Drei Brüder. Jörg H. Trauboth

Drei Brüder - Jörg H. Trauboth


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es.

      »Ich will, dass die Geiseln rauskommen. Also, welche machbaren Optionen haben wir?«

      Zum ersten Mal meldet sich der Bundesminister der Verteidigung, Paul Voss, zu Wort. Man weiß, wann immer er sich meldet, und das ist selten, macht er eine Punktlandung. Und er scheint im Anflug zu sein.

      Er schaut sie mit festem Blick an. »Ich sehe nur eine Lösung in dieser Lage, Frau Bundeskanzlerin. Wir holen sie SOFORT SELBST heraus!«, spricht er ruhig und bestimmt.

      Der Satz schlägt ein wie eine Bombe. Man kennt den Einfluss von Voss bei der Kanzlerin. Sie selbst hat den Parteilosen in das Ressort geholt. Und sicherlich nicht, weil der Mitte fünfzigjährige blonde Riese der best aussehende und best angezogene Mann im Kabinett ist, sondern weil er ebenso unkonventionell Problemlösungen ansteuert wie sie selbst. Er gilt konkurrenzlos als der Vertraute in ihrem engsten Zirkel.

      »Und wie stellen Sie sich das SOFORT RAUSHOLEN vor?«, will die Kanzlerin mit Blick auf Voss wissen.

      »Wir machen das mit dem KSK, dem Kommando Spezialkräfte. Die Chancen stehen gut. Wir sind nicht weit von der türkischen Grenze entfernt und operieren somit aus dem NATO-Territorium heraus. Der Plan steht im Wesentlichen bereits. Wenn Sie möchten, wird Brigadegeneral Wolf, Kommandeur KSK, den Befreiungsplan vortragen.«

      Die Kanzlerin runzelt die Stirn, ist offensichtlich etwas überrascht über diese Vorplanung innerhalb des Heeres.

      »Hm, aber warum das KSK und nicht die GSG 9?«, wirft sie ein, »die waren doch schon 1977 in Mogadischu extrem erfolgreich, wenn ich mich recht erinnere.«

      »Würden wir gern übernehmen«, sagt Innenminister Dr. Bauer, »aber in diesem konkreten Fall hat das KSK größere Erfahrung, sowohl durch das Personal wie auch im Gelände, das dem in Afghanistan nicht unähnlich ist.«

      »Wir haben das Szenario seit den ersten Hinweisen bereits auf Machbarkeit geprüft. Männer und Ausrüstung stehen seitdem bei mir in Calw bereit«, ergänzt der Brigadegeneral.

      Henriette sieht bereits den Protest im Bundestag. Wenn Militärs im vorauseilenden Gehorsam vorpreschen, müssen Politiker besonders aufpassen.

      »Wie ist die rechtliche Situation zum Einsatz des KSK? Brauchen wir die Zustimmung des Iraks?«

      »Wir haben und wollen aus Geheimhaltungsgründen nicht die Zustimmung des Iraks. Ein Einsatz des KSK in fremden Staaten ohne deren Einwilligung verstößt klar gegen das Völkerrecht«, erläutert Innenminister Dr. Bauer. Er blickt vielsagend über seine Lesebrille zur Kanzlerin und ergänzt, »das kann man später regeln.«

      Der Bundesaußenminister wackelt sichtbar und bedeutungsvoll mit dem Kopf – aber er schweigt. Die Kanzlerin versteht das als Zustimmung.

      »Angenommen, wir kommen unserer Schutzverpflichtung mit allen Konsequenzen nach: Spielt es rechtlich eine Rolle, dass die Geiseln sich freiwillig und entgegen aller Warnungen in das Kriegsgebiet begeben haben?«, fragt sie.

      »Niemand darf gegen seinen Willen an einer derartigen Reise gehindert werden«, antwortet Dr. Bauer, »die Entscheidung für die Reise hebt die Schutzpflicht des Rechtsstaates nicht auf.«

      Diese geldgierigen Firmen, denkt Henriette, das kann Menschenleben kosten und uns eine Menge politischen Ärger.

      »Gut, weiter. Ist der mögliche Einsatz des KSK im Nordirak durch das Parlament zu genehmigen? Wenn ja, können wir das gleich vergessen.«

      Sie blickt zum Bundesverteidigungsminister.

      »Das KSK kann, wie auch die Bundeswehr an sich, grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages an bewaffneten Einsätzen im Ausland teilnehmen. Wir kennen ja die ministerielle Bedeutung von grundsätzlich, soll heißen, Ausnahmen sind erlaubt. Und das wäre auch der Weg. Die einzige Ausnahme ist: Gefahr im Verzug für deutsche Staatsbürger. In diesem Fall ist das Parlament so schnell wie möglich nachträglich zu befragen.«

      »Dann hätten wir das Thema ja vom Tisch. Hoffentlich! Gut, meine Herren, kommen wir zu den Fähigkeiten des KSK. Was darf das KSK vor Ort, was darf es nicht?«

      Alles schaut gespannt auf den Brigadegeneral. Die meisten wissen, dass Frank Wolf stolz auf seine Truppe ist, aber auch, dass es für die deutschen Elitesoldaten klar definierte Grenzen im Einsatz gibt.

