Das Buch Jesaja. Ulrich Berges
ja die ganze Schrift als Wort Gottes angesehen. Von daher eignet sich die Unterscheidung zwischen Gottes- und Prophetenwort nicht als Kriterium einer Theologie des Jesajabuches. Im Gegenteil, die theologische Reflexion hat diese Spannung anzuerkennen und auszuhalten. Das Wort Gottes ist eben keine bloße Idee, sondern ein Geschehen von weltweiter Tragweite, wie es 1,2a prägnant zum Ausdruck bringt: »Hört, ihr Himmel! Horch auf, Erde! Denn JHWH spricht«.
7.1Die buchübergreifenden Gottesnamen
Die lange Entstehungsgeschichte dieses prophetischen Buches bringt es mit sich, dass sich die theologischen Kernelemente über die einzelnen Teilbereiche hin erstrecken, aber in jeweils unterschiedlichen Konstellationen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Hauptaktanten im literarischen Drama (JHWH, der Prophet, sein Wort, Israel, Zion und die Völker) bleiben trotz ihres wechselnden Auftretens – Resultat der unterschiedlichen entstehungsgeschichtlichen Kontexte – identisch. Im Verlauf dieser großen prophetischen Schrift gewinnt sowohl das Sprechen über Gott als auch das Sprechen Gottes an Farbe und Kontur.
Bevor der Eigenname JHWH untersucht wird, ist zunächst der Gebrauch des Appellativums »Gott« im Jesajabuch zu klären. Der Begriff
»Gott« dient dem Bekenntnis zu JHWH. In Jes 1–39 ist er durchgehend als Attribut eingesetzt, um Gottes Besonderheit (5,16: »heilig«; 7,14; 8,10: »mit uns Gott«; 9,5; 10,21: »Held«; 12,2; 43,11: »Rettung/Retter«) oder Einzigkeit (14,13; 31,3) auszudrücken. In Kap. 40–54 unterstreicht die monotheistische Auffassung über JHWH als göttlichen Schöpfer (40,18; 42,5; 43,10–12; 44,6–8.15–17; 45,14f.20–22; 46,9). In Kap. 55–66 besitzt der Begriff keine besondere Pragmatik mehr (mögliche Ausnahme 64,3). Der Intensitätsplural mit der Singularkonstruktion desselben Wortes, , entwickelt sich in der Verbindung »der Gott Israels« vom Appellativum (37,16; vgl. 13,19; 58,2) zum Attribut des Eigennamens »JHWH« (37,16; vgl. 17,6; 21,10.17; 24,15; 29,23; 37,21; 41,17; 45,3; 48,1.2; 52,12). Im sogenannten tritojesajanischen Textbestand kommt die Bezeichnung »Gott Israels« gar nicht mehr vor.Der Gebrauch des Tetragramms
»JHWH« und anderer Gottesbezeichnungen ist über das gesamte Jesajabuch nicht gleichbleibend. Dieses Phänomen ist aber noch nicht wirklich erfasst und monographisch aufgearbeitet worden.82 Dass diese Epitheta eine programmatische Funktion besitzen können, ist aus 1,24 ersichtlich: »Spruch des Herrn, JHWH Zebaot, des Starken Israels«. Die Kombination von »der Herr« und »JHWH Zebaot«/»JHWH der Heerscharen« begegnet nur in Kap. 1–39, und immer in Gerichtsankündigungen über Juda und Jerusalem (1,24; 3,1; 10,16.33; 19,4). Dagegen wird der Gottestitel »der Starke« Israels bzw. Jakobs in Heilsankündigungen oder Danksagungen gebraucht (49,26; 60,16; Gen 49,24; Ps 132,2.5; Sir 51,12). So passt dieser Vers bestens zur Einleitung des Buches Jesaja, und zwar in eine Gottesrede, welche die Restauration Zions mit dem Gericht über die Stadt verbindet (Jes 1,24–26).Der Eigenname Gottes »JHWH« kommt im gesamten Buch Jesaja ca. 450mal vor. Eine Aufarbeitung der Verwendung des Eigennamens kann in dieser Einleitung nicht geboten werden. Die Erweiterung des Namens
