Drei Brüder. Jörg H. Trauboth

Drei Brüder - Jörg H. Trauboth


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Marc hinüber.

      »Da unten hängt ein cooler Typ, redet wie ein richtiger Texaner. Los, wir holen ihn raus!«

      George blickt auf sein Team. Er braucht besser zwei Trooper da unten. Einen, der sofort sichert und den weiteren Absturz verhindert, und den anderen für das Bergen. Navy Seal One weiß, dass Tim und Thomas die meiste Erfahrung in derartigen Abseilsituationen haben, also müssen die deutschen Freunde wieder ran.

      »Tim und Thomas, seilt euch ab!«

      Kurze Zeit später lassen sich die Unzertrennlichen runter ins Dunkel der Spalte. Die Navy Seals sichern von oben. Marc und George leuchten tief in den dunklen Schlund hinein, um den beiden möglichst viel zusätzliche Orientierung zu geben. Doch das Licht verliert sich schnell. Sie müssen aufpassen, dass sie den Fallschirm und die Gurte nicht berühren. Trotzdem dauert der Abstieg keine sechzig Sekunden.

      »Wir sind bei ihm!«, meldet Tim.

      Der Texaner hängt frei. Völlig frei. Nichts ist da, wo er sich hätte abstützen können. Eine falsche Bewegung, und der Rest des Fallschirms würde mit ihm in den Abgrund rauschen.

      Behutsam und Schlimmes ahnend hatte er zu seiner Taschenlampe gegriffen. Augenblicklich heftiger Schmerz oben rechts.

      Was war da los? Er fasste mit der rechten Hand an die Schulter.

      Entsetzlicher Schmerz.

      Angst.

      Nur keine falsche Bewegung!

      Es dauerte, dann hatte er die Lampe endlich. Was er unter sich sah, schockte ihn.

      Denn er sah – nichts.

      Der Lichtstrahl konnte die Tiefe nicht annähernd erfassen. Unter ihm verbarg sich der Eingang ins Nirwana. 50 Meter, 1000 Meter? Er würde ein paar Mal an die Wände knallen und dann … Oh, my God …

      Er leuchtete nach oben. Der Schirm hing einigermaßen gut eingehängt zwischen zwei Felskeilen.

      Erst allmählich fasste er Vertrauen in die Verankerung über ihm. Er sprach mit seinem Schirm, ermahnte ihn in liebevollen Worten durchzuhalten. Mehrmals strich etwas an seinem Kopf vorbei.

      Fledermäuse?

      Was immer, keine unnötigen Bewegungen machen!

      Diese verdammten Schmerzen. Diese Kälte.

      Er hatte das Gefühl, sein Oberkörper würde unter dem Zug der Gurte absterben. Würden die Retter den Notcode überhaupt hören?

      Als er wie durch ein kleines Fenster zum Himmel einige Sterne sah, fasste er Hoffnung. Die Rettung hinter den feindlichen Linien hatten sie mehrmals geübt. Er wusste, dass das CSAR-Team auf Weg sein musste.

      Jetzt waren sie da! Thank God! Sie hatten ihn in dieser verdammten Spalte geortet.

      »Nice to meet you!«, sagt Tim und greift nach dem Gurt des Texaners, um ihn bei sich einzuklinken. Doch der starrt nur auf Tim, dem ein verfilzter, schwarzer Zauselbart unter dem Kinnriemen des Helmes hervorquillt.

      »Du bist kein Amerikaner, du bist ein Taliban!«

      Tim lacht.

      »Nein, ich bin Tim, dein Freund von der deutschen Bergwacht!«

      Der Amerikaner guckt ungläubig in Tims Gesicht.

      Thomas schaltet sich ein: »Und ich bin Thomas, alter Junge! Kannst heute ausnahmsweise Tom zu mir sagen. Du hast dir ja ein nettes Appartement ausgesucht!«

      »Ich mache dich jetzt vom Fallschirm los«, sagt der vermeintliche Taliban, »und dann klinke ich dich an den Fahrstuhl nach oben ein. Halte dich bei mir fest! Bist du bereit?«

      Der Amerikaner nickt.

      Ein Ruck nach unten, ein kurzer Schrei, aber so laut, dass spätestens jetzt der Hindukusch aufgewacht ist.

