Blutrot ist die Heide. Weishaupt, Heribert

Blutrot ist die Heide - Weishaupt, Heribert


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aufzusuchen. Laut den Angaben im Internet trafen sich die Mitglieder zwei Mal in der Woche, mittwochs und samstags. Heute war Dienstag. Vielleicht hatte er Glück und er würde trotzdem einen Läufer antreffen. Andernfalls musste er Passanten befragen oder Einwohner in ihren Häusern aufsuchen.

      Ronni stieg aus seinem Wagen, lehnte sich gegen die Wagentüre und wartete eine Weile. Kein Läufer kam vorbei. Wie sollten sie auch. Es war Mittagszeit, die Sonne stand am höchsten Punkt und es war heiß. Mit Sicherheit keine gesunde Laufzeit.

      Plötzlich wurde er durch einen fürchterlichen Lärm aus seinen Gedanken gerissen. Ein Flugzeug überflog im Landeanflug in geringer Höhe den Ortsrand von Altenrath.

      Das ist ja schrecklich, dachte er.

      Aber die Bewohner des Ortes würden daran gewöhnt sein. Sie wohnten schließlich in der Einflugschneise des Köln-Bonner Flughafens und dieser Lärm kam vermutlich oft am Tag vor.

      Er wollte sich gerade zu Fuß in das Zentrum des Ortes aufmachen, als er vom Kreisverkehr her einen alten Mann mit seinem Hund auf sich zukommen sah.

      „Guten Tag, haben Sie einen Augenblick Zeit?“, fragte der Kommissar, als der Mann ihn erreicht hatte.

      „Was wollen Sie denn wissen. Sie sind nicht von hier, nicht wahr?“, stellte der Hundebesitzer direkt eine Gegenfrage.

      Ronni zeigte ihm seinen Dienstausweis.

      „Mein Name ist Ronni Kern und ich bin Kommissar der Mordkommission Bonn. Ich habe da eine Frage. Kennen Sie diesen Mann?“

      „Ah, es geht um den Toten, den man gestern dort unten bei Troisdorf gefunden hat. Ich habe es heute Morgen in der Zeitung gelesen. Schlimme Sache. Noch nicht einmal beim Laufen ist man sicher. Und die Zeitung hat auch kein Bild vom Toten veröffentlich. Wer war es denn?“

      „Ja, genau. Das wollte ich gerade Sie fragen“, unterbrach Ronni den Mann.

      Dabei zeigte er ein Foto des Toten.

      „Mann, wie sieht der denn aus?“

      Der alte Mann wandte seinen Kopf ab und zog die Stirn in Falten.

      „Nun ja, er ist nun mal tot. Und Tote sehen nicht besonders hübsch aus“, antwortete Ronni und startete einen neuen Versuch.

      „Schauen Sie bitte trotzdem noch ein Mal genau hin. Kennen Sie diesen Mann?“

      Der Alte nahm dem Kommissar das Foto aus der Hand und hielt es mit ausgestreckten Armen vor seine Augen.

      „Wissen Sie, ich habe meine Brille nicht dabei. Wenn ich meinen Hund ausführe, habe ich die nie dabei. Er ist schon alt und ich muss morgens ganz früh, mittags und abends mit ihm Gassi gehen.“

      „Versuchen Sie es bitte. Kennen Sie ihn?“, unterbrach ihn Ronni erneut.

      „Ja, ja. Das kann der Belgier sein. De Graaf heißt der. Wissen Sie, hier im Ort leben noch viele Belgier. Das hängt mit dem Truppenübungsplatz zusammen. Vor zehn Jahren ist das belgische Militär abgezogen und …“

      „Ich muss Sie leider nochmals unterbrechen. Wissen Sie auch, wo dieser de Graaf wohnt, ich meine wohnte?“

      „Na klar. Drüben im Ort. Ganz in der Nähe von St. Georg, unserer Kirche. Der Kern unserer Kirche ist übrigens aus dem 12. Jahrhundert.“

      „Würden Sie mir den Weg zeigen?“

      „Natürlich, der Polizei helfe ich gerne. Ich muss sowieso dorthin. Kommen Sie mit. Komm altes Mädchen“, sagte der alte Mann zu seinem Hund und ging bereits vorweg.

      Ronni schloss seinen Wagen ab und folgte mit einigen Metern Abstand. Er wollte damit vermeiden, sich womöglich ungefragt die Lebensgeschichte des Alten anhören zu müssen. Seinen Weggefährten schien das nicht zu stören. Lauthals erkläre er, wer in jedem Haus wohnte, an dem sie vorbei gingen und wie sich die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Hauseigentümer und deren Nachbarn darstellten.

      Vor einem großen Einfamilienhaus hielt der Mann an.

