Drei Brüder. Jörg H. Trauboth

Drei Brüder - Jörg H. Trauboth


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zu viel! Denn es sind noch zu viele Taliban. Die beiden Rotoren wirbeln Steine und Dreck durch die Luft.

      Warum immer wieder dieses Monstergerät?, denkt Marc, hoffentlich geht das gut.

      Das Monster bewegt sich auf den Boden zu, setzt erst hinten auf, dann vorne. Krach, Nachwippen, steht endlich auf dem leicht abfallenden, felsigen Boden. Sofort springen Charlie Force Fighter mit ihren bereits angelegten Nachtsichtgeräten aus dem Chinook.

      Niederknien, zielen.

      Die Apaches drehen sich wie computergesteuerte Wesen auf die Ziele zu, geben Feuerschutz für die Echo Force.

      Marc wirft sich um die eigene Achse auf den Rücken, checkt die Lage für den Trupp. Jetzt kommt der gefährlichste Moment in diesem Hexenkessel. Für sie und die Hubschrauber, denn das ist eine perfekte Situation für einen grandiosen Feuerball mit nur einer einzigen Panzerfaust. Drei Seals schleppen unter dem Feuer der Apache-Hubschrauber Les und den mittlerweile bewusstlosen Buddy zum Hubschrauber.

      Geschafft!

      Der Medic nimmt Buddy in Empfang, er hat den Infusionsbehälter und die Sauerstoffmaske bereits in der Hand. Buddy hat jetzt eine Chance. Vielleicht.

      Ein verkabelter Amerikaner an der Tür des Chinook winkt hektisch.

      »Get in, get in!«

      »Tim, Tango hinter dir!« Marc kann ihm nicht helfen, sein Bruder steht genau in der Schusslinie.

      Der kleine Tim schnellt katzengleich herum, schießt aus der Hüfte. Der Taliban spreizt im Fallen die Arme. Seine Kalaschnikow wirbelt durch die Luft wie eine groteske Zirkusnummer.

      »Danke, Marc.«

      Tangos jetzt von allen Seiten. Die Echo Force rennt gebückt Richtung Hubschrauber.

      Gucken, erkennen, Salve, neues Magazin, weiter!

      Jeder sichert sechzig Grad.

      Sechs mal sechzig. Kein Sektor darf offen bleiben. Einer für alle, alle für einen.

      Noch zehn Meter bis zum Chinook!

      Die Charlie Force und die Navy Seals One und Two sind drin, geben Feuerschutz für George und die drei Deutschen, unterstützt von den zwei Höllenmaschinen, die noch in der Luft warten.

      Thomas kniet sich in der Deckung des Hubschraubers nieder und aktiviert die Fernzündung. In der Ferne gibt es eine gewaltige Explosion, die das Tal beben lässt. Das Echo will nicht aufhören. Es ist, als würde der Hindukusch zerbersten. Erledigt. Was geheim war, musste zerstört werden. Der US-Kampfjet dürfte nur noch aus kleinen Metallteilen bestehen.

      »Hurry up, hurry up!«, kommt von dem Amerikaner in der Tür des Chinook. Er fuchtelt jetzt hektisch mit dem Arm herum. Das Monster ist in Gefahr. Es wäre nicht das erste Mal, dass Soldaten zurückbleiben müssen.

      Tim und Thomas sind mit einem gewaltigen Sprung drin, hinter ihnen George, Seal One.

      Marc ist der Letzte am Boden. Wie immer. Erst sein Trupp, dann er.

      Das Monster hebt bereits ab. George winkt ihm hektisch zu. Marc wirft das Gewehr um die Schulter, dann ein Riesensatz zur Tür, George hält ihn fest, zieht ihn hinein. Halb hängend feuert Marc seine letzten Salven in Richtung der Mündungsfeuer am Boden.

      Die drei Hubschrauber mit der Echo Force und der geretteten F-15-Crew tauchen ab in das dunstige Tal.

      Seal One klopft seinem deutschen Freund von hinten anerkennend auf die Schulter.

      Marc Anderson befindet sich auf dem Zenit seiner Karriere, nicht wissend, dass er seine eigentliche Prüfung noch vor sich und sein Glück als Elitesoldat heute für immer verbraucht hat.

       2.

       Berlin

      Auch an diesem 17. Dezember röhrt der nicht ganz legale Auspuff der Harley Road King etwas zu laut bei der Einfahrt in die Garage des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die Polizeiposten vom Amt wissen: Rudi fährt vor, Dr. Rudolf Kürten, der Mann für alle Fälle, wenn deutsche Staatsbürger irgendwo in der Welt ein gravierendes Problem haben.

