Angelus Mortis. Theodor Hildebrand

Angelus Mortis - Theodor Hildebrand


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bei den Einheimischen völlig als eingebürgert und dazugehörig zu gelten, und man trat sogar mit der Dienerschaft in freundschaftliche Verhältnisse, sodass es nun häufiger vorkam, dass die Männer im Stall mit Werner und die Frauen in der Küche mit Lisette Unterhaltungen anknüpften und ihnen erzählten, was sie sonntags vor der Kirchtür Neues gehört hatten.

      Lisette und Werner erzählten, sofern Gelegenheit dazu war, ihrer Herrin gerne wieder, was sie gehört hatten, und Helene errötete innerlich über das seltsame Vergnügen, das sie dabei genoss, ihnen zuzuhören; denn Zerstreuung war ihr während der Abwesenheit ihres Mannes sehr nötig, und ganz gleich, welchen Gegenstand man vor ihr zur Sprache brachte: sie zog das albernste Geschwätz immer noch der Einsamkeit vor.

      Schon war der Oberst seit mehr als einer Woche nicht mehr im Schloss, als Lisette eines Abends mit so wichtiger Miene ins Zimmer trat, dass Helene nicht daran zweifeln konnte, gleich eine außerordentliche Neuigkeit mitgeteilt zu bekommen. Sie irrte sich nicht; sobald das gute Mädchen sich bei der Lampe niedergesetzt hatte, die ihr zu ihrer Abendarbeit leuchtete, fing sie zu erzählen an:

      »Von nun an, Frau Oberstin, werden wir nicht mehr so ganz allein in dieser Gegend sein; das Land hier wird immer mehr bevölkert, die Anzahl der Fremden vermehrt sich; und wenn das so weiter geht, wird man bald, wie man im Dorf sagt, montags einen Markt auf unserm Schlossplatz abhalten können.«

      »Ja, mein Gott«, antwortete Helene erstaunt, »wer sind denn die zahlreichen Leute, die sich in der Gemeinde angesiedelt haben?«

      »Um die Wahrheit zu sagen, Frau Oberstin, sind es noch nicht wirklich viele, aber das wird noch kommen. Fürs Erste ist es nur ihre Familie und dann eine Dame, deren Geschichte und Herkunft man noch nicht kennt, und die das kleine Haus dort unten im Tal, mitten im Wald, gekauft hat.«

      »Da hat sie sich aber eine sehr einsame Wohnung gewählt, und entweder muss sie viel Mut besitzen oder ein großes Gefolge bei sich haben, wenn sie ohne Furcht in diesem Haus bleiben kann.«

      »Dieser Meinung ist auch das ganze Dorf, und dennoch ist sie ganz allein; denn ihr alter Bedienter kann hier gar nicht mitgezählt werden, weil er so abgelebt, so bleich und hinfällig aussieht, dass er weniger einem lebendigen Menschen als eher einem Bewohner der anderen Welt gleicht. Was die Dame betrifft, so sagt man, dass sie schön sei, obgleich ihre Miene etwas ganz Außerordentliches haben soll. Ich kann übrigens nichts Näheres darüber sagen, weil ich sie noch nicht gesehen habe; doch ich müsste schon sehr krank sein, sollte ich am nächsten Sonntag in der Kirche fehlen. Die Dame wird doch ohne Zweifel dort sein, und dann will ich sie genau betrachten, damit ich ihnen einen gründlichen Bericht abstatten kann, falls es ihnen selbst nicht möglich sein sollte, sie mit eigenen Augen zu sehen.«

      »Ich bezweifle nicht, Lisette, dass du sie dir genau ansehen wirst; aber was erzählt man sich denn im Dorf von ihr? Weiß man, aus welchem Grund sie sich gerade jetzt, wo es schon auf den Winter zugeht, eine so wenig angenehme Wohnung genommen hat? Ist sie aus Prag? Ist sie Witwe oder unverheiratet?«

      »Man hat all diese Fragen schon ihrem Bedienten gestellt, ohne auch nur die kleinste Antwort darauf zu bekommen; denn dieser Bediente soll ein mürrischer und äußerst grober Mensch sein. Seine Antworten sind: ja, nein, vielleicht: das geht euch nichts an; was er kauft, bezahlt er, ohne dabei irgendetwas zu sagen, und wenn er fertig ist, entfernt er sich auch sogleich wieder. So viel scheint jedoch schon sicher zu sein, dass diese Leute keine Deutschen sind; denn sie haben eine ganz seltsame Aussprache und bedienen sich untereinander fremder, unverständlicher Worte.«

      »Ist diese Dame denn schon länger hier?«, fragte Helene, in der bereits die Hoffnung keimte, dass ihr die Fremde eine Gesellschafterin sein könnte, mit der zugleich einige Abwechslung in ihr einfaches, gleichförmiges Leben käme.

