Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
schien nachzudenken.
Ziemlich lange, wenn man bedachte, dass er nur entscheiden musste, ob er von Khalil gehört hatte oder nicht. Aber statt mir zu antworten, stellte er mir eine Gegenfrage.
"Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich etwas über diesen Khalil weiß?"
"Weil ich ihn zumindest als eine so große Nummer einschätze, dass er jemandem wie Ihnen ein Begriff sein könnte!"
Dietrich stand auf und trat nahe an mich heran. Er packte seine Zigarette mit zwei Fingern und blies mir den Rauch ins Gesicht.
"Tut mir leid", sagte er dann gedehnt. "Ich bin schon eine ganze Weile nicht mehr im Geschäft."
Er ließ die Zigarette zurück zwischen die Lippen gleiten und steckte seine Hände dann in die weiten Taschen seiner dunklen Hose.
"Was Sie nicht sagen", murmelte ich. Ich glaubte ihm kein Wort.
Er hob die Schultern und schien wohl auch zu finden, dass das nicht sehr überzeugend geklungen hatte. Also schob er noch etwas nach. "Zu gefährlich", meinte er. "Türkische Banden und die Kolumbianer haben hier viel an Terrain gewonnen. Glauben Sie, ich versuche, mich mit aller Gewalt dazwischen zu drängen? Ich bin ja nicht lebensmüde. Außerdem habe ich das auch nicht mehr nötig. Es gibt auch andere profitable Geschäfte."
Ich nickte leicht.
"Und den Namen Khalil haben Sie noch nie gehört?", fragte ich dann mit einer unüberhörbaren Spur Sarkasmus in der Stimme.
"So ist es", erwiderte er.
7
Am Nachmittag fuhr ich bei seiner Privatadresse vorbei, die in einem Frankfurter Vorort gelegen war und warf einen Umschlag mit Geldscheinen in den Briefschlitz.
Auf dem Rückweg in die Stadt kaufte ich mir dann in einem Elektro-Markt ein kleines Radio. Die nächsten Tage würde ich zum Großteil zwischen irgendwelchen Hotelwänden verbringen, wollte aber dennoch auf dem Laufenden bleiben. Ich musste wissen, wie weit meine Verfolger waren. Später besorgte ich mir dann ein Zimmer in einer anonymen Absteige am Bahnhof.
Der Pakistani, der hier den Portier spielte, sah sich zwar jeden Geldschein, den ich ihm vorstreckte, sehr genau unter einem Sichtgerät an, aber für meinen Pass hatte er nur einen flüchtigen Blick. Er notierte sich die Nummer in so ungelenken Buchstaben, dass ich bezweifelte, ob diese Hieroglyphen je wieder zu entziffern sein würden.
"Frühstück?", fragte er akzentbeladen.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein."
Das Zimmer war sein Geld nicht wert. An der Decke war Schimmel, der nur notdürftig mit weißer Farbe übertüncht worden war. Am Waschbecken tropfte der Wasserhahn und das Bett machte auch nicht den Eindruck, als könnte man sich dort allzu heftig im Schlaf drehen. Die Federn waren so gut wie ausgeleiert. Es war nicht schwer zu erraten wovon. Ich fragte mich, ob im Preis wenigsten frische Bettwäsche enthalten war. Ich breitete meine Sachen aus. Den Koffer, die Alben von Tina, meine Jacke, die Knarre.
Ich nahm das Magazin aus dem Griff der Automatik und steckte die Patronen wieder hinein. Dann wandte ich mich den Alben zu. Eigentlich hatte ich das vermeiden wollen, aber ich konnte nicht anders. Ich blätterte in den Folianten herum und sah dabei wieder ihr Gesicht. Ich fragte mich, ob man sie wohl schon gefunden hatte. Sie war nicht zur Arbeit gekommen, vielleicht würde jemand versuchen, bei ihr anzurufen oder sogar vor ihrer Wohnungstür auftauchen. Es kam darauf an, wie hartnäckig der Betreffende war. Wenn ich Glück hatte, würde sie noch eine ganze Weile in ihrer Wohnung liegen. Es war kein schöner Gedanke, aber die ganze Geschichte war nicht besonders schön und dies war nur eines von vielen weiteren hässlichen Details.
Mir war klar, dass ich mich irgendwann von diesen Alben würde trennen müssen, denn wenn ich Pech hatte, konnten sie der Strick sein, an dem man mich aufhängte. Ich musste sie verschwinden lassen, vernichten...
Aber noch nicht jetzt, dachte ich.
Ich hätte es gleich tun sollen. Sofort, ohne zu zögern.
Jetzt würde ich es sicher vor mir herschieben, bis ich keine andere Wahl mehr hatte und ich konnte nur hoffen, dass es dann zu nicht zu spät war.
In den nächsten zwei Tagen verpasste ich keine einzige Nachrichtensendung und versorgte mich morgens am Kiosk mit einem Stapel Zeitungen. Aber über die Sache in dem Haus am See brachten sie nichts mehr. Nachrichtensperre, so schätzte ich. Aus fahndungstaktischen Gründen. Sie wollten nicht, dass ich wusste, wie viel sie schon wussten. Auch über Tina fand ich nichts. Dafür las ich eine andere Meldung, die mich aufmerken ließ. Die Polizei hatte die Identität eines Mannes ermittelt, der vor zwei Wochen aus dem Main gefischt worden war: E. L. Nuredinov, Nuklearforscher aus Kasachstan. Ein Spezialgeschoss hatte ihm den Schädel zerfetzt, was die Identifizierung erschwert hatte.
Das war nun schon die Nummer zwei.
Und nächsten Donnerstag kam ein Mann namens Krylenko nach Frankfurt und auch sein Tod war schon beschlossene Sache, wenn nicht durch mich, dann durch jemand anderen. Als Mörder kam ich nicht mehr in Frage und wenn ich Erikson nicht völlig falsch verstanden hatte, erwarteten meine Auftraggeber auch gar nicht mehr, dass ich mich einschaltete. Ein Grund mehr für mich, es doch zu tun. Vielleicht hatte ich so eine Chance, an den oder die heranzukommen, die Tina auf dem Gewissen hatten. Vielleicht war es dieser Libanese namens Khalil, vielleicht war auch er nur eine Marionette. Aber ganz gleich, wer die Fäden zog, er sollte nicht ungeschoren davonkommen.
Ich stand stundenlang an dem kleinen Fenster meines Hotelzimmers und blickte hinaus auf die Straße und grübelte vor mich hin. Wenn ich ehrlich war, dann wusste ich selbst nicht so recht, worauf das ganze eigentlich hinauslaufen sollte, was ich wollte und was nicht. Von einer Sache abgesehen. Ich wollte am Ende noch leben.
Irgendwann rief ich dann zwischendurch bei Dietrich an, um zu sehen, wie weit er schon war. Erst hatte ich Schwierigkeiten, überhaupt zu ihm durchgestellt zu werden. Ich musste es zweimal versuchen, aber Hartnäckigkeit zahlt sich meistens irgendwann auch aus. Jedenfalls hatte ich ihn schließlich doch an der Strippe.
"Was wollen Sie?", grunzte er. "Glauben sie, ich kann hexen?"
"Ich wollte nur wissen, ob Sie auch voran kommen."
"Sicher."
"Wissen Sie schon genauer, wann die Papiere fertig sein werden?"
"Nein."
"Das wundert mich."
"Wieso?"
"Wenn Sie den Auftrag schon vermittelt hätten, hätte man Ihnen sicher gesagt, wie lange die Angelegenheit dauern wird."
"Lassen Sie mich meinen