      »Guten Morgen, Herr Doktor Kürten!«

      Rudi klappt das Helmvisier hoch: »Ich hab‘ doch gesagt, lasst endlich den Doktor weg!«

      »Jawohl, Herr Doktor!«

      Es ist in der Tat ein etwas untypischer Ministerialdirigent, mit Biker-Lederjacke, einem dezenten Ohrring, einem spitzen Kinnbärtchen und zum Zopf zusammengebundenen Haar, der da sein Reich betritt.

      Sein Reich im Hochsicherheitstrakt unter Tage, eine 24-Stunden-Krisenmanagementmaschine, ist das Beste, was es in Deutschland gibt. Seine Leute sind Spezialisten vom Auswärtigen Amt, der Bundeswehr und aus den Nachrichtendiensten, Menschen, deren Vita er selbst nicht immer kennt. Doch Rudi muss sich vollkommen auf sie verlassen können. Jede falsche Koordinate, jede falsche Uhrzeit, jeder falsche Name, jede falsche Wetteranalyse oder jede falsche politische Einschätzung kann Leben gefährden. Rudis Job aber ist es, Leben zu retten. Am liebsten würde er das selbst tun.

      Aber er ist nicht Frontsoldat, sondern am Schreibtisch so etwas wie der oberste Krisenmanager der Nation. Oft genug am finalen Hebel der Verantwortung, wenn die Leitung oder sogar die Regierungschefin nicht entscheiden will.

      Rudolf betritt das Krisenreaktionszentrum durch die Tür aus Tresorstahl, einem Erbe aus früheren Tagen, als hier noch die Reichsbank untergebracht war. Der Ort war eine kluge Wahl. Die abhörsicheren, einhundertzwanzig Zentimeter dicken Stahlbetonwände und achtzig Zentimeter dicken Fensterläden aus Stahl leisten beste Dienste gegen das Abhören von außen. Da aber der Feind auch innen sitzen kann, legt jeder Teilnehmer einer Krisensitzung sein Handy vor der Tür in den kleinen Schrank mit den achtzehn verschließbaren Fächern ab, Minister eingeschlossen.

      Rudolf schaut kurz in den Lombardraum hinein, in seine Schaltzentrale.

      »Guten Morgen allerseits, irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

      Alberne Nachfrage, denkt er, denn hier ist jede Nacht etwas los und wird routinemäßig von der Nachtschicht unter Leitung des Beamten vom Dienst abgearbeitet: Entführte werden zurückgeholt, Angehörige telefonisch beruhigt, Sanitäter und Seelsorger geordert, und es wird ständig nach verschollenen Deutschen gesucht. Oft tauchen die dann irgendwann von selbst wieder auf. Nichts Besonderes. Es gibt im Fachjargon die Unterscheidung zwischen Vorkommnissen und den Besonderen Vorkommnissen, den BV, bei denen ihn die Nachtwache der Nation aus dem Bett holen würde.

      Vor dem Beamten vom Dienst stehen vier Telefone, eines mit der Aufschrift Vorsicht Abhörgefahr! An sich nicht notwendig, denkt Rudi, meine Leute sind von Haus aus verschwiegen. Sie reden auch über die verschlüsselten Geräte nur das absolut Notwendige. Am liebsten: Verstanden – Roger – Over – Out.

      Die Welt draußen ist hier in einen einzigen Raum gepackt. Neun Normaluhren mit den Namen der Hauptstädte, austauschbar mit dem aktuellen Krisenort in der zugehörigen Zeitzone. An der Wand Karten und die Privat- und Handynummern der Minister und Staatssekretäre. Sensible Daten, die abgedeckt werden, wenn Fremde das Allerheiligste betreten. Rund um die Uhr gehen die Ticker-Meldungen der Agenturen über Bild und Text ein, ebenso die BND- und BKA-Berichte und die der zweihundertvierzig deutschen Botschaften, so genannte Drahtberichte, die immer noch so heißen, obwohl sie längst elektronisch sind. Überall flimmert es, zehn Bildschirme allein für die Nachrichtensender. Für fast jedes Land gibt es einen Länderordner. Es gibt kaum etwas, was hier planerisch nicht schon vorgedacht ist.

      Jeden Morgen wundert sich Rudi darüber, dass es hier bei dem Rund-um-die-Uhr-Betrieb in drei Schichten nicht muffig riecht. Wenn es richtig heiß hergeht, hat er im Amt eine Reserve von über zweihundertfünfzig geschulten Beamten für den Telefondienst. Bei Rudi läuft alles zusammen. Er ist ein Kellerkind der besonderen Klasse.

      Allerdings ist sein Dienstzimmer kein Kellerverließ, es ist


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