      „So, wir sind da. Hier wohnte er. Zur Untermiete. Der hatte keine Familie mehr – geschieden, keine Kinder, verstehen Sie?“

      „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich glaube, jetzt komme ich allein zurecht“, sagte Ronni und gab dem Alten zum Abschied die Hand.

      „Ja, ich muss auch nach Hause. Meine Frau wartet bestimmt schon mit dem Essen auf mich. Und finden Sie den Mörder, sonst ist man ja hier nicht mehr sicher.“

      Er drehte sich um und ging den Weg zurück, den er mit Ronni gekommen war. Dabei redete er weiter vor sich hin, vielleicht aber auch zu seinem Hund.

      Auf dem oberen Klingelschild stand der Name „Bruckmann“. Auf dem unteren „de Graaf“. Ronni betätigte die Klingel neben dem Namen „Bruckmann“. Eine hagere Frau öffnete die Türe. Die zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenen, braunen Haare ließen sie noch hagerer erscheinen. Sie war ungefähr fünfzig Jahre alt, vielleicht auch jünger.

      Ronni Kern stellte sich vor und erklärte ihr in kurzen Zügen worum es ging.

      „Dürfte ich mir die Wohnung von Herrn de Graaf ansehen. Wir müssen uns ein Bild des Verstorbenen machen. Vielleicht können Sie mir danach einige Fragen beantworten? Zur Unterstützung werde ich einige Kollegen anfordern.“

      „Ja, natürlich. Herr de Graf wohnt in der Souterrain-Wohnung. Folgen Sie mir bitte. Ich habe einen Schlüssel und werde Ihnen die Wohnung öffnen. Wie lange werden Sie sich in der Wohnung umsehen? Ich habe in einer Stunde einen Friseurtermin.“

      „Meine Kollegen werden in ungefähr fünfundvierzig Minuten hier sein. Es wird schon einige Zeit dauern. Aber wir werden uns beeilen. Vielleicht können Sie den Termin verschieben?“

      „Ja, das geht bestimmt. Ich rufe mal eben dort an.“

      Sie ging ins Haus, Ronni folgte ihr und wartete im Flur, während Frau Bruckmann im Wohnzimmer mit dem Friseur telefonierte.

      „Es ist in Ordnung. Ich habe den Termin verschoben. Kommen Sie.“

      In der Hand hielt sie einen Schlüssel, den sie aus dem Wohnzimmer mitgebracht hatte. Ronni folgte ihr die Treppe hinunter. Sie öffnete die Wohnungstür zu de Graafs Wohnung und machte für den Kommissar Platz.

      „Schauen Sie sich nur um. Wenn Sie mich suchen, ich bin oben im Wohnzimmer“, sagte sie, drehte sich um und ging schnell die Treppe hoch.

      Ronni bemerkte nicht, dass Tränen in ihren Augen standen.

      Er betrat die Wohnung und stand sofort im Wohnzimmer. Ein Flur war nicht vorhanden. An einer Seite des Zimmers war eine kleine Küchenzeile angebracht. Davor eine Esstheke mit drei Barhockern. Ronni schaute aus dem Fenster und konnte davor eine kleine Terrasse ausmachen, von der eine Treppe zum höher gelegenen Rasen des Hauses führte. Durch eine Tür gelangte man vom Wohnzimmer in ein kleines Schlafzimmer, in dem lediglich ein Bett und ein kleiner Kleiderschrank standen. Am Schlafzimmer schloss sich ein Badezimmer mit Toilette und Dusche an. Eine normale Wohnung von maximal fünfzig bis fünfundfünfzig Quadratmetern, ausreichend für eine Person. Ronni ging durch alle Räume und schaute sich aufmerksam um. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, lediglich im Schlafzimmer lagen einige Kleidungsstücke auf dem Bett und davor stand ein Paar Straßenschuhe. Vermutlich waren das die Kleidungsstücke, die de Graaf anhatte, bevor er zum Joggen ging.

      Ronni fasste nichts an. Er wollte mögliche Spuren nicht verwischen. Irgendwelche Hinweise oder Besonderheiten konnte er in der Wohnung nicht erkennen.

      Danach ging er hoch ins Wohnzimmer. Frau Bruckmann saß im Sessel und blätterte in einer Illustrierten.

      Die Frau konnte oder wollte nur wenig über den Jogger berichten. Vor fast einem Jahr war ihr Mann plötzlich durch einen Herzinfarkt verstorben. Danach wollte sie das für sie viel zu große Haus schweren Herzens verkaufen. Sie war schließlich froh, als de Graaf sie fragte, ob sie die Souterrainwohnung vermieten würde. De Graaf war seit einigen Monaten geschieden. Kinder hatte er keine. Die alte Wohnung war ihm für sich alleine viel


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