»JHWH« zum Epitheton »JHWH Zebaot« ist in den Buchteilen unterschiedlich stark vertreten (in Protojesaja 57 von 241 Mal; in Deuterojesaja 6 von 126 Mal; Tritojesaja 0 von 83 Mal). Diese Daten und andere Faktoren lassen vermuten, dass der Titel »JHWH Zebaot« aus dem Jerusalemer Kult stammt (6,3.5; 8,13.18) und bereits vom Propheten Jesaja in seiner Verkündigung (2,12; 3,1; 5,7.9.16.24; vgl. 22,5.12.14), sowie von der ersten Redaktion seiner Orakel gebraucht wurde (21 Mal in Kap. 1–12). Der Titel bringt zum Ausdruck, dass JHWH die Geschichte Jerusalems und Judas in aller Machtfülle leitet. In den Völkersprüchen (Kap. 13–23) und der sogenannten Apokalypse (Kap. 24–27) steht er für die göttliche Befehlsgewalt über die ganze Erde (27 Belege in 13,4 bis 24,23 sowie 25,6). In den explizit monotheistischen Aussagen der Kap. 40–54 verbindet dieses Epitheton JHWHs Autorität über die Geschichte Israels mit seiner Herrschaft über den ganzen Kosmos (44,6; 45,12–13; 47,4; 48,2; 51,15; 54,5). In Kap. 55–66 fehlt der Titel völlig. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass »JHWH Zebaot« die beiden Traditionslinien der Zions- und der Königsideologie voraussetzt. Gerade letztere ist aber in der nachexilischen Prophetie deutlich schwächer ausgeprägt.83 In der LXX bezeichnen die griechischen Übersetzungen von als παντοκράτωρ oder κύριος τῶν δυνάμεων JHWHs unbegrenzte und unangreifbare Macht über den Kosmos. Der Bericht über Jesajas Vision und Sendung bietet neben dem Titel »JHWH Zebaot« (6,3.5) auch den Begriff »Herr«, und zwar fast als Eigennamen (6,1.8.11). Im ersten Buchteil steht »Herr« überwiegend allein, ohne das Tetragramm (vgl. 3,17.18; 4,4; 7,14.20; 8,7; 9,7.16; 10,12; 11,11; 21,6.8.16; 28,2; 29,13; 30,20; 37,24; 38,14), danach meist zusammen mit diesem (vgl. 40,10; 48,16; 49,22; 50,4.5.7.9; 51,22; 52,4).84Im Visions- und Sendungsbericht stehen die Bezeichnungen »JHWH Zebaot« und »Herr« mit dem Titel »König« (6,5) zusammen, im Kontext seines himmlisch-herrschaftlichen Thronens (V. 1–7). Der Titel und die Wurzel
»herrschen/König sein« werden in Jes 1–39 eher sparsam verwendet, obschon der universale Charakter der göttlichen Majestät über Himmel und Erde – gegründet und gefestigt auf dem Berg Zion – ab Jes 6 die Basis für die eschatologische Perspektive dieses Buchteils bildet (24,23; 33,22). Man vermutet, dass Jesaja das Paradigma der weltweiten Königsherrschaft JHWHs auf Grundlage der konkreten politischen Erfahrungen mit der neuassyrischen Reichsideologie entwickelt hat.85 Dafür spricht, dass Jesajas Verkündigung in die Zeit der unaufhaltsamen Ausbreitung Assurs bis hin zum Status eines Weltreiches fiel (von Tiglatpileser III. [745–727] bis Sanherib [705–681]). Dabei stellen aus Perspektive des Gottesvolkes das Ende des Nordreiches Israel (722) und der verheerende Feldzug gegen Juda und Jerusalem (701) die zentralen Ereignisse dar.Jesaja, der bekannte und geachtete Prophet, kannte die kulturelle und religiöse Propaganda des neuassyrischen Reiches, die zu dessen Legitimation diente. Noch uns Heutigen ist sie in der Literatur Assurs und den imperialen Palastreliefs aus Ninive zugänglich. Jesaja scheint mit dem Topos der Königsherrschaft Gottes in zweifacher Hinsicht bekannt gewesen zu sein: Nach der alten Tradition der Stämme Israels herrschte JHWH über sein Volk, das er sich erworben hatte (Dtn 33), während er im Kult des Jerusalemer Stadtstaates als residierender König auf dem Berg Zion verehrt wurde (Ps 24). Der Prophet hat JHWHs Königtum im Grunde genommen zum selben weltweiten Umfang ausgebaut, wie es in der assyrischen Reichsideologie für den Hauptgott Assur der Fall war, der über alle Völker seine unbegrenzte Macht ausübte bzw. ausüben ließ. Natürlich stützte sich JHWHs Herrschaft nicht auf militärische Stärke, vielmehr besaß er eine andere, noch größere Waffe: Als Schöpfer von Himmel und Erde (6,1–4) hatte er alleinige Autorität über Schöpfung und Geschichte! Auf diese Weise konnte Jesaja die für unüberwindbar gehaltene Kriegsmacht als dem Schöpfergott JHWH unterworfen darstellen. So ist Assur nicht mehr als ein Werkzeug in Gottes Hand zur Lenkung der Geschicke von Israel, Juda, Jerusalem und den Völkern (10,5–34). Eine ähnliche ideologische Entwicklung zeigt sich beim Thema