Blutrot ist die Heide. Weishaupt, Heribert

Blutrot ist die Heide - Weishaupt, Heribert


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Sybille für die nächsten Stunden in äußerst gute Laune versetzen würde. Eilig ging er die letzten Meter zum Büro.

      „Guten Morgen, Frank. Ich sehe, du bist bereits fleißig?“, sagte er mehr fragend als feststellend, nachdem er die Türe hinter sich geschlossen hatte.

      „Morgen“, war Eisensteins einsilbige Antwort.

      „Immer diese Gewalt, die wir uns ansehen müssen“, klagte er.

      Er fuhr sich mit beiden Handflächen durch das Gesicht und lehnte sich im Stuhl zurück.

      „Wir haben noch keinen Bericht von der Obduktion. Aber sieh‘ dir trotzdem diese Bilder einmal genau an und sag mir, was dir auffällt.“

      Ronni setzte sich auf den Besucherstuhl auf der anderen Seite von Eisensteins Schreibtisch und nahm sich den Stapel Bilder. Aufmerksam betrachtete er jedes Bild. Eisenstein sagte nichts dazu. Er beobachtete seinen Kollegen interessiert, wie er die Bilder ein ums andere Mal durchsah.

      Alle Bilder zeigten eine männliche Leiche, blasses Gesicht, schwarze Shorts, blutgetränktes weißes T-Shirt. Die acht Einstiche waren wegen des Blutes kaum erkennbar. Der linke Arm lag seitlich vom Körper, wogegen der rechte Arm nach hinten über den Kopf hinaus ragte. Am rechten Handgelenk trug der Tote eine schwarze Digitaluhr mit Stopp- und anderen Funktionen. Einen Ehering trug er nicht – das jedoch nicht unbedingt etwas zu sagen hatte. Verletzungen an Armen, Beinen und am Kopf waren nicht zu sehen. An beiden Armen befanden sich lediglich Blutspritzer, die höchstwahrscheinlich durch die vielen Einstiche am Oberkörper entstanden waren.

      „Mir fällt nichts Besonderes auf. Die Menge der Einstiche lässt auf eine große Wut des Täters schließen“, sagte Ronni schließlich.

      „Richtig. Das ist ein Jogger. Der läuft durch die Heide und dann soll jemand plötzlich vor ihm auftauchen und ihm acht Mal ein Küchenmesser in den Oberkörper rammen? Und der Jogger bleibt dabei unbeweglich stehen?“

      Eisenstein sah Ronni eindringlich an.

      „Du hast Recht. Das T-Shirt ist nicht zerrissen. Hätte sich der Mann gewehrt oder hätte er sich gedreht oder irgendwie bewegt, wäre das T-Shirt eingerissen. Außerdem versuchst du doch wegzurennen, wenn jemand mit einem Messer vor dir steht. Wäre der Täter von hinten gekommen, wären vermutlich die Stiche im Rücken. Das können wir demnach ausschließen“, kombinierte Ronni.

      „Es sieht doch fast so aus, als hätte das Opfer auf dem Boden gelegen und der Täter hat dann wie wild auf ihn eingestochen. Oder das Opfer hat gestanden und eine weitere Person hat ihn festgehalten, während die andere Person auf ihn eingestochen hat. Dann muss es sich bei der Person, die das Opfer festhielt, um eine sehr kräftige Person gehandelt haben, denn wenn einer mit einem Messer vor dir steht, wirst du dich mit aller Kraft wehren.“

      Eisenstein hatte sich im Drehstuhl zurück gelehnt und starrte an die Zimmerdecke.

      Ja, denn wenn es um dein Leben geht, wachsen einem ungeahnte Kräfte“, ergänze Ronni.

      „Ach, ich weiß nicht? Zwei Täter? Wenn zwei Personen einen Mord ausführen, bedeutet das für beide immer ein erhöhtes Risiko. “

      Eisenstein schüttelte den Kopf.

      „Hier, nimm einmal dieses Messer und tu so, als ob du zustichst.“

      Eisenstein nahm ein langes Küchenmesser aus der Schublade und hielt es Ronni hin. Dabei baute er sich in voller Größe vor ihm auf.

      „Wo hast du denn das Messer her?“, fragte Ronni ungläubig und starrte das Fleischmesser an.

      „Aus unserer kleinen Küche nebenan natürlich“, antwortete Eisenstein wie selbstverständlich.

      Kopfschüttelnd nahm Ronni das Messer in die rechte Hand.

      „Und jetzt soll ich so tun, als ob ich zusteche?“

      „Ja, sei nicht so ängstlich. Du musst ja nur so tun und nicht tatsächlich zustechen“, lachte Eisenstein.

