Angelus Mortis. Theodor Hildebrand

Angelus Mortis - Theodor Hildebrand


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glauben würde, wenn er der kleinen Julie widerspräche; doch ein Entschluss musste gefasst werden, und obwohl er es verabscheute zu lügen, wartete er nicht erst ab, bis Helene ihn fragte, sondern tischte ihr, gleich nachdem sie die Kinder durch einen Wink fortgeschickt hatte, folgende Geschichte auf:

      »Frau Oberstin, ich hatte vollkommen recht damit, der Unbekannten nicht zu trauen. Glauben sie mir, dass sie ihren Aufenthalt hier in R… nicht ohne gefährliche Absichten gewählt hat. Eine ganze Stunde lang hat sie mich mit Fragen über ihre Familie und die gesamte Nachbarschaft gepeinigt. Sie wollte alles wissen, das Alter, den Rang, die Beschäftigung eines jeden, und sie wurde gar nicht müde in ihren Versuchen, mich auszufragen. Anfangs versuchte ich, ihren unverschämten Fragen mit Höflichkeit auszuweichen, aber sie hielt sich noch nicht für besiegt und kehrte zum Angriff zurück. Eine Frage folgte auf die andere, gleichsam wie ein ununterbrochenes Heckfeuer, sodass ich der Sache schließlich überdrüssig wurde. Ich nahm meine Truppen zusammen und rückte ihr mit gefälltem Bajonett auf den Leib, sodass ich ihr eine völlige Niederlage beibrachte. Mein Widerstand rief eine solche Bestürzung bei ihr hervor, dass sie in höchst übler Laune ihren Rückzug antrat.«

      Diese mit militärischen Ausdrücken vermischte Rede rang der Oberstin ein Lächeln ab. Die Fragen der Fremden schienen ihr gar nicht so unverschämt, wie Werner sie darstellte; sie hielt es für ganz natürlich, sich nach den Familien der Gegend, in der man sich niedergelassen hatte, zu erkundigen.

      »Ich hoffe, mein lieber Werner, dass deine Antworten nicht beleidigend gewesen sind; man muss Achtung vor den Damen haben und gerade ein Soldat sollte im Umgang mit dem schwachen Geschlecht ein zuvorkommendes Verhalten an den Tag legen.«

      »Das mag für unsere Herren Offiziere gelten«, erwiderte Werner; »aber wir, die wir nicht deren Vorrechte genießen, brauchen auch nicht ihre Höflichkeiten nachzuahmen.«

      Mit diesen Worten, die er absichtlich etwas hart aussprach, entfernte sich der alte Soldat und Helene kehrte nun zu ihren Kindern zurück, während das Gewitter immer näher kam und der Regen schon in Strömen niederfiel. Helene fürchtete das Rollen des Donners so wenig wie ihre Kinder; aber Lisette und Marie waren in größter Angst. Sie eilten zu ihrer Herrin, um bei ihr Schutz zu suchen, den sie ihnen auch nicht verweigerte. Da Werner unterdessen ungestört sein konnte, begab er sich auf sein Zimmer, und trotz eines unwillkürlichen Schauders, der sich mehrmals in seinem Innern erhob, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um ein zweites Mal an seinen Herrn zu schreiben.

      Das Gewitter wurde immer heftiger und die Winde kämpften so fürchterlich miteinander, dass sie in ihrer Wut das Schloss in seinen Grundfesten zu erschüttern drohten. Von Zeit zu Zeit erschien es Werner sogar, als ob sich klagende Stimmen unter das Rollen des Donners und das Heulen des Sturmes mischten; ja, er hörte Worte, deren Ton seinem Ohr nicht unbekannt war. Mehrere Male hörte er unwillkürlich auf zu schreiben; dann aber, voller Scham über seine Schwäche, sammelte er seine Gedanken wieder und zur Stunde des Abendessens war sein Brief an den Oberst fertig.

      Da er sein Schreiben nicht abermals den Versuchen Lodoiskas aussetzen wollte, schloss er es in einen Kasten ein und legte diesen in seinen Kleiderschrank. Von beiden nahm er die Schlüssel an sich und verließ dann ruhig sein Zimmer, überzeugt davon, dass sein Geheimnis nun in Sicherheit war.

      Draußen tobte noch immer das Unwetter und Lisette wie auch Marie waren schon fast tot vor Angst. Die Kinder, des Wartens auf das Abendessen müde, schliefen auf einem Sofa, und Helene las in einem guten Buch. Werners Eintritt in das Zimmer belebte die beiden Mädchen wieder, die sich nun entschlossen, zu ihren jeweiligen Verrichtungen zurückzukehren, und bald darauf wurde auch das verspätete Abendessen aufgetragen.

      Erst gegen Mitternacht wurde der Himmel wieder heiterer und nach und nach beruhigte sich die Natur. Werner hatte dem Unwetter mit heimlichem Vergnügen zugesehen, denn er wusste, dass es bei solchen Regenmengen mehrere Tage lang unmöglich sein würde, spazieren zu gehen; und er hoffte, dass während dieser Zeit irgendein Umstand eintreten möge, der die neue Bekanntschaft zwischen den Kindern und Lodoiska beenden würde; ja, er schmeichelte sich, dass die Antwort des Obersts auf seinen Brief dem ganzen Leben der Familie eine andere Richtung geben könnte.

