Drei Brüder. Jörg H. Trauboth
Terroristen in schwarzer IS-Kampfkleidung, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen hochhaltend. Neben jedem Gefangenen steht ein Terrorist mit einem Messer in der Hand – am Hals der Geisel.
Jetzt steht die Bundeskanzlerin auf, geht näher an den Bildschirm heran, sie studiert die Augen hinter den Masken, alles junge Männer, nein, eindeutig eine Frau dabei! Die Uniformen sauber, perfekt. Geschnürte Kampfstiefel. Am Gürtel etliche Ausrüstungsteile. Bodyguards aus dem Vorhof der Hölle.
Im Hintergrund eine Fahne: Tod den Feinden der Gotteskrieger.
Die brauchen gar nicht mehr zu sprechen, denkt sie, die perfekte Inszenierung zum Angst machen.
Sie sagt kein Wort. Im Raum ist es mucksmäuschenstill, als sie sich wieder setzt. Ihr Gesicht ist ernst, aber nicht fassungslos.
»Bitte weiter!«
Der Krieger in der Frontreihe spricht frei, in tadellosem, fast akzentfreiem Deutsch:
»Wegen der Entscheidung der deutschen Bundesregierung, dem Islamischen Staat zu schaden, werden diese beiden deutschen Geiseln sterben. Wir werden Sie, Henriette Behrens, Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, wo immer Sie sind, jagen, finden und schänden. Von nun an sind Sie nicht mehr allein. Noch haben Sie Zeit zum Überlegen. Wenn Deutschland unsere Forderung nicht erfüllt, werden Weier und Fischer an eurem Weihnachtstag, dem 25. Dezember, zwölf Uhr, enthauptet. Ein weiteres Ultimatum wird es nicht geben. Allahu Akbar!«
Im Hintergrund wird geschossen. Die Geiseln sind vor Angst erstarrt.
Dann dreht sich der Sprecher herum. Offensichtlich ist die Vorführung vorbei.
Doch dem ist nicht so.
Auf seinem Rücken sehen die Menschen im Krisenkeller ein großflächiges Foto von der Bundeskanzlerin. Henriette Behrens – verzerrt zu einer hämischen Fratze.
Um Gottes Willen, denkt sie, auch das noch …
Das Bild ist unerträglich, und doch kann sie den Blick nicht abwenden. Was sind das plötzlich für dunkle Flecken, die jetzt auf dem Orange der Gefangenenhemden zu erkennen sind? Wasser …?
Dann sieht sie einen Strahl.
Mein Gott … nein … er uriniert sie an … er uriniert Weier und Fischer an … ins Gesicht … mit meinem Bild auf dem Rücken …
Auf dem Bildschirm flimmert es. Der Spuk ist vorbei.
Es ist jetzt sehr still im Raum. Nur die Normuhren ticken in der Stille, leise und erbarmungslos, erinnern daran, dass die Zeit drängt.
Henriette trinkt einen Schluck Wasser. Sie wirkt äußerlich wenig beeindruckt. Aber in ihr lodert urplötzlich eine unglaubliche Wut. Es fehlen ihr die Worte.
Ein offensichtlich deutscher Terrorist, der auf zwei dem Tode geweihte deutsche Staatsbürger uriniert, und die Bundeskanzlerin und damit Deutschland in übelster Weise beschmutzt!
Sie weiß, dass sie nur mittelbar gemeint ist. Es ist primär eine Botschaft der IS-Terrormiliz an die Welt. Aber es ist auch eine höchst persönliche Drohung. Sie könnte tatsächlich jetzt hoch gefährdet sein. Die Sicherheitsstufe muss wohl auf 1+ hochgefahren werden, denkt sie als Erstes, nachdem sie sich gefangen hat.
»Wie ist ihre Bewertung, meine Herren?«
»Ministerialdirigent Dr. Kürten wird Ihnen die Lagebeurteilung vortragen«, sagt der Außenminister.
»Zunächst, Frau Bundeskanzlerin, das Video wurde nach fünf Minuten aus dem Netz genommen.«
»Zu lange. Damit ist es im Netz unterwegs«, bemerkt von Rüdesheim.
Rudi wendet sich direkt an die Kanzlerin. Er nimmt in Kauf, dass sein Chef ihn dafür nur von der Seite sieht.
Der oberste Krisenmanager der Nation ist rhetorisch perfekt und heute in Höchstform. Er braucht keinen Beamer. Sein Beamer ist er selbst, seine sichere Gestik und das Spiel mit den Augen. Er schaut nach rechts und links, als lese er von einem Teleprompter. Dabei wirkt er völlig unprätentiös, ohne jede Eitelkeit oder Überheblichkeit. Sobald er Quellen erwähnt, spricht er die betroffenen Experten direkt an.
