Elbkiller: 7 Hamburg Krimis. Alfred Bekker
wandte der jüngere ein.
„Wir werden nichts finden, wenn wir deine Bude auseinandernehmen, oder?“
Der jüngere Mann blickte erschrocken auf. „Das war ich nicht! Die Ware ist aus dem Container geklaut worden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht!“
Fiete setzte seine Mütze wieder auf.
„Weißt du überhaupt, was das bedeutet? Der Lieferant will sein Geld haben. Wir haben erst die Hälfte bezahlt, und das hat fast unsere ganzen Reserven gekostet. Kannst du dir vorstellen, was die mit uns machen, wenn sie ihre Kohle nicht kriegen? Nein, das kannst du vermutlich nicht. Ich sage es dir: die ziehen dir die Haut bei lebendigem Leib ab und anschließend zerlegen sie dich in deine Einzelteile.“
Die Lippen des jungen Mannes begannen zu zittern, und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Ich kann doch nichts dafür.“
„Jemand hat die Ware, und den müssen wir finden, ehe es zu spät ist. Ich möchte jetzt ganz genau wissen, wie es abgelaufen ist. Fang mit dem Schiff an, als es noch auf See war. Du hast die Ware doch hin und wieder kontrolliert, oder?“
Der jüngere nickte heftig. „Ich habe es ganz genau so gemacht, wie man es mir gesagt hat. Niemand hat sich an der Ladung zu schaffen gemacht. Die Siegel des Containers waren unbeschädigt. Es kann erst im Hafen passiert sein. Während die Fracht gelöscht wurde, kam ich nicht an die Ware heran. Der Container stand einige Stunden auf dem Kai, bis ich die Fracht, die darin war, in den Lagerschuppen bringen konnte. Es war Wochenende, und ich habe die Kisten nicht gleich geprüft, da die Lagerhalle verschlossen wurde. Am Montag habe ich dann in beiden Kisten nachgesehen und festgestellt, dass aus einer Kiste die Taschen verschwunden waren.“
„Hast du irgendeinen Verdacht?“
„Nein, ich habe niemanden gesehen.“
„Du hast die ganze Zeit den Container auf dem Kai im Auge behalten?“, fragte Fiete lauernd.
Ein kurzes Stocken. „Na, ja, ich war mal auf der Toilette – und einen Kaffee habe ich mir auch geholt. Aber das hat nur wenige Minuten gedauert.“
Das Gesicht des Mützenträgers verzerrte sich. „Du Idiot hast also nicht gesehen, wie unsere Ware geklaut wurde. Das wird noch ein Nachspiel haben.“
Er deutete auf die beiden schwarzen Sporttaschen, die vor ihm auf dem Boden standen. „Die bringe ich selbst zu unserem Abnehmer. Da werde ich den Russen einiges zu erklären haben. Das Geld lasse ich gleich nach Panama überweisen, damit der Verkäufer erst mal beruhigt ist. Und du überlegst inzwischen, ob dir nicht doch etwas aufgefallen ist, das uns weiterhelfen kann, die Diebe zu finden.“
„Ich habe nur den Chef gesehen!“, rief der Junge plötzlich.
Der Kahlkopf stellte die Taschen, die er gerade hochgenommen hatte, wieder ab und drehte sich um. „Welchen Chef?“
„Holler natürlich. Markus Holler.“
„Der ist doch sonst nie hier“, überlegte Fiete. „Du bist sicher, dass er am Freitag hier war?“
Der Junge nickte mehrmals. „Er war auf dem Parkplatz vor der Halle. Er hat etwas in sein Auto gepackt und ist weggefahren. Ich weiß nicht, was er hier gemacht hat.“
„Wann genau war das?“
Der junge Mann überlegte. „Bevor ich die Kisten überprüft habe, war ich noch mal auf dem Schiff, um meine Sachen zu holen. Ich habe mich noch von den Kollegen verabschiedet, bevor ich zur Lagerhalle zurückgegangen bin. Da habe ich ihn gesehen, und anschließend habe ich entdeckt, dass die Taschen fehlten.“
Fiete überlegte angestrengt. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, murmelte er schließlich.
