Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
ist Gerighauser nicht geschützt worden gekommen?“, fragte jetzt Rudi. „Eigentlich wäre das doch in seinem Fall üblich.“
Kassavetes vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah erst Rudi und dann mich einen Moment lang an. „Rademacher meinte, er hätte ihm das angeboten, aber Gerighauser wollte das nicht. Er würde der Polizei, der Staatsanwaltschaft und allen anderen, die mit dem Staat zu tun hätten, nicht trauen. Einem wie ihm würden die sowieso nicht helfen...“
„Und für dieses Gespräch gibt es keine Zeugen?“, fragte ich. „Oder waren Subotitsch und Maybaum dabei?“
„Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung.“
Ich holte ein paar zusammengefaltete Computerausdrucke aus der Innentasche meiner Jacke und reichte sie Kassavetes.
„Was ist das?“, fragte er, noch ehe er die Blätter auseinandergefaltet hatte.
„Die ausgedruckten Datenblätter jener Personen, auf deren Anzeige hin damals die internen Ermittlungen eingeleitet wurden. Vielleicht können Sie uns etwas dazu sagen. Schließlich sind alle wegen Drogendelikten vorbestraft und hatten verschiedentlich mit Beamten Ihrer Abteilung zu tun.“
Kassavetes warf einen Blick auf die Blätter. „Rafi Mustafi war die treibende Kraft. Ein Kleindealer, der uns wiederholt ins Netz gegangen war. Ich erinnere mich genau an den Fall. Rademacher und Maybaum haben ihn als Informanten angeworben, nachdem er mit einer kleinen Menge Crack verhaftet wurde. Später behauptete er, Rademacher und Maybaum hätten ihm gedroht, sie könnten die Beweismittel so manipulieren, dass er für Jahre in den Knast wandern würde. Nur deswegen habe er als Informant gedient!“
„Und die beiden anderen?“, fragte ich.
„Victor Beinhauer und Benjamin Braun kamen erst aus ihren Löchern, als die Ermittlungen schon liefen. Zu einer Zeugenaussage vor Gericht kam es nie.“
„Weshalb nicht?“
„Beinhauer war plötzlich verschwunden und tauchte erst zwei Monate nach der Verhandlung wieder auf, als er nach einer Prügelei festgenommen wurde.“
„Könnte ihn jemand überzeugt haben, dass es besser für ihn wäre, nicht auszusagen?“, hakte ich nach.
„Das ist reine Spekulation, Herr Kubinke.“
„Aber möglich.“
Kassavetes zuckte die Schultern. „Vielleicht entsprach es auch einfach nicht der Wahrheit, was er behauptete und da hat er kalte Füße bekommen.“
„Und was ist mit Nummer drei?“
„Benjamin Braun? Der hat seine Aussage offiziell zurückgezogen. War eine ziemlich große Blamage für die Staatsanwaltschaft.“
„Wenn die Sache so eindeutig war, dann verstehe ich nicht, weshalb Maybaum und Rademacher versetzt wurden!“
Kassavetes lachte heiser auf. „Auf meinem Mist ist das nicht gewachsen, dass können Sie mir glauben. Das kam von ganz oben aus dem Rathaus. Man wollte wohl nicht den Anschein erwecken, dass wir die Augen zumachen, wenn einer von uns mal einen Fehltritt begeht.“
„Mal ganz ehrlich, Herr Kassavetes. Würden Sie denn die Augen in einem solchen Fall schließen?“, mischte sich jetzt Rudi ein.
Herr Kassavetes schluckte. Er stand von seinem Platz auf, ging zum Fenster, blickte kurz hinaus und kratzte sich am Kinn.
„Über allem steht immer noch das Gesetz“, sagte er schließlich. „Auch über einem Polizisten.“
„Es freut mich, dass Sie so denken, Herr Kassavetes“, erwiderte ich.
Er hob die Augenbrauen.
„War es das? Wir haben hier nämlich in diesem Dezernat auch noch einen Job zu erledigen!“
Ich nickte. „Das war’s.“
Wir wandten uns zum Gehen.
Kurz vor dem Ausgang von Kassavetes’ Büro fragte ich noch: „Hatte Rademacher eigentlich eine Freundin?“
„Nichts Festes. Jedenfalls nicht in den letzten zwei Jahren. Davor hatte er eine längere Beziehung und ich glaube, die beiden wollten auch heiraten. Ich glaube, der Job hat sie dann wohl auseinander gebracht. Es ist für eine Partnerin nicht unbedingt angenehm, mit einem Polizisten verheiratet zu sein. Die Überstunden, die unregelmäßigen Arbeitszeiten, und die ständige Gefahr, dass man den geliebten Menschen nicht wieder sieht, weil irgendein Irrer ihm eine Kugel in den Kopf knallt...“
„Sagt Ihnen der Name Christine Wistanow etwas?“
„Nein, tut mir leid, Herr Kubinke. Jedenfalls nicht aus dem Stegreif.“
„Sie hat behauptet, mit Rademacher eine Beziehung geführt zu haben.“
„Fragen Sie Subotitsch und Maybaum. Die kannten Thorben Rademacher noch etwas besser als ich.“
15
Christine Wistanow ging in Begleitung ihres Anwaltes Karlheinz Bandella die Stufen des Gerichtsgebäudes hinunter. Bandella war ein untersetzter Mann mit hoher Stirn und ziemlich beleibt. Sein Hals war so dick, dass er den obersten Hemdknopf stets offen und die Krawatte gelockert tragen musste. Aber vor Gericht pflegte Bandella äußerst überzeugend und sehr energisch aufzutreten.
„Eigentlich können Sie mit dem Verlauf zufrieden sein – und die Kaution bewegt sich doch in einem annehmbaren Bereich.“
„Wenn ich sie selbst bezahlen müsste, wäre ich ruiniert!“, erwiderte Christine.
Karlheinz Bandella lächelte breit. „Jetzt übertreiben Sie aber, Christine! Ich soll Ihnen übrigens Grüße von Herr Farkas ausrichten.“
„Danke...“
Ein blauer Ford hielt vor dem Gerichtsgebäude. Zwei Männer stiegen aus. Einer von ihnen war flachsblond, der andere dunkelhaarig.
„Frau Christine Wistanow?“
„Wer zum Teufel ist das denn?“, fragte Karlheinz Bandella.
Die beiden Männer kamen auf Christine Wistanow und ihren Anwalt zu.
„Jürgen Carnavaro, BKA“, sagte der Blonde und hielt seinen Ausweis sowohl Christine als auch Bandella entgegen.
„Sie schon wieder?“, schimpfte die junge Frau.
„Meinen Kollegen Oliver Medina kennen Sie bereits ebenfalls!“, sagte Jürgen.
„Das grenzt schon