      »Das KSK ist von der Ausrüstung und Ausbildung eine Eliteeinheit, auch wenn es offiziell nicht so heißt. Die Spezialkräfte haben keine besonderen rechtlichen Einsatzgrundlagen. Aus diesem Grund sind sie auch allen anderen Bundeswehreinheiten gleichgestellt.«

      »Können Sie das bitte übersetzen, Herr General?«

      »Es bedeutet, dass wir nicht die gleiche Handlungsfreiheit im Einsatz haben wie zum Beispiel amerikanische, englische oder israelische Spezialkräfte. Schießen ist nur bei Abwehr von Gefahren oder in Notwehrsituationen erlaubt. Gezielte Tötungen Verdächtiger im Sinne einer Liquidierung sind bei den Partnern üblich, bei uns sind sie strikt verboten. Verdachtspersonen muss man nach Ansprache festnehmen, im Zweifelsfalle laufen lassen. Wir dürfen Gefangene nicht an Länder übergeben, in denen die Todesstrafe droht. Der KSK-Soldat agiert also in vielen Situationen in rechtlich ungeklärtem Rahmen, und das kann schon mal Verwirrung schaffen.«

      »Erläutern Sie das bitte genauer.«

      »Die Verbündeten sind von der Einsatzbefähigung des KSK hoch beeindruckt. Wir trainieren Seite an Seite, auch in deren Hubschraubern. Im gemeinsamen heißen Einsatz allerdings sind wir nicht wirklich beliebt. Wenn die anderen kurzen Prozess machen, stehen wir aus rechtlichen Gründen im Zweifelsfall voll auf der Bremse.«

      Man spürt im Raum, auf welch dünnem Eis sich der Kommandeur KSK bewegt. Steht er in Konflikt mit seinem rechtlichen Umfeld? Hat er ein Problem mit dem Primat der Politik? Es könnte sein letzter Auftritt sein, denkt Bloedorn zufrieden.

      »Sind ja gute Aussichten, Herr General. Ich höre die Jungs im Irak schon rufen Sie sind vorläufig festgenommen! Warum schlagen Sie mir diese Unwägbarkeiten vor?«

      Der drahtige, baumlange Wolf, der für Henriette eine gewisse Ähnlichkeit mit dem legendären Kommandeur GSG 9 im Mogadischu-Einsatz hat, fährt unbeirrt fort:

      »Ich musste das grundsätzlich ausführen, damit das Ganze klar wird. Hier aber ist die konkrete Gefahrenlage anders. Wir haben ein kleines, überschaubares Handlungsfeld. Jeder Dschihadist, den wir im Umfeld der Geiseln antreffen, ist eine potenzielle Gefahr. Es wird natürlich keiner vorläufig festgenommen. Das heißt wie bei den anderen Spezialkräften: Überraschung, kompromissloser Angriff und Rückzug.«

      »Können Sie das bitte mal übersetzen?«

      »Keine Verwundeten, keine Gefangenen, Rückkehr mit zwei lebenden Geiseln.«

      »Und wenn Zivilisten als Schutzschild im Einsatzgebiet sind?«

      »Davon gehe ich nicht aus, und letztlich – ein Restrisiko bleibt.«

      »Über welche Kräfte reden wir?«

      »In der Befreiungsoperation sieben Elitesoldaten. Dazu zwei Hubschrauber, zwei weitere als Back-up, und eine 120 Mann starke Logistik- und Einsatzzentrale auf türkischer Seite unter meiner Führung. Die türkische Seite wird unser Vorhaben nach meiner Einschätzung auch genehmigen. Ich erinnere an den Einsatz meiner Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze, die bei der erfolgreichen Befreiung von zwanzig türkischen Soldaten maßgeblich beteiligt waren. Wir haben bei unserem NATO-Partner Türkei noch etwas gut, und das hat man uns danach auch klar gesagt.«

      »Na ja, dann hoffen wir das mal. Sind unsere Kräfte denn in dieser schwierigen Lage ausreichend?«

      »Angesichts der sehr überschaubaren Lage denken wir – ja.«

      »Haben wir Ausrüstungslücken?«

      »Dieses Kommando hat das Beste, was auf dem Markt ist. Wir setzen den neuen Hubschrauber H145M für die Spezialkräfte ein. Gepanzert, bewaffnet, Nachtsichtfähigkeit. Ein Prototyp, extra für


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