EI_LAND. Andreas Hillger

EI_LAND - Andreas Hillger


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Meine Eltern fragten mich ungeduldig, wann ich mich denn nun endlich an der Universität einschreiben würde, meine alten Freunde kauten die immer gleichen Anekdoten wieder und hörten meinen Geschichten eher reserviert zu. Als sich auch noch Kathrin von mir trennte, weil sie unsere Beziehung nicht länger aus Fernwärme speisen wollte – ein Wort, das sie von mir gelernt hatte –, sah ich keinen Grund mehr, weiterhin in den Westen zu fahren.

      Ich nistete mich in meiner Zwei-Zimmer-Platte ein, in der ich die Tapete mühsam vom Beton gekratzt und dabei auf nackter Wand den Vermerk »Nicht zum Wohnungsbau geeignet« entdeckt hatte – eine Warnung, die ich wenig später als Menetekel in einem Artikel über sterbende Neubausiedlungen verwendete. Die Räume meiner Wohnung waren kahl und roh geblieben, ich warf mich in die Pose des unbehausten Einsiedlers, der hinter schlierigem Glas auf die leeren Fenster gegenüber starrte. Mein einziger Luxus in dieser Zeit war eine ständig wachsende Sammlung von Computerspielen, mit denen ich mir die einsamen Abende vertrieb, sobald ich meine Texte an die Redaktion gefaxt hatte. Während draußen vor der Tür die Stadt schrumpfte, türmte ich auf dem Bildschirm futuristische Wolkenkratzer oder trieb als weitsichtiger Staatenlenker längst vergangenen Fortschritt voran – lauter virtuelle Erfolge, die schon bald auf meine Geschichten abfärbten. Immer öfter verglich ich nun wirkliche Entwicklungen mit den komplexen Abläufen in den fiktiven Metropolen, betrachtete die Straßen aus der Vogelperspektive und bevölkerte sie mit winzigen Menschen. Dass ich mir damit den Blickwinkel jener Entscheider zu eigen machte, die tatsächlich am Rechner über die Zukunft der Häuser und ihrer Bewohner bestimmten, brachte mir irgendwann meinen ersten großen Journalistenpreis ein – und wenig später die schriftliche Kündigung meines Pauschalvertrags, die ich einer missgünstigen Intrige gegen den Emporkömmling zuschrieb. Stärker als der Verlust der regelmäßigen Einnahmen aber schmerzte mich, dass ich nun kein »Fester Freier« mehr war – eine Beschreibung, die ich immer als Anspielung auf das Huren-Milieu verstanden hatte, in das entblößte Politiker unsere Zunft gern verwiesen.

      Beim Wechsel der Fronten kam mir dann aber doch dieser schlechte Ruf zupass, den ich mir redlich erarbeitet hatte. In der Landespolitik war man offenbar froh, einen missliebigen Beobachter durch Umarmung ausschalten zu können. Dass ich den Job als Pressesprecher im Ministerium zudem dringenden Empfehlungen aus der Wirtschaft zu verdanken hatte, erfuhr ich erst später durch Zufall an einer Hotelbar, als ein betrunkener Referatsleiter seinen Arm um meine Schultern legte und mich mit glasigen Augen anstarrte: »Sehen Sie, Siegfried, am Ende finden doch alle den Weg zu uns – selbst die größten Brunnenvergifter, nicht wahr? Oder glauben Sie etwa, wir hätten Ihnen die Stelle wegen besonderer Eignung angeboten? Sie erfüllen ja nicht mal die Voraussetzungen der Ausschreibung … aber die Vattenfaller hatten noch was gut bei uns! Alles nur eine Frage der Kohle! Verstehen Sie – Kohle?« Sein schmutziges Lachen über den billigen Witz bestärkte mich in meiner Absicht, erneut zu desertieren – sowohl aus dieser Rolle als auch aus der Beziehung, die sich inzwischen eher zufällig ergeben hatte.

