Das Buch Jesaja. Ulrich Berges
heißen sollen (V. 6), kurzum Zion selbst.99 Falls man V. 10–11 »als Gotteslob derer verstehen [kann], denen das Ich V. 1–4 eine sozioökonomische Wende im nachexilischen Jerusalem zusagt«100, benutzt diese Gruppe die Metapher des Brautschmucks um ihre engste Verbindung mit JHWH zum Ausdruck zu bringen: »wie der Bräutigam nach Priesterart den Kopfschmuck trägt und wie die Braut sich schmückt mit ihrem Geschmeide« (V. 10).
Dieses Bild findet in 62,4–5 eine breite Ausgestaltung: Die weibliche Figur Zion wird nun als Gemahlin des Königs JHWH vorgestellt: »Du wirst ein königlicher Kopfschmuck in der Hand deines Gottes sein« (V. 3; parallel zum Kopfschmuck des Bräutigams in 61,10). Die früheren Bezeichnungen der Stadt und des Landes »Verlassene/Verwüstete« (vgl. 54,1.6–8) gelten nicht länger und die neuen Namen »mein-Gefallen-an-ihr/in Besitz Genommene«, d.h. »Verheiratete«, stellen die Beziehung von JHWH und Zion als erste, immer gültige Liebe dar (V. 4). Die Bildsprache nimmt danach eine gewagte Wendung, indem ihre Mutterschaft als Ehe mit ihren Kindern ausgeführt wird: »Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau in Besitz nimmt, so werden deine Söhne dich in Besitz nehmen, und wie der Bräutigam sich an der Braut freut, so freut sich dein Gott an dir« (V. 5). Diese Umformung der Metapher verfolgt ein bewusstes Ziel: »Die Gestalt Zion in ihrer besonderen Bindung zu ihrem Gott Jhwh wird damit zur Gewährsfrau für das Landeigentum ihrer Kinder, das heißt für die Vorstellung eines (wieder)besiedelten Geländes«.101
In Jes 55–66 besitzen einige Epitheta und Attribute JHWHs aus den vorangegangenen Teilen eigene Funktionen, denen hier in Auswahl nachgegangen werden soll:
Das weite Bedeutungsfeld des Wortes
Als göttliche Attribute kommen im Jesajabuch auch
Mit dem Gottestitel
Eine beschreibende Inventarisierung der Epitheta und Gottes-Metaphern im Buch Jesaja hat nur dann und insofern ihren Auftrag erfüllt, wenn sie der individuellen Lektüre und dem eigenen Verständnis dieser prophetischen Schrift dient. Das exegetisch-bibeltheologische Wissen um die Tätigkeit von Schülerkreisen, Tradenten und Schreibergilden im Laufe der Jahrhunderte soll die persönliche Wahrnehmung dabei bereichern. Das subjektive Erleben im Lesevorgang stellt keinen Mangel dar, sondern ist die notwendige Voraussetzung für eine persönliche Auseinandersetzung mit der Vision, die das Jesajabuch entfaltet.
Eine Theologie des Buches Jesaja, die den Gottestiteln und göttlichen Attributen nachgeht, kann nicht statisch sein, weil Israel seine Erfahrungen mit JHWH im Laufe der turbulenten Geschichte, die das Buch abbildet, immer wieder neu ausrichtete und anpasste. JHWH ist nicht nur im Buch Jesaja, sondern in der Bibel überhaupt sowohl ein Gott im Wandel als auch ein Gott des Wandels.105 Aus historischer Sicht könnte man sich möglicherweise wünschen, das Jesajabuch böte eine geradlinige Entwicklung seiner Gottesbilder, vom ersten Auftreten des Propheten in assyrischer Zeit bis zu den Problemen der nachexilischen Tempelgemeinde in der persischen Periode. Das ist aber nicht der Fall. Der Prophet spricht von zwei Brennpunkten aus: Das Heute ist für ihn die Frucht der Vergangenheit und zugleich die Saat für die Zukunft. Weil dem so ist, präsentiert das Buch Jesaja JHWH trotz aller geschichtlichen Umbrüche als mit sich selbst eins bleibend. So ist es auch möglich, dass die Gotteserfahrung aus einer Periode (assyrisch, babylonisch, persisch) auch für die anderen Zeiten gilt. Mit anderen Worten: einige Namen und Epitheta JHWHs überspannen das ganze Buch, teils mit Bedeutungsverschiebungen, andere Begriffe bleiben auf einige Buchteile beschränkt. Insgesamt ergeben sie ein dynamisches Gottesbild desjenigen, der von sich sagt: »Ich, JHWH, bin der Erste, und noch bei den Letzten bin ich derselbe« (41,4b).
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1Einen guten Überblick bietet HöFFKEN 2004.
2BERGES 2006, S. 190.
3MUILENBURG 1956, S. 381–773; J. BECKER 1968; MELUGIN 1976; 1997 und 2008.
4RENDTORFF 1984; WATTS 1985; 1987.
5BRUEGGEMANN 1998a; 1998b; CHILDS 2001; BLENKINSOPP 2000; 2002 und 2003.
6RENDTORFF 1984, S. 295.
7STECK 1996, S. 7.
8BERGES 1998, S. 535ff.
9So OSWALT 1998, S. 25; vgl.