„Was denn?“
„Na, dass Holler die Taschen geklaut hat. Ich kenne ihn lange genug. Ich werde ihn fragen.“
Der junge Mann schien erleichtert. „Danke!“
*
Nachdem Cornelius Brock den indischen Faustdolch in der Gerichtsmedizin abgegeben hatte, war er nach Nienstedten gefahren. Es war noch nicht zu spät für einen Besuch bei Anton Hollers Tochter und ihrer Familie. Es war immer wichtig, so schnell wie möglich mit allen Personen zu reden, die in irgendeiner Beziehung zu dem Opfer standen. Am Sonntag hatte er darauf verzichtet, um der Familie Gelegenheit zu geben, den Schock zu verdauen.
Er parkte seinen Wagen hinter einem Fahrzeug, das ihm sehr bekannt vorkam. Was zum Teufel hatte Spengler hier zu suchen?
Brock stieg aus, ging nach vorn und klopfte an die Seitenscheibe. Kommissaranwärter Horst Spengler, der seine ganze Aufmerksamkeit auf ein einzeln stehendes Haus konzentriert hatte, fuhr erschrocken zusammen und blickte den Hauptkommissar irritiert an.
Die Scheibe fuhr herunter.
„Darf ich fragen, was Sie hier treiben?“, fragte Brock.
„Hier wohnt Kurt Berghoff, der Anwalt … der Schwiegersohn von Anton Holler … also der Mann seiner Tochter …“
Brock grinste amüsiert. „Weiß ich alles. Doch wir hatten vereinbart, dass ich mit der Familie rede. Was haben Sie hier verloren?“
Spengler öffnete die Autotür und stieg aus. „Das Boot … ihm gehört das Boot.“ Vor Aufregung stotterte er immer mehr.
„Von welchem Boot sprechen wir? Bitte der Reihe nach.“
Spengler hatte sich allmählich gesammelt und wirkte jetzt beflissen wie immer. „Das Boot, das unsere Kollegen von der Wasserschutzpolizei am frühen Sonntagmorgen auf der Elbe entdeckt haben. Sie wissen schon – ein Mann hat von dort die Elbphilharmonie beobachtet.“
Brock runzelte die Stirn. „Das Boot gehört Berghoff?“
Spengler nickte heftig. „Als ich mit seiner Frau sprach, wusste ich nicht, dass sie mit Holler verwandt ist. Ich wollte natürlich gleich mit dem Mann reden. Sie sagen doch selbst immer, man soll keine Zeit verlieren, wenn es eine heiße Spur gibt.“
Brock lächelte. „Also wollten Sie ein paar Lorbeeren einheimsen und bei mir Punkte sammeln, ohne mich vorher zu informieren.“
Spengler senkte den Kopf. „Tut mir leid, Hauptkommissar. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Brock winkte ab. „Ist schon vergessen. Doch wenn Sie schon mal hier sind, dann gehen wir jetzt gemeinsam rein.“
Das Haus wurde zur Straße hin von einer hohen Hecke abgeschirmt, die dringend einen Schnitt gebraucht hätte. Dahinter lag ein kleiner Vorgarten. Ein mit Granitplatten gepflasterter Weg führte zu einer breiten Treppe. Das Haus war nicht sehr groß und nicht neu, wirkte aber gepflegt.
Spengler drückte den Klingelknopf.
Als Erstes hörten sie eine Kinderstimme. Die Worte waren unverständlich.
„Das ist Erik“, erläuterte Brock. „Er interessiert sich für Pistolen.“
Spengler starrte ihn verständnislos an.
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Maria Berghoff musterte die Besucher. Brock erkannte sie sofort, obwohl er sie am Sonntag nur kurz gesehen hatte. Er fragte sich, ob sie ihn ebenfalls erkannte. Ihre Begrüßung beantwortete die Frage.
„Der Herr Kommissar!“
„Hauptkommissar“, ergänzte Spengler.
„Und wer sind Sie?“
„Wir haben zusammen telefoniert. Ich habe Sie nach dem Boot Ihres Mannes gefragt.“
Ihre Miene verfinsterte sich.
„Das ist mein Assistent Horst Spengler“, beeilte sich Brock, die Situation zu entschärfen. „Wir würden gern kurz mit Ihnen und Ihrem Mann reden.“
Widerwillig öffnete