Rudi entführt die Zuhörer für eine Zeit in den Abgrund des Dschihad. Die Zuhörer merken nicht, dass hinter dieser perfekten Präsentation eine komplexe Strategie steht, durch die alle Leitungsebenen, und die Kanzlerin insbesondere, zu bestimmten Entscheidungsoptionen geführt werden sollen. Der ungewöhnliche Ministerialdirigent mit kleinem Zopf und Kinnbärtchen hätte Turnschuhe anhaben können, an seiner Klasse würde dieses nichts ändern. Und die zählt hier.
Die Kanzlerin hört aufmerksam zu. Zwischendurch macht sie Notizen.
»Wie viel Lösegeld fließt jährlich in die Hände der Terroristen, Herr Kürten?«
Sie hat über die Arbeit dieses Krisenmanagers bisher nur das Beste gehört.
»Allein im letzten Jahr hat al-Qaida fünfzig Millionen Euro Lösegeld einkassiert.«
Rudi lässt die Zahl für einen kurzen Moment im Raum stehen.
Millionen für Geiseln, Millionen für neue Waffen. Neue Entführungen, neue Millionen … neue Waffen. Der Kreislauf des Terrors …, denkt Henriette.
»Wer ist unser Gegner in dieser Lage?«, fragt sie.
»Keiner von uns kennt die Lage so gut wie Direktor Harry Busch, Frau Bundeskanzlerin.«
Harry erfüllt ganz und gar nicht das Klischee eines BKA-Beamten. Gewinnend, groß, schlank, stattlich mit vollem, silberfarbenem Haar. Seit vielen Jahren leitet er die Verhandlungen der Bundesregierung mit kriminellen Gruppen und Einzeltätern im Ausland. Wenn er nicht direkt vor Ort ist, gibt er wenigstens für jede Phase die Verhandlungsstrategie vor. Sobald die Forderung auf dem Tisch liegt und der Fall einigermaßen klar ist, empfiehlt er der Leitung, ob und wie viel geboten werden sollte.
Lösegeldzahlungen sind eine heikle Sache im Amt. Natürlich geschehen sie, aber man spricht nicht darüber. Das Agreement in der Verhandlung macht er erst, nachdem er alles über seine Gegner weiß. Man muss den Gegner kennen, bevor man ihn füttert.
»Schießen Sie los! Herr Busch! Ich bin gespannt auf Ihr Wissen!«
Harry Busch verbeugt sich kurz, ist äußerlich unbeeindruckt.
Was hat der, was ich nicht habe, fragt sich Bloedorn. Dass die Bundeskanzlerin seinen Ohrring-Chef offensichtlich kennt und mag, gefällt ihm gar nicht. Nun auch noch dieser Harry! Er überlegt, wie er die Aufmerksamkeit der Kanzlerin auf sich ziehen kann.
Doch Harry startet.
»Die Geiseln befinden sich im Nordirak in Kalak Chyah, wie Sie hier sehen, nordöstlich von Mossul, etwa achtzig Kilometer Luftlinie hinter der türkischen Grenze. Die Gegend wird überwiegend von Sunniten bewohnt und wurde von den Dschihadisten eingenommen. Für die entflohenen Bewohner sind nicht die ebenfalls sunnitischen IS-Kämpfer die Schuldigen, sondern der schiitische Ministerpräsident in Bagdad. Beide Geiseln wurden vor vier Tagen durch amerikanische Drohnen identifiziert. Danach haben wir gebeten, die Drohnenflüge einzustellen.«
Es folgen sechs Luftaufnahmen von einem einsam gelegenen Haus. Flachbau, zwei sitzende Männer an einem Tisch davor. Ein Bild zeigt in einiger Unschärfe, wie zwei Menschen gefesselt vor das Haus geführt werden.
»Sind wir denn sicher, dass das unsere Geiseln sind? Ich erkenne das nicht«, fragt Henriette.
»Die beiden Figuren auf dem Hof wurden mit den besten Methoden der Bildauswertung als unsere beiden gekidnappten Deutschen identifiziert, Frau Bundeskanzlerin. Der linke ist Helmut Weier, der rechte Josef Fischer. Wir sind da sehr sicher, denn einer unserer eigenen Leute«, er schaut zu Brigadegeneral Wolf hinüber, »operiert seit Einstellung der Drohnenflüge in dem Gebiet. Er ist zurück und meldete, dass die Geiseln leben, und vermutlich nur von zwei bis vier Kämpfern bewacht werden. Vorher waren mehr da, aber die sind in die umliegenden Kämpfe am Staudamm verwickelt. Das Gebiet ist komplett