      Mit diesen Gedanken beschäftigt, die ihm keine Ruhe ließen, schlief der brave Soldat nur wenig. Der neue Tag war noch nicht angebrochen, als Werner schon wieder auf den Beinen war. Er nahm seine Schlüssel und öffnete den Schrank und den Kasten, um den Brief herauszunehmen, den er unverzüglich nach Prag auf die Post senden wollte. Er fand ihn tastend und steckte ihn in seine Tasche, ohne einen Blick darauf zu werfen, da es ohnehin noch dunkel war; hierauf ging er hinunter in den Hof, um den Knecht zu rufen, der ihm als Bote dienen sollte.

      Ehe er ihn fand, verging einige Zeit, und die heraufsteigende Morgenröte erhellte bereits die Erde ringsumher, als er den alten Peter damit beauftragte, sich sogleich auf den Weg zur Stadt zu machen, um einen höchst eiligen Brief auf die Post zu bringen. Während er mit ihm sprach, zog er den Brief aus der Tasche und warf noch zufällig einen Blick darauf, ehe er ihn übergab. Doch was er nun sah, machte ihn schier fassungslos … denn das Papier war mit großen Blutstropfen befleckt, sodass nicht einmal mehr die Aufschrift zu entziffern war! —

      Unwillkürlich presste sich ein Schrei aus der Kehle des zutiefst erschrockenen Soldaten. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen; unbeweglich stand er da, den Brief zwischen den Fingern hin- und herdrehend, ohne noch immer zu begreifen, was er in den Händen hielt. Dann kehrte er schnell seine Tasche um, aber sie war völlig rein, ohne auch nur die geringste Spur von Blut aufzuweisen. Hastig eilte er ins Schloss zurück auf sein Zimmer, um den Kasten zu untersuchen, in dem der Brief gelegen hatte; aber auch hier fand sich nichts, was das Papier beschmutzt haben könnte. Wie erstarrt stand Werner nun in seinem Zimmer, ohne noch einen klaren Gedanken fassen zu können; doch schon bald erholte er sich wieder und ohne Zeitverlust schrieb er den Brief nun zum dritten Mal. Zwar kürzte er ihn ab, aber sein Inhalt war desto dringender, und sobald er fertig war, übergab er ihn dem Boten, den er zur größeren Sicherheit noch ein gutes Stück weit begleitete.

      Werner besaß Mut, aber dennoch konnte er sich jetzt einer gewissen abergläubischen Furcht nicht erwehren. Mit der größten Unruhe erinnerte er sich an die Erzählungen, die er in Russland und vor allem in der Moldau und Walachei gehört hatte, als er sich mit seinem Regiment dort aufhielt; an die Sagen von Menschen, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten und dadurch eine übernatürliche Macht zum Schaden ihrer Mitmenschen erlangten. All jene Märchen fielen ihm jetzt wieder ein, und das, was er soeben erlebt hatte, verleitete ihn sogar zu dem Glauben, dass Lodoiska sich durch ein solches Bündnis eine ähnliche Macht verschafft haben könnte. Doch schon bald verwarf er diese Gedanken wieder. »Was für ein Tor ich doch bin«, sagte er zu sich selbst, »an solchen Unsinn zu glauben. In der Moldau und Walachei mag so etwas angehen, da dort ohnehin nur Barbaren wohnen; aber in Deutschland hat der Teufel schon lange sein Recht verloren oder es bloß den Taschenspielern überlassen; das sind die Einzigen, die bei uns noch für ihn arbeiten, und vielleicht ist Mamsell Lodoiska eine solch geschickte Taschenspielerin. Aber sie mag sich in Acht nehmen; denn es würde ihr übel ergehen, wenn ich sie einmal auf frischer Tat ertappen sollte.«

      Nachdem er hierauf einer Flasche mit gutem alten Rum, die auf seinem Tisch stand, einen Besuch abgestattet hatte, vergrößerte sich sein Mut noch und er nahm sich vor, seine Wachsamkeit künftig zu verdoppeln, um herauszufinden, wodurch sich Lodoiskas Einfluss bis ins Schloss erstreckte. In der Hoffnung, recht bald vom Oberst Antwort zu erhalten, ging er dann wieder seinen gewöhnlichen Geschäften nach.

      Die Einsamkeit, in der die Familie Lobenthal im Schloss R… lebte, ging indessen nicht so weit, dass sie nicht von Zeit zu Zeit durch einige Besuche unterbrochen worden wäre, welche die auf den umliegenden Gütern wohnenden Herrschaften im Schloss abstatteten. Sie wurden stets mit großer Höflichkeit und Gastfreundschaft empfangen und Helene sah sie sogar mit Vergnügen, besonders seitdem ihr Gatte abwesend war; denn sie bedurfte der Zerstreuung jetzt mehr als früher und fand sie im Umgang mit den Nachbarn. Daher war es auch nicht ungewöhnlich, als noch am selben Tag, nachmittags um zwei Uhr, ein alter Edelmann aus der Nachbarschaft im Schloss eintraf, der früher Oberjägermeister gewesen war, jetzt aber ruhig sein Feld bestellen ließ.

      Herr von Krauthof war ein großer Esser und ein erprobter


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