Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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sogar genau in Susannes Konzept passte, konnte Helene Weber eingeladen werden. Schließlich wollte sie noch diese besondere Idee oder Nachfrage zwecks Wohnung, für ihren spanischen Besuch, loswerden!

      Aber nun gab es erst mal eine verspätete Obst-Zeit zu Mittag, nachdem alles Eingekaufte verstaut war. Gleich danach begann Susanne mit der Verschönerung von Brigittas Haaren. Als diese nach der Prozedur in den Spiegel sah, erkannte sie ihren fast identischen Naturfarbton dunkelblond, mit einer Superfrisur. Brigitta umarmte Susanne. „Ich danke dir, es ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, aber vorläufig das Beste was dir eingefallen ist, ich fühle mich zwanzig Jahre jünger.“

      „Na, dann warte mal ab was der Tag noch so mit sich bringt, vielleicht gibt es noch was viel Besseres? Aber erst will ich rasch mal rüber zu Helene, zu essen haben wir nun reichlich für heute Abend, da kann ich sie gleich dazu einladen“, sprach Susanne und lief zum Nachbarhaus. Sie klingelte und sofort erschien Helene an der Haustüre, beinahe so, als hätte sie bereits auf ihre Freundin gewartet.

      „Wie schön, dass du kommst, dann kann ich dir sogleich von heute berichten“, rief Helene überschwänglich.

      „Nein, warte mal, ich weiß was viel Schöneres. Komm um 18:30 Uhr zum Essen zu uns, es gibt Forellen mit Bratkartoffeln und Gurkensalat“, versprach Susanne.

      „Du lädst mich dazu ein? Lieb von dir“, freute sich Helene.

      „Ja Helene, aber ich muss dir im Vorfeld etwas beichten“, bekannte Susanne nun. „Vielleicht ist das unverschämt von mir und ich weiß nicht, wie du das aufnimmst? Es ist auch bis jetzt nur in meinem Kopf, niemand sonst weiß davon, wenn du also nein sagst, ist das in Ordnung.“

      „Ist was passiert?“ Helene gab sich beunruhigt.

      „Nein, nein, oder doch, es ist wegen Brigitta! Sie bleibt hier, in Deutschland“, beruhigte Susanne sie. „Jetzt ist sie auch Witwe und zurzeit knapp bei Kasse oder vielmehr, sie braucht als erstes eine Bleibe und da habe ich sofort an dich gedacht. Ob du ihr vorübergehend ein Zimmer überlassen kannst? Ich zahle das.“

      Zuerst fand Helene keine Worte, sie sah Susanne nur fragend an. Im nächsten Moment war ihr Interesse aber voll geweckt und sie antwortete: „Ich komme zum Essen, dann können wir reden. Gar nicht so schlecht – Platz genug habe ich doch, bis nachher.“

      Schon eigenartig, fünfzehn Jahre gab es zwischen ihnen außer ‚Guten Tag‘, vielleicht noch ‚schönes Wetter heute‘ oder ähnlich Belanglosem, nichts zu sagen, mal von den mehr oder weniger kurzen Gesprächen nach dem Tod von Mark abgesehen. Und nun, kaum, dass sie eine gute Woche Freundinnen waren … Susanne sah erneut die Zusammenhänge der Zufälle, diese Kette, bei der ohne das vorherige Glied nicht das heutige entstehen konnte! Aber inzwischen sah sie auch das schon viel eher beginnende dramatische, schicksalhafte Geschehen, eben genau in dieser jetzigen neuen Sache, das bereits in Spanien begann. Zufall? Nein, heute sah sie, das war mehr! Diese Lösung war wohl schon längst überfällig gewesen. Brigitta wollte nicht mehr in Spanien bleiben, nicht bei der chaotischen Familie, nicht bei ihrem Mann, der sich trotz seines Alters immer noch gerne mit jungen Frauen umgab. Dies offensichtlich, wie er es vor langer Zeit erklärt hatte, glaubte seinem Ruf schuldig zu sein. Dieser Gockel. Offenbar war sein Vater genauso ein eingebildeter Frauenheld gewesen. Brigitta ahnte dies eigentlich schon immer, vielleicht war es auch mehr Wissen, welches sie innerlich missbilligte. Der Mann, der ihr Befehle erteilte vom Anfang ihrer Ehe an, der sie nicht los lassen wollte seines Rufes wegen, immer nur seines Rufes wegen, ohne Rücksicht auf Frau und Familie, die ohnehin dumm und stillschweigend darüber hinwegsah. Diesen Menschen ereilte nun am Ende ein grausames Schicksal, und er gab auf diese Weise Brigitta doch noch frei. Endlich, ein jahrelanger Wunsch erfüllte sich. Aber wozu gerade jetzt? Was erwartete Brigitta hier, zurück in Deutschland? Bestand die Rückkehr in ihr Heimatland nur aus der Erfüllung ihrer lang gehegten Sehnsucht? Oder wartete hier gar eine Aufgabe auf sie?