      Sie hieß Manuela, war Sekretärin in der Energie-Abteilung, alleinerziehend mit dem fünfjährigen Malte und ebenso hübsch wie naiv – blonde Locken und adrettes Kostüm, Zuchtperlenkette über straffen Brüsten. Wir hatten uns auf einem Sommerfest kennengelernt und waren danach in ihrer Wohnung gelandet. Als ich meiner Mutter am Telefon davon erzählt hatte, war ihre Antwort prompt und giftig gekommen. »Bratkartoffelverhältnis, noch dazu mit einem Kuckuckskind. Das hat doch keinen Wert. Werd endlich erwachsen, Junge.«

      Ich hatte es ja versucht – morgens mit dem Jungen zur Kita, danach ins Büro, mittags Kantine, abends mit einer Flasche Bier und Schnittchen vor dem Fernseher. Ich hasste diesen Trott inzwischen wie die Krawatten, die mir die Kehle abschnürten, oder die endlosen Sitzungen mit den eitel aufgeblasenen Referenten und dem schlechten Kaffee aus Thermoskannen. Natürlich hätte das ewig so weitergehen können. Den Kleinen mochte ich ja, und Manuela war keine schlechte Liebhaberin. Aber immer häufiger ertappte ich mich bei Fluchtreflexen und beneidete die einstigen Kollegen, deren kritische Fragen ich nun mit dürren Floskeln und windigen Prognosen abspeiste.

      Schließlich stellte abermals ein vorsätzlich herbeigeführter Zufall die Weichen: Bei der Fahrt auf eine Kraftwerks-Baustelle wurde die Limousine des Ministers von einer Mahnwache gestoppt, die gegen die drohende Vernichtung von Existenzen durch neue Technologien protestierte. Irgendwie verbreitete sich die Nachricht, dass ich den eigentlich streng vertraulichen Ortstermin an die Gewerkschaft durchgestochen hatte, wie ein Lauffeuer. Ich rechtfertigte mich halbherzig, sprach von ungewolltem Überraschungseffekt und spontan genutztem Gesprächsangebot … doch als ich in einem Artikel auch noch ironisch als »Held der Arbeit« gefeiert wurde, legte man mir eine Versetzung nahe. Ich handelte stattdessen eine Abfindung aus – und stand wieder da, wohin ich eigentlich auch gewollt hatte: am Anfang und auf der Straße.

      Dass auch Manuela die politische Affäre als privaten Verrat wertete, weil man im Büro ja von unserem Verhältnis wusste, war mir recht. Den Begriff für meine neue Stellung aber hatte ich von einem der Demonstranten gelernt. Ich war jetzt ein doppelt freier Lohnarbeiter, abgesehen von meinem Computer und meinem Adressbuch besaß ich keine Produktionsmittel, konnte aber meine ganze Leistungskraft meistbietend zu Markte tragen. Wie gut sich diese alte Theorie doch auf die neue Zeit anwenden ließ!

      Selbst wenn mir frühere Informanten auf beiden Seiten fortan meist mit Misstrauen begegneten, weil ich im öffentlichen Streit über die Zukunft des Landes als eine Art Doppelagent galt, fasste ich bald wieder Fuß. Ich konnte mir Zeit für ausführliche, sorgfältig recherchierte Geschichten nehmen, die in seriösen Magazinen das Flickwerk aus hektisch zusammengerafften Meldungen ersetzten. Mir blieb Muße für beharrliche Nachfragen und für beiläufige Begegnungen am Wegesrand, die ich zu einem großen Ganzen verwob. Und so war ich schließlich auch nach Schwarzmühl und zu Hanka Reimer gekommen – in der Hoffnung, hier ein paar Sätze, vielleicht sogar einen ganzen Absatz für meine nächsten Nachrichten aus dem Niemandsland zu finden. Dass mich ausgerechnet in diesem schlichten Haus hinter dem verwitterten Gartenzaun die Schwermut übermannen und eine plötzliche Sehnsucht nach einfachem Leben ergreifen würde, hatte ich nicht geahnt. Vielleicht war es eine Art spontaner Auflehnung gegen mein unstetes Dasein, eine trotzige Hoffnung auf Dauer im Angesicht des Flüchtigen …

      Das alles hätte ich Wolter in der vergangenen Nacht im Austausch gegen seine Geschichte erzählen können, aber ich bezweifelte, dass er mich verstanden hätte. Ich konnte es mir ja selbst kaum erklären – auch an jenem hellen Herbsttag, an dem ich auf der holprigen Dorfstraße vorfuhr. Ich zögerte kurz, dann stieg ich aus, öffnete die Heckklappe und zog die erste Bücherkiste heran, als ich hinter mir eine seltsam hohe Stimme hörte. »Brauchen Sie Hilfe?« Ich zuckte zusammen und drehte mich um. So lernte ich Liebig kennen.

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