      Ronni simulierte einen Stich in Franks Bauchgegend. Eisenstein packte blitzschnell zu und hielt das Handgelenk mit dem Messer fest.

      „Siehst du? Die scharfe Klinge zeigt nach unten und der Einstich würde demnach senkrecht verlaufen. Die Einstiche bei unserem Toten verlaufen aber waagerecht. Das bedeutet, der Täter hat wahrscheinlich von der Seite aus zugestochen. Womöglich hat er neben dem am Boden liegenden Opfer gekniet und dann zugestochen“, folgerte Eisenstein.

      Ronni zeigte sich beeindruckt. Eisenstein ließ sein Handgelenk los und Ronni legte das Messer auf den Schreibtisch.

      „Um acht Mal so tief in einen Körper einzustechen, dass drei Stiche sofort tödlich sind, braucht man Kraft. Vielleicht hat der Täter das Messer mit beiden Händen gehalten oder es muss ein kräftiger Mann gewesen sein, der auf den am Boden liegenden Körper eingestochen hat“, überlegte Ronni weiter, der inzwischen Eisensteins Theorie folgte.

      „Anderseits legt sich ein Jogger nicht freiwillig auf den Boden. Eine Kopfwunde, die auf einen Niederschlag hindeutet, ist nicht vorhanden. Ich denke, wir müssen das Ergebnis der Obduktion abwarten. Vielleicht erhalten wir neue Informationen, die uns weiterhelfen. Weiß du, wann wir das Ergebnis erhalten?“, fragte Eisenstein und beendete damit seine Mutmaßungen.

      „Eventuell bereits heute. Susanne wollte sich beeilen und diesen Fall vorziehen.“

      „Susanne? Sag bloß, Susanne bearbeitet den Fall? Das hat mir noch gefehlt.“

      Frank Eisensteins Miene verdunkelte sich merklich.

      „Ja und? Sie hat sich auch nach dir erkundigt. Vielleicht meldet sie sich demnächst bei dir. Privat, meine ich“, setzte Ronni noch eins drauf.

      Jetzt schien Franks gute Laune restlos dahin zu sein.

      „Du weißt doch: ich will mit Susanne nichts mehr zu tun haben. Du kannst jederzeit mit ihr über den Fall sprechen, ich werde mich dabei zurückhalten. Und privat, wie du das nennst, will ich erst recht nicht mit ihr sprechen.“

      Eisenstein stand auf und ging zur Bürotür. Dort drehte er sich nochmals um.

      „Hör du dich mal in der Laufszene um. Ich hab etwas zu besorgen. Privat“, sagte er und warf die Tür hinter sich zu.

      „Verdammt. Du sturer Hund!“, entfuhr es Ronni und er schlug mit der Hand auf den Schreitisch, so dass die Bilder, die er sich vorher angesehen hatte, kreuz und quer über den Schreibtisch und auf den Boden fielen.

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      Ronnis Ziel war der Troisdorfer Stadtteil Altenrath. Hier wollte er damit beginnen, die Identität des Ermordeten festzustellen. Er fuhr vom Polizeipräsidium in Bonn über die A59 nach Troisdorf und von dort über die Altenrather Straße bis Altenrath. Dies ist der Stadtteil, der am weitesten vom Troisdorfer Zentrum entfernt ist und am Rande der Wahner Heide liegt. Als er am Leichenfundort an der Altenrather Straße vorbei kam, fuhr er ein wenig langsamer und schaute in diesen Teil der Heide hinein. Die örtliche Polizei hatte die Absperrungen inzwischen entfernt und nichts erinnerte mehr an den gestrigen Leichenfund. Heute schien die Sonne und die violetten Heidekräuter leuchteten bis zur Straße herüber.

      Das letzte Stück der Straße bis Altenrath nannte man „Panzerstraße“ und Ronni fand, dass die Straße diesen Namen verdient hatte. Anscheinend war die Straße nur für Panzer gut befahrbar. Für normale Autos schien sie nicht geeignet zu sein. Der Asphaltbelag hatte in großflächige Betonplatten gewechselt, die eine Menge Schadstellen aufwiesen. Der Wagen rumpelte über die Straße und Ronni musste die Geschwindigkeit drosseln. Vor Altenrath fuhr er in einen Kreisverkehr. Er war froh, wieder auf einer normal asphaltierten Straße zu fahren.

      Direkt nach dem Verlassen des Kreisverkehrs lenkte er seinen Wagen auf einen großen Parkplatz am Ortseingang.

      Er hatte im Internet gelesen, dass es in Troisdorf drei Lauftreffs gab. Einen in Spich, einen anderen in Troisdorf-Zentrum und einen Lauftreff in Altenrath. Es stellte sich die


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