Energiepolitik und Elektrizitätswirtschaft in Österreich und Europa. Axel Kassegger
die Ölproduktion dramatisch zu drosseln. Dies führte zu einem enormen Anstieg der Ölpreise, dem ersten „Ölpreisschock“ 1973, der eine veritable Wirtschaftskrise in Europa auslöste. Gleichzeitig traten 1973 Großbritannien, Irland und Dänemark den drei Gemeinschaften bei, was aus Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit aufgrund der Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Nordsee positiv war.
Als Konsequenz auf das Verhalten der OPEC wurde am 15. November 1974 auf Vorschlag der USA die Internationale Energieagentur (IEA)7 als eine autonome Einheit der OSZE mit Sitz in Paris gegründet. Sie sollte einerseits ein Gegengewicht zur OPEC darstellen, so verfügt sie über strategische Ölreserven, mit denen sie in den Ölmarkt eingreifen kann. Andererseits ist sie eine Kooperationsplattform im Bereich der Forschung, Entwicklung, Markteinführung und Anwendung von Energietechnologien. Der jährlich erscheinende „World Energy Outlook“ der IEA gilt mittlerweile als die „Bibel der Energiewirtschaft“ 8.
Auch auf europäischer Ebene reagierte man auf die Ereignisse des „Ölpreisschocks“ 1973. So stellte die Kommission im Jahr 1974 klar fest, dass die Europäischen Gemeinschaften (EG) eine gemeinsame, abgestimmte Energiepolitik brauchen. Der Rat stimmte dem zu und quantifizierte mit seiner Resolution vom 17. Dezember 19749 erstmals energiepolitische Ziele, die naturgemäß stark von dem Gedanken der Erhöhung der Versorgungssicherheit geprägt waren. So legte man unter anderem als Ziele fest, die Energieimporte aus Drittstaaten bis 1985 auf unter 50 %, wenn möglich auf unter 40 % zu senken. Außerdem sollte der Energieverbrauch generell bis 1985 um 15 % und der Ölverbrauch um 9 % verringert werden.
Die 1980er-Jahre waren energiepolitisch von zwei einschneidenden Ereignissen geprägt: Einerseits dem zweiten „Ölpreisschock“ in den Jahren 1980/81 als Ergebnis drastischer Produktionsverringerungen im Iran und Irak aufgrund der Iranischen Revolution 1979 und dem 1980 beginnenden Krieg zwischen diesen beiden Ländern. (Die Kommission und der Rat reagierten mit weiteren Resolutionen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und der effizienteren Nutzung von Energie, die praktische Umsetzung war jedoch vernachlässigbar.) Andererseits führte der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986 zumindest zu der Entscheidung des Rates vom 17. Dezember 198710, den Informationsaustausch in frühen Phasen eines atomaren Notfalls zu verbessern.
EINHEITLICHE EUROPÄISCHE AKTE 1986
Die 1980er-Jahre waren auf europäischer Ebene geprägt vom Prozess der Integration, welcher 1992 mit dem Vertrag von Maastricht und der Gründung der Europäischen Union seinen Abschluss finden sollte. Europäische Energiepolitik spielte in dieser Zeit eine untergeordnete Rolle. Das große Ziel der 1980er-Jahre war die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes für die mittlerweile auf 12 Mitglieder angewachsenen Europäischen Gemeinschaften (EG)11.
Ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg war die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 17. bzw. 28. Februar 198612 in Luxemburg als Zusatzvertrag zu den bestehenden Gemeinschaftsverträgen einerseits und mit der Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die bestehende Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ). Die EEA brachte vor allem Neuregelungen hinsichtlich der Entscheidungsprozesse im Rat, der Befugnisse der Kommission und eine deutliche Aufwertung des Europäischen Parlaments.
Obwohl die EEA 1986 in keinem Teil explizit auf energiepolitische Fragestellungen Bezug nahm, hatte sie indirekt dennoch Einfluss auf die weitere Entwicklung des Energiesektors insoweit, als die hier postulierten Ziele der Förderung der Liberalisierung, des Wettbewerbs, des marktwirtschaftlichen Zugangs und der Erreichung eines europäischen Binnenmarktes in den weiteren Jahrzehnten zu massiven Änderungen im Energiesektor im Allgemeinen und im Bereich der Elektrizitätswirtschaft im Besonderen führen sollte.
