Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
die Mundwinkel ziemlich müde ihre nachgezogen Augenbrauen in die Höhe gehen ließ.
"Was kann ich für Sie tun?"
Der Tonfall, den sie draufhatte, hätte besser zu der Frage Muss es denn unbedingt jetzt sein? gepasst.
Ich legte meine Polizeimarke auf den Tisch. Sie wurde gleich sehr viel wacher. Ihre Augen gingen zumindest soweit auf, dass man ihre Augenfarbe sehen konnte. Blau. Und zwar ein Blau, das sich irgendwie mit ihrem Make-up biss. Ob Absicht oder Ungeschick war nicht so genau zu sagen.
"Was ist passiert?", fragte sie.
"Warum denken Sie, dass was passiert ist?", erwiderte ich.
"Na, Kriminalpolizei - die kommt doch eigentlich immer nur, wenn was passiert ist."
Wo sie recht hatte, hatte sie recht.
"Es geht um einen Ihrer Wagen." Ich nannte ihr die Nummer.
"Ist im Moment verliehen?"
"Ja", bestätigte ich.
"Was ist passiert?", fragte sie, während ihre langen Finger in der Kartei herumsuchten. Elektronik gab's hier offenbar nur in den Wagen, nicht im Büro. "Ein Unfall? Die Leute können aber auch nicht aufpassen. Weil die Karossen Vollkasko versichert sind, glauben sie, sich auf der Landstraße wie Rennfahrer benehmen zu können."
Ich ließ sie reden und enthielt mich jeden Kommentars. Der konnte nur Misstrauen erregen, wenn er nicht haargenau in das Bild passte, das sie sich selbst von der Sache zurechtgezimmert hatte. Außerdem wollte ich nicht, dass sie bei ihrer Kartensuche abgelenkt wurde.
Endlich hatte sie es geschafft.
"Geben Sie mal her!", sagte ich und streckte meine Linke aus.
"Was wollen Sie denn wissen?"
"Geben Sie einfach her und lassen Sie mich sehen!"
"Ich weiß nicht, ob ich..."
"Jetzt machen Sie kein Theater!"
"Der Chef ist heute nicht da. Eigentlich sollte ich ihn vorher fragen."
Ich seufzte.
"Wo ist denn der Chef?"
"Zu Hause."
"Können Sie ihn anrufen?“
"Kann ich. Aber er mag das nicht, wenn er gestört wird."
"Entweder Sie stören ihn, oder Sie geben mir die Karte."
Sie überlegte. Ziemlich angestrengt sogar, wenn man nach ihrem Gesichtsausdruck ging.
"Hören Sie", sagte sie dann zögernd. "Ich mach den Job hier noch nicht sehr lange und bin auf das Geld angewiesen..."
"Es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit", erklärte ich ihr ungerührt. "Die dürfte ihrem Chef auch nicht gefallen."
"Was meinen Sie damit?"
Auf ihrer glatten Stirn bildeten sich jetzt ein paar Falten.
Ich beugte mich ein Stück über den Tresen, der zwischen uns stand. "Ich könnte zum Beispiel mit einem Durchsuchungsbefehl und einem halben Dutzend Leuten zurückkommen und mir holen, was ich brauche. Aber dann bleibt hier keine Karteikarte neben der anderen, das verspreche ich Ihnen!"
Das machte Eindruck auf sie.
"Kann ich Ihre Marke nochmal sehen?", fragte sie zaghaft.
Ich zeigte sie ihr.
Sie nickte schließlich und gab mir die Karte.
Nach den Angaben war der Wagen vor drei Tagen von einer Frau ausgeliehen worden.
Andrea Hofmann. Kam aus der Schweiz.
Ich nahm mir einen Zettel von ihrem Block und notierte mir alles. Auch die Nummer ihres Personalausweises. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, ob mich das Tinas Mördern auch nur einen Zentimeter näher brachte. Aber irgendwann, das hatte ich mir vorgenommen, irgendwann würde ich alle unverbundenen Enden zusammenbringen.
Was ich mit dem Knoten dann anstellen würde, war eine ganz andere Frage.
Ich hatte keine Ahnung.
"Wie sah die Frau aus?", fragte ich.
Sie zuckte die Schultern.
"Was weiß ich!"
"Wer hat sie denn bedient?"
"Keine Ahnung."
"Sie könnten ja mal nachsehen, wer vor drei Tagen Dienst hatte."
Sie seufzte.
Dann schaute sie nach und bewegte sich dabei wie in Zeitlupe.
Ich warf indessen einen verstohlenen Blick auf die Uhr.
Langsam wurde ich nervös. Ich hatte nicht die geringste Lust, mit meinen Kollegen von der echten Kripo zusammenzutreffen.
"Morgens hatte Toni hier im Büro Dienst. Und wer einen Wagen ausleiht, der muss hier hin. Da geht kein Weg dran vorbei."
"Toni?"
"Toni Günzler. Oh, ich sehe gerade, dass der seit heute im Urlaub ist. Ich erinnere mich. Ein Flug nach Madeira. Hat er lange für sparen müssen..." Sie zuckte die Achseln und verzog dann das Gesicht zu einem ziemlich angesäuerten Lächeln. "Den werden Sie wohl erst wieder sprechen können, wenn er wieder zurück ist. In drei Wochen."
"Wurde der Wagen morgens ausgeliehen?"
"Das steht hier nicht."
"Wer hatte denn am Nachmittag Bürodienst?"
Sie atmete tief durch. Sehr tief.
"Ich."
"Ach, nee!"
"Ja!" Sie hob die Schultern. "Aber ich erinnere mich nicht an diese Frau."
"Denken Sie genau nach."
"Tu ich ja."
"War sie blond oder dunkel?"
"Sie muss dagewesen sein, als Toni hier den Laden gemanagt hat."
Okay, dachte ich. Sie schien es wirklich nicht zu wissen.
Ich nickte ihr zu und wandte mich zum Gehen.
"Ist die Sache damit ausgestanden?", fragte sie.
Ich zuckte die Achseln.
"Wahrscheinlich werden in Kürze noch ein paar Kollegen von mir auftauchen und noch die eine oder andere Frage stellen."
"Und was ist mit dem Wagen?"
Daher wehte also der Wind. Sie hatte Angst um den Wagen.
"Der ist in Ordnung", meinte ich.
"Wirklich? Aber Sie..."
"Hören Sie, ich kann Ihnen dazu nicht mehr sagen. Jedenfalls nicht im Moment." Ich zuckte die Achseln. "Fahndungstechnische Gründe. Sie haben sicher Verständnis, nehme ich an."
Sie hatte kein Verständnis dafür, wenn ich nach dem Gesicht ging, das sie plötzlich aufgesetzt hatte. Aber bevor sie nochmal nachhaken konnte, war ich schon weg.
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