      Der Tisch war nett gedeckt. Die knusprig gebratenen Kartoffeln dampften aus der Schüssel und die Türschelle schlug an. Helene folgte Susannes Einladung und brachte eine große Glasschüssel rote Grütze und Vanillesoße als Nachtisch mit. Helene war immer für schnelle Entschlüsse gut, sie dachte sich gerne etwas Nettes als Überraschung aus für ihre Freunde. Lange genug musste sie auch darauf verzichten.

      Während des Essens berichtete Helene immer wieder zwischen durch von ihrem ersten Arbeitstag. Neugierig schweigend hörten sie ihrer Schilderung zu: „Als ich ankam war der Frühstückstisch schon gedeckt, sehr üppig und richtig nett mit Tomaten und Weintrauben verziert, der Kaffee genau nach meinem Geschmack und ich fragte mich insgeheim, ob ich zum Arbeiten oder als Gast geladen war.“ Nach einigen Bissen von ihrem Teller, die sie mit „hm-hm“ begleitete, fuhr sie kauend mit ihrer Geschichte fort: „Die Scholz-Männer dachten sich bereits genauestens aus, wie meine haushälterische Beschäftigung aussehen soll! Nämlich, jeden Morgen, pünktlich 9 Uhr, fange ich an mit gemeinsamem Frühstück. Dann räume ich auf wo es nötig ist, kaufe einmal die Woche ein, an einem anderen Tag putze ich, den nächsten Tag wasche ich und so weiter. Tägliches Kochen für Herrn Scholz und auch für mich! Oh ja! Und ich kann mir selbst die Arbeit so einteilen, wie ich denke und mein Dienstschluss ist um 14 Uhr. Samstag und Sonntag habe ich natürlich frei und jetzt ratet mal, wie hoch mein Gehalt ist!“ Helene kaute genüsslich weiter und wartete.

      „Hm, 300 Euro“, fragte Susanne „bei zwei Mahlzeiten?“

      „Oh nein, 450 Euro und 100 Euro als Fahrgeld extra, weil ich mit meinem eigenen Auto alle Fahrten machen muss. Otto Scholz hat doch keins mehr, dabei kann ich gleich immer auch für mich selbst Besorgungen machen. Ihr seht, das ist eine Supersache. Natürlich fahre ich ihn auch zum Friseur oder was sonst so anfällt.“ Helene war in ihrem Element.

      „Das kann man wohl sagen, das ist mehr als gut“, fand Frank. „Hast also sozusagen einen sogenannten 450-Euro-Job.“

      „Genau, Hans-Peter will übrigens heute noch nach Hause fahren, wahrscheinlich ist er schon weg. Otto Scholz hat eine sehr gute Rente, sagt er. Er kann sich meine Hilfe leisten! Nicht, dass ich auf ein Zubrot angewiesen wäre, aber dann kann ich ruhigen Gewissens jetzt mein Gespartes in ein neues Dach investieren!“ Helene widmete sich nun ganz ihrer Forelle und schien mit sich und der Welt zufrieden.

      Brigitta fand Gefallen an dieser couragierten Nachbarin und brachte das zum Ausdruck. „Sie haben Ihr Leben so fest im Griff, ich wollte das könnte ich auch von mir sagen.“

      „Ach so, ja, Susanne sagte schon, Sie wollen in Deutschland bleiben und suchen eine Wohnung. Wie wäre es denn, wenn Sie in mein Dachgeschoss einziehen, es sind zwei kleine Zimmer mit Schrägen, ein WC und Dusche. Die Küche müssten wir uns allerdings teilen oder gemeinsam nutzen, na was sagen Sie dazu, Frau Schwelm? Oder soll ich Frau Moreno sagen?“, fragte Helene lächelnd.

      Brigitta konnte nicht antworten, sie war viel zu ergriffen, so stand sie spontan von ihrem Stuhl auf, schritt um den Tisch herum und nahm die sich zögernd erhebende Helene Weber in die Arme. Susanne erhob sich ebenfalls und ging zu den beiden, legte ihrerseits die Arme um sie und da standen die drei Frauen, vor Rührung lachend und weinend gleichzeitig, eine Weile glücklich und eng umschlungen mitten im Esszimmer.

      „Das ist überhaupt nicht nötig“, antwortete Brigitta etwas verspätet. „Es wäre schön, wenn wir direkt zu einander du sagen könnten.“ Tief Luft holend sagte sie weiter: „Ich muss mich anmelden mit Moreno, aber wenn die Erbensache erledigt ist, dann will ich wieder meinen Mädchennamen annehmen. Das habe ich mir jedenfalls fest vorgenommen.“ Eine Stunde später war ihr Gepäck in der zukünftigen Wohnung bei Helene verstaut. Es fehlte nur noch die Tasche aus dem Hotel, die würde sie morgen holen und dort das Zimmer freimachen. Möglicherweise war diese vorläufig glückliche Wende in Brigittas Leben auch ein gutes Omen für ihre Erbangelegenheit.

       13

      Frank Hauff stand wie paralysiert in der offenen Terrassentüre und schaute Susanne zu, die sich im Garten beschäftigte – und sah doch überhaupt nichts. Ein Telefongespräch blockierte derzeit sein Denken. Er sah Susanne arbeiten und auch wieder


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