Erwähnenswert ist auch, dass mit der EEA 1986 erstmalig der Bereich des Umweltschutzes ein eigenständiger Themenbereich von Bedeutung wurde. In den 1980er-Jahren dominierte bei der Verknüpfung der Themen Senkung des Energieverbrauches und Umweltschutz das Problem Treibhauseffekt. Dies führte am 7. Mai 1990 zur Gründung der Europäischen Umweltagentur (EUA)13, die 1994 ihre Arbeit mit Sitz in Kopenhagen aufnahm.
VERTRAG VON MAASTRICHT 1992: DIE EUROPÄISCHE UNION (EU)
Mit dem Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 199214 wurde der bis dorthin größte Schritt der europäischen Integration gesetzt. Er löste die Römischen Verträge von 1957 ab und führte zur Gründung der Europäischen Union (EU) als übergeordnetem Verbund für die drei Europäischen Gemeinschaften. Darüber hinaus wurde die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gegründet.
Für die europäische Energiewirtschaft im Allgemeinen und die europäische Elektrizitätswirtschaft im Besonderen hat der Vertrag von Maastricht 1992 erhebliche Relevanz. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges interessiert sich die europäische Ebene in der Energiepolitik ernsthaft für die Bereiche der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft.
Zwar ist kein eigenes Kapitel des Vertrags explizit der Energiepolitik gewidmet, erstmals wird jedoch das Thema Energie im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaften behandelt und mit dem Vertrag von Maastricht 1992 ein Prozess in Gang gesetzt, der insbesondere für den Bereich der Elektrizitätswirtschaft in den folgenden 30 Jahren weitreichende Veränderungen bringen sollte.
Abgeleitet von den vier Grundfreiheiten zur Verwirklichung des Binnenmarktes der Europäischen Union (Freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Freier Kapital- und Zahlungsverkehr)15 war es Ziel der Europäischen Union, die Grundregeln dieses Binnenmarktes schrittweise auch auf die Elektrizitätswirtschaft zu übertragen16, um diesen Bereich auch von den Vorteilen eines Binnenmarktes profitieren zu lassen. Dies war die strategische Zielvorgabe von 1992, die in den folgenden Jahrzehnten durch insgesamt drei Energiebinnenmarktpakete umgesetzt wurde.
Energiepolitik als Angelegenheit der Europäischen Union
Zu Beginn der 1990er-Jahre waren die meisten Bereiche der Elektrizitätswirtschaft und auch der Gaswirtschaft im Eigentum nationaler Gesellschaften der öffentlichen Hand in einem monopolartig strukturierten Markt. Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung und Gestaltungsmacht lagen voll in Händen der entsprechenden politischen Entscheidungsträger und Manager der überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Unternehmen.
Es war das 1992 definierte strategische Ziel der Europäischen Union, diese Märkte der Elektrizitätswirtschaft schrittweise für den Wettbewerb zu öffnen, indem:
• zwischen Bereichen des Wettbewerbs (z. B. die Versorgung der Abnehmer mit Elektrizität) und nicht-wettbewerblichen Bereichen (z. B. vor allem die Infrastruktur und die Netze) klar unterschieden wird.
• Betreiber von Netzen und anderer nicht-wettbewerblicher Infrastruktur Dritten den freien Zugang erlauben müssen.
• Barrieren auf Erzeugerseite abgebaut werden müssen.
• der Wechsel von Anbietern frei möglich sein muss.
• unabhängige Regulierungsbehörden geschaffen werden, die den Sektor überwachen.
Mit dem Ziel, schrittweise den Energiebinnenmarkt zu verwirklichen, war freilich faktisch bereits 1992 die Entscheidung gefallen, mittelfristig die gesamte Energiepolitik zu einer Angelegenheit der Europäischen Union zu machen.
Das gängige Prozedere war ab diesem Zeitpunkt jenes, dass auf Ebene der EU zuerst seitens der Kommission entsprechende Strategiepapiere entwickelt und zunächst als Grünbuch, in weiterer Folge als Weißbuch17, Mitteilungen oder Empfehlungen veröffentlicht wurden, danach das Trilogverfahren mit dem Rat und dem Europäischen Parlament in Gang gesetzt wurde, das schließlich mit entsprechenden Richtlinien und Verordnungen des Rates und des Europäischen Parlamentes seinen Abschluss fand. Die EU-Verordnungen sind dann auf Ebene der Nationalstaaten unmittelbar gültiges Recht, die EU-Richtlinien sind binnen vorgegebener Frist