungsreaktionen verbunden sind. Bei sensibleren Menschen kann Angstschweiß Erwartungsängste verstärken und somit zur weiteren Entwicklung von Angststörungen beitragen.
Körpereigene Lockstoffe
»Denn der Duft war ein Bruder des Atems. Mit ihm ging er in die Menschen ein, sie konnten sich seiner nicht erwehren, wenn sie leben wollten. Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ans Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass. Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen«, heißt es in Patrick Süskinds Roman Das Parfum.
Tiere markieren während der Brunst ihre Territorien. Sie haben eine feine Nase für eventuell trächtige Partnerinnen. Ausdünstungen geschlechtsreifer Weibchen setzen chemische Signale ihrer Fruchtbarkeit frei. Der Mensch, als weitgehend enthaarter, »nackter Affe« (Desmond Morris), besitzt mehr Duftdrüsen als alle anderen Primaten. Sein Geruchssinn spielt eine wichtige Rolle in der Sexualität und der Partnerwahl. Durch die Entdeckung der Pheromone (Kofferwort aus altgriech. »phérein«, tragen und Hormon) konnten informationsübertragende Duftstoffe nachgewiesen werden. Ob und wie sehr diese die Aufmerksamkeit und die Erregung bei der sexuellen Partnerwahl beeinflussen, ist beim Menschen noch nicht abschließend geklärt. Allerdings wird nachweislich durch sexuelle Erregung die Durchblutung der Nasenschleimhäute deutlich gesteigert.
Einiges deutet darauf hin, dass Duftrezeptoren den Frauen dabei helfen könnten, spezifische Aspekte des Immunsystems ihrer potenziellen Partner für Schwangerschaften zu erkennen. Wenn Immunsysteme der Geschlechtspartner unterschiedliche Qualitäten haben, besteht eine größere evolutionäre Wahrscheinlichkeit für widerstandsfähigen Nachwuchs. Forschungen konnten nachweisen, dass sowohl auf der Oberfläche der Spermien als auch der Eizellen Duftrezeptoren vorhanden sind, die einen spezifischen Duft erkennen.
Öffentliche Hygiene zur Beseitigung des »gemeinen Gestanks«
Kein anderer Sinn hat im Laufe der Zeit so unterschiedliche soziale und kulturelle Bewertungen erfahren wie der Geruchssinn. Der Begriff Geruch verweist ursprünglich auf Rauch, der infolge von Wärme nach oben steigt. Besondere Düfte waren früher religiösen und spirituellen Ritualen vorbehalten und wurden bei Rauchopfern verwendet. Wohlgerüche waren ein Privileg der Herrschenden. Königinnen und Könige, Athleten und Ritter parfümierten sich. Napoleon parfümierte auf seinen Feldzügen sein Zelt mit Veilchenduft. Weihrauch und Myrrhe waren begleitende Duftnoten des Christentums. Die Reformation schaffte diese Düfte im religiösen Raum weitgehend ab (Dianne Ackermann).
Im Mittelalter waren Düfte auch eine Frage von Moral und Unmoral. In den damaligen Badehäusern herrschten Gerüche der »gemeinsamen« Nacktheit, und diese bargen Verführungsgefahren.
Der französische Soziologe Alain Corbin hat die Polarität von Duft und Gestank in seinem Buch Pesthauch und Blütenduft anhand der Entwicklung im städtischen Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts beschrieben. Der Geruchssinn wurde dort zunehmend zum feinen »Messinstrument« für Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten. In den heftigen Ausdünstungen im städtischen Leben wurden potenzielle Ansteckungsstoffe für Krankheiten vermutet. Die Luft galt als »Träger, Beförderungsmittel und Behälter« für solche Keime. Im öffentlichen Raum wurden mit Fäkalien vollgesogene Böden, die Saugfähigkeit der Gebäude und Möbel, die stinkenden Flüsse und Sümpfe ebenso wie Friedhöfe immer besorgniserregender. Gerüche von Zerfall, Gärung und Fäulnis – kurzum das Übelriechende – erregten zunehmende Aufmerksamkeit von Ärzten und Behörden.
Diese versuchten, gegen diese Missstände eine bessere öffentliche Hygiene zu organisieren. Ärzte untersuchten die Patienten nach einem vorgeschriebenen Geruchskalkül und prüften, welche Geruchsabweichungen auf charakteristische Krankheiten hinweisen könnten. Insbesondere Institutionen wie Hospitäler, Gefängnisse, Kasernen, Kirchen oder Theatersäle wurden auf Gerüche untersucht, aber auch größere Schiffe. Durch das Pflastern von Straßen, das Befestigen von Flussufern und besseres Entwässern der Straßen wurde eine zunehmende Desodorierung des öffentlichen Raums angestrebt. Es wurden neue Techniken der Belüftung von Stadtvierteln und Armenwohnungen entwickelt. Gerüche waren eine Frage der sozialen und moralischen Unterscheidung.
Die Körper der Menschen mit ihrem spezifischen Atemgeruch sowie die Ausdünstungen ihrer Haut und Kleidung erfuhren verstärkt Aufmerksamkeit durch die Gesundheitsbehörden. In wohlhabenderen Schichten versuchte man, schlechter, »mephistischer« Luft durch heilsame Aromen beizukommen und setzte auf Wohlgerüche zur Erquickung und Stärkung. Der »aromatisierte Mensch« sollte durch Riechkissen und Kräuterverbrennungen gesunden und aufgeheitert werden. Sowohl durch die Nase eingeatmet als auch bisweilen auf obskure Weise, etwa durch die Vagina, in den Körper hineingeblasen, sollten sie stärken und bei Frauen den Uterus wieder an die richtige Stelle bringen. Für besser gestellte Bürger waren »Luftkuren« in den Bergen eine Möglichkeit, dem städtischen Gestank der Armen in der Ebene zu entfliehen.
Denjenigen, die mit Muskelkraft arbeiten mussten, wurde nachgesagt, dass sie »im Schweiße ihres Angesichts« nur vermindert sensible Nasen haben könnten. Der muffigen Luft ihrer Behausungen wurde der »hygienische Kampf« angesagt, insbesondere den Miasmen ihrer Schlafräume. Belüften, Ausklopfen oder das Verrücken von Möbeln waren probate Mittel.
All diese Entwicklungen führten zur stärkeren »Desodorierung« jeglichen sozialen Kontakts. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsversorgung war die radikale Verbesserung der städtischen Hygiene ein sehr sinnvolles Unterfangen. Im England des 19. Jahrhunderts war die Arbeit des Sozialreformers Edward Chadwick prägend für die Sanierung der Abwasserkanäle, die Luftverbesserung und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Zugleich wurden diese hygienischen Reformen von religiösen Kräften zur moralischen Säuberung von Trunksucht, Gewalt und Unzucht genutzt. Nüchternheit, Mäßigung, Sauberkeit, Sparsamkeit und Anstand wurden als moralische Mittel gegen den unmoralischen »Gestank« der Armenviertel gepredigt. Die Entsorgung und Entfernung von Tierdung und Kadavern aus den Straßen, Latrinen und Toiletten, öffentliche Wasch- und Badeanstalten, der regelmäßige Gebrauch von gut riechenden und billig parfümierten Seifen gehörten seit Mitte des 19. Jahrhundert zum hygienischen Standard. Die Entdeckung der »Keimtheorie« von Bakterien als Krankheitsauslöser und die Einführung von Wasch- und Desinfektionsmöglichkeiten etwa in der Geburtshilfe durch Ignaz Semmelweis waren weitere Schritte zur Verbesserung der Krankheitsvermeidung durch bessere Hygiene.
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