      »Sie ist an demselben Tag hier angekommen, an dem der Herr Oberst abreiste. Anfangs stieg sie bei dem Schäfer Paul ab und fragte ihn, ob nicht in der Nähe irgendein Haus zu mieten oder zu kaufen sei. Paul erwiderte, dass die Gebrüder Gierschmann das kleine Haus im Wald verkaufen wollten; sie ließ sie sogleich herbeiholen, handelte mit ihnen den Preis aus und schlief schon in derselben Nacht in ihrem neuen Zuhause. Paul und die beiden Gierschmanns haben aus diesem Verkauf anfangs ein Geheimnis gemacht, wahrscheinlich, weil sie der armen Dame eine übermäßig hohe Summe für das Haus abgenommen haben. Aber am Ende kommt doch alles heraus: Die Geschichte wurde bekannt, und ich bin nicht die Letzte, die sie erfahren hat. Vor einer Stunde habe ich sie von der Frau des Nachtwächters gehört, und ich würde gegen meine Pflicht gehandelt haben, wenn ich ihnen nicht sogleich alles erzählt hätte.«

      Helene dankte Lisette durch eine Verneigung des Kopfes für ihren guten Willen und nahm sich vor, so bald wie möglich Bekanntschaft mit der fremden Dame zu machen.

      Während dieses langen Gesprächs schwieg Werner, der ebenfalls zugegen war, und schüttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf. Diese Bewegung und sein Stillschweigen fielen der Oberstin auf und daher fragte sie ihn, ob er Misstrauen gegen die unbekannte Dame hege.

      »Nun ja«, erwiderte Werner, »ich sehe nicht gerade etwas Gutes darin, das sie in dieser Gegend erschienen ist. Eine junge Frau, die auch hübsch sein soll, wie man sagt, kommt mit einem einzigen Bedienten hierher, um sich in ein abgelegenes Haus einzuschließen: Sollte das nicht zu denken geben? Hat sie einen Mann? Wo ist ihre Familie? Könnte sie vielleicht eine Abenteurerin sein? Ich habe ehemals genug von diesen geheimnisvollen Prinzessinnen bei unseren Offizieren gesehen, die anfangs alle Blicke scheuten und sich unnahbar verhielten, bis sie irgendeinen Fang gemacht hatten. Dann erschienen sie am helllichten Tage und zeigten ihre Reize, ihre Pracht und ihr schlechtes Benehmen; hatten sie nun die Frucht gänzlich ausgesogen, verschwanden sie plötzlich wie die Irrwische, die wir oft dort unten auf dem Morast erblicken.«

      »Ich kann mir vorstellen«, antwortete Helene, »dass man solche unglücklichen Geschöpfe in einer großen Stadt antrifft, die, um einen desto besseren Handel mit ihren Reizen zu machen, die Neugierde durch das Dunkel anzufachen versuchen, mit dem sie sich umhüllen; aber hier in R…, mein guter Werner, was sollte eine solche Person hier suchen? Wo ist hier der reiche Junggeselle, den sie verführen könnte? Ich kenne in der ganzen Gegend nur Familien, die in der vollkommensten Eintracht leben und zudem in Kürze das Land bis zum künftigen Sommer verlassen werden. Kann es nicht vielmehr sein, dass diese Dame Schicksalsschläge erlitten hat? Oder schämt sie sich vielleicht, in der Welt auf einem niedrigeren Fuße zu leben, als ihr früher ihrem Rang nach zukam? Und wird wohl eine heutige Sirene mitten im Wald, fern von jeder Straße ihren Aufenthalt wählen? Wird sie sich nicht vielmehr den Orten nähern, die häufig von Reisenden besucht werden? Nein, mein lieber Werner, dein Verdacht ist ungerecht; man sollte von seinem Nächsten nichts Übles denken, solange keine triftigen Gründe dazu vorhanden sind.«

      Werner erwiderte nichts, aber er schien keineswegs überzeugt zu sein. Ihm diente seine Erfahrung als Richtschnur, wonach er alles beurteilen zu können glaubte, was ihm begegnete.

      Der folgende Tag war außerordentlich schön. Gegen Abend gingen die Kinder unter Werners Aufsicht spazieren, und der Zufall führte sie zum nahe gelegenen Wald, während Helene selbst sich nicht so weit vom Schloss entfernte, sondern nur bis zum Dorf hinunterging, wo sie mit den Landbewohnern, denen sie begegnete, von der nahe bevorstehenden Ernte plauderte. Alle erzählten ihr aber von der fremden Dame; ihre Ankunft hatte die allgemeine Neugier gereizt und man beobachtete daher jeden ihrer Schritte. Man wusste, dass sie gegen Abend ihre Wohnung verließ, um in der Umgegend spazieren zu gehen; solange aber die Sonne noch am Himmel stand, zeigte sie sich nur höchst selten. Den ganzen Tag brachte sie in einem Zimmer ihres oberen Stockwerks zu, wo niemand sie zu sehen bekam. Ihr alter Bedienter verrichtete sämtliche Geschäfte des Hauswesens, aber er sah stets so mürrisch aus, dass man keine Lust verspürte, eine Unterhaltung mit ihm anzuknüpfen, wenn er dann und wann ins Dorf kam, um etwas einzukaufen.

      Je mehr Helene über die Unbekannte hörte, desto fester nahm sie sich vor, sie kennenzulernen; denn trotz all ihrer vortrefflichen Eigenschaften war die Frau Oberstin doch immer noch eine Tochter unserer gemeinsamen Stammmutter Eva. Allerdings wusste sie ihren geheimen Wunsch unter einer scheinbar großen Gleichgültigkeit zu verbergen, und als es finster zu werden begann, kehrte sie zum Schloss zurück.

      Sobald ihre Kinder


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