      »Verdammt, meine rechte Schulter ist im Eimer, Vorsicht!«

      Mit schmerzverzerrtem Gesicht hängt der schwergewichtige Texaner am kleinen Tim.

      »Thomas an George, Prellung oder Bruch der rechten Schulter. Kein Blut!«

      Tim packt ihn um die Hüfte und stemmt sich mit den Füßen und dem Rücken von den Wänden ab.

      »Auf geht’s, Cowboy, es geht jetzt hoch zu Mom!«

      Wenig später sind die Drei oben. Während die Echo Force nach hinten sichert, empfangen George und Marc den Geretteten.

      »Ich bin George, Navy Seals. Willkommen bei Freunden. Bist du der Pilot oder der Weapon Systems Operator?«

      »Les Miller, WSO. Habt ihr meinen Piloten Buddy?«

      »Negativ. Wie viel Zeit lag zwischen euren beiden Schleudersitzausschüssen?«

      »Höchstens zwei Sekunden!«

      George überlegt. Am Wrack war Buddy nicht, auf gerader Linie zu Les ebenfalls nicht.

      »Dann muss dein Buddy hier in der Nähe sein! Wir müssen uns noch einmal umsehen.«

      »Charlie Force from Echo Force. Wir haben Les.«

      »Roger Echo Force – Sind abrufbereit in der Warteposition.«

      »Kannst du laufen, Les?«

      »Wenn dir sieben Stunden der Sack eingequetscht war, was glaubst du, wie schnell du laufen kannst?« Und mit Blick auf Tim: »Passt auf euren Taliban auf, traut dem nicht!«

      Dann zieht er ein verklumptes Etwas aus der Tasche und gibt es seinem neuen Freund von der deutschen Bergwacht in die Hand.

      »Was ist das?«

      »Schokolade, Taliban!«

      Tim lacht.

      »Wie geht’s deiner Schulter, Les? Brauchst du eine Spritze?«, fragt er ihn.

      »Hängt davon ab, was ihr jetzt mit mir vorhabt, am Boden robben kann ich nicht.«

      Zu Buddy McAllen ist es nicht weit. Fast stolpern sie über den Schleudersitz des Piloten. Der Fallschirm bläht sich leicht im Wind auf, zieht am Körper des langen, schlanken Amerikaners und fällt dann wieder zusammen. Buddy zittert. Seine rechte Kopfhälfte ist unter den blonden, kurz geschnittenen Haaren blutverschmiert. Durch die olivfarbene Fliegerkombi sieht George unterhalb der rechten Hüfte einen großen dunklen Fleck, darunter eine breite Lache aus getrocknetem Blut am Boden.

      »Sieht böse aus«, signalisiert George zu Marc, »er muss im Dunkeln voll an die Felskante geknallt sein.«

      »Buddy, kannst du mich hören?« George rüttelt ihn. Thomas nimmt eine Flasche Wasser aus dem Rucksack und gießt sie ihm vorsichtig über den Nacken. Der Amerikaner gibt keinen Laut von sich. Marc klatscht leicht auf Buddys Wangen, spricht ihn an.

      »Buddy, wir sind deine Freunde, kannst du mich hören, du bist fast zu Hause. Ich gucke mir jetzt deine Hüfte an!«

      »Charlie Force from Echo Team. Wir haben Buddy – Brauchen einen Medic – Macht euch auf den Weg!«

      George liest die Koordinaten von seinem mobilen GPS ab und lässt sie sich bestätigen.

      »Unser Glückstag, Jungs, wir haben beide Männer, wir haben sichere Funkverbindung und die Charlie Force ist in fünfzehn Minuten da.«

      Er schaut auf den schwer verletzten Buddy, dann rundherum und ergänzt: »Aber wir haben eine ganz schlechte Lage hier.«

      Der Trupp ist von vorne bestens einsehbar. Keine natürlichen Hindernisse. Nach hinten ein Hügel mit Sicht von oben auf die Gruppe. Buddy sitzt wie auf einem Präsentierteller an einen Stein gelehnt. Ein Wunder, dass er bisher unentdeckt blieb.

      Das Kommando liegt flach am Boden und sichert, während Thomas Buddy versorgt. Er begutachtet die tiefe Wunde an Buddys Oberschenkel, legt ihm einen Druckverband an und bedeckt ihn mit einer wärmenden Folie. Buddy hat viel Blut verloren, er droht zu kollabieren. Thomas ist Medic,


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