Das Buch Jesaja. Ulrich Berges
Herrlichkeit erwarten kann, wenn sie den Imperativ des gerechten Handelns in die Tat umsetzt (58,8; 59,19; 60,1–2; 62,2).
7.2Spezifische Gottesnamen und Metaphern für einzelne Teile des Jesajabuches
In den einzelnen Buchteilen finden sich noch weitere Epitheta und Sprachbilder für JHWH, die mit den besonderen historischen und religiösen Situationen der Verfasser zu tun haben. Gottestitel und Metaphern fließen manchmal auch ineinander über. Die Begriffe sind vielzählig und variantenreich. Sie gewähren einen Einblick in die Intensität des prophetischen Nachdenkens über die Beziehung JHWHs zu seinem Volk und beweisen, wie kreativ die Autoren mit solchen Sprachbildern umzugehen wussten. Überblicksartig seien genannt: »Eltern/Vater« (1,2; 30,1.9; 43,6; 45,10; 63,8.16; 64,7), »Richter/Anwalt/Rechtsgegner« (1,18; 2,4; 3,13; 33,22; 34,8; 43–45 passim; 49,25; 50,8; 51,22), »Lehrer« (2,3; 28,26; 30,21), »Winzer« (5,1–7; 27,2–7; 63,3–6), »Bauherr« (5,2; 25,2; 26,1; 28,16–17; 44,26; 54,11–12), »Fels« (8,14; 17,10; 26,4; 30,29; 44,8), »Festung« (17,10; 25,4; 26,1; 27,5), »Arzt« (30,26; 38,16; 57,18–19), »Hirt« (40,1188).
In Kap. 1–39 stößt man vielfach auf die Vorstellung von JHWH als »Kämpfer«, der den Streit mit seinen Feinden innerhalb und außerhalb des Gottesvolkes/Zions angeht. Das Bild findet sich zwar auch in Kap. 40–66 (42,13; 49,25–26; 59,16–19; 63,1–4; 66,15–16)89, aber durch die stärkere Ausrichtung von Jes 1–39 auf das unvermeidliche Strafgericht nimmt das Motiv des kämpfenden JHWH einen prominenteren Platz ein. So ist er in der Einleitung des Buches »der Starke Israels« (
), der, um Zion von aller Ungerechtigkeit zu reinigen, gegen seine Feinde, die gottlosen Richter, vorgeht (1,24). Dieser singuläre Name stellt eine bewusste Abänderung des nordisraelitischen Titels »der Starke Jakobs« dar (Gen 49,24; Jes 49,26; 60,16). Programmatische Bedeutung hat des Weiteren die Tatsache, dass der verheißene Sohn aus dem Geschlecht Davids den Titel JHWHs »Gott Held« () als einen seiner Thronnamen zugesprochen bekommt. Diese Bezeichnung vergegenwärtigt den göttlichen Willen, dem eigenen Volk sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zeit der assyrischen Bedrohung und Übermacht zur Seite zu stehen (10,21; 42,13: »Kriegsmann«). Dass Israel weder Assur noch Babel militärisch gewachsen war, spricht nicht gegen JHWHs Fürsorge für sein Volk, sondern führt zur überraschenden göttlichen Initiative, die Heere der »Nationen in der Ferne« als Feldherr für seine Ziele einzusetzen und zu befehligen (5,26–30; 7,18–20; 8,7–10; 9,10–11; 10,5–19.24–27). In den Völkerorakeln (Kap. 13–23), besonders im Spruch gegen Babel (Kap. 13), kommt JHWHs militärische Macht exemplarisch zur Geltung. Dies geschieht so, dass er seinen Streit gegen Jerusalem, die Stadt, die ihm untreu wurde, nicht aus den Augen verliert (22,1–14). In der Sammlung von Weherufen mit nachfolgenden Anhängen (Kap. 28–33) verdichtet sich die Vorstellung von JHWH als Kämpfer zu einem Paradox: Gott kämpft sowohl gegen die Stadt und ihre gottlosen Herrscher (28,18–22; 29,1–5; 30,15–17) als auch für ihre Verteidigung und um ihre Inbesitznahme (29,6–8; 30,29–33; 31,4–9; 33). Das Paradigma des göttlichen Kämpfers setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Sein »Schwert über Edom« ist der Anfang des Gerichts über die Völker (Kap. 34) und findet einen ersten Höhepunkt im wundersamen Schutz Jerusalems angesichts der assyrischen Belagerung durch Sanherib (Kap. 36–39). Wer so erfolgreich gegen Assur für seine Stadt eintritt, der kann später auch gegen Babel den Sieger aus dem Osten herbeirufen, d.h. den Perser Kyrus, und ihm die Siege in den Schoß legen (41,2f.; 44,28; 45,1.13; 46,11; 48,14f.).Auf literarischer Ebene scheint die sogenannte Apokalypse (Kap. 24–27) dieses Paradigma der militärischen Überlegenheit JHWHs über die Weltmächte zu unterbrechen. In Wirklichkeit aber hebt sie es nur auf das allerhöchste Niveau. Denn nun kämpft JHWH gegen die ganze Erde und macht sie zur Einöde, wenn und insofern ihre Bewohner dem Unrecht freien Lauf lassen (Kap. 24). Doch ist nicht die Vernichtung das letzte Ziel, sondern die Aufrichtung der Königsherrschaft JHWHs in Jerusalem, der Stadt, die von der Spelunke der Gottlosen zum Bollwerk der Gerechtigkeit werden soll (Kap. 25–26). Das Bild von JHWHs Kampf gegen die weltweite Ungerechtigkeit überlagert sich hier mit dem von der Bestrafung Ägyptens, dem Zwingherren par excellence (26,20–21; vgl. Ex 12,21–30), und der Unterwerfung aller Chaosmächte (27,1).
Für die Kap. 40–54 ist charakteristisch, dass JHWHs Sorge für Israel wesentlich damit zusammenhängt, dass er auch den Kosmos hervorgebracht hat. Die gewöhnliche Trennung von Schöpfung und Erlösung hilft hier nicht weiter. Das Verb
»schöpfen« kennt im AT immer nur JHWH als Subjekt. Zwar umgibt das Motiv »JHWH als Schöpfer« das ganze Buch Jesaja (vgl. 4,5 und 65,17; 66,22), aber es ist in den sogenannten deuterojesajanischen Kapiteln verstärkt belegt, zuvorderst in deren Eröffnungsteil. JHWH hat das Universum geschaffen und dieses für Israel unleugbare Faktum wird gegen die Klage in Stellung gebracht, JHWH habe weder die Macht noch den Willen, sein Volk aus dem babylonischen Exil zu befreien (40,22–28; 41,20). Durch die Berufung des Knechts für Israel und die Völker entbehrt diese Klage aber jeglicher Grundlage. In den Gerichtsreden der Kap. 43–45 wird der Knecht Israel zum Zeugen für JHWHs einzigartige Befehlsgewalt über den Kosmos, die auf seinem schöpferischen, universellen Heilswillen gründet (48,18–22).Der Terminus »schöpfen« wird regelmäßig ergänzt oder ersetzt durch vier andere Begriffe: »bilden« (
), »machen« ( und ) und »[den Himmel] ausbreiten« (). Folgende Verse seien hier besonders genannt: 42,5: »Der den Himmel geschaffen hat und ihn ausbreitet« (vgl. 44,24); 43,7: »alle, die ich zu meiner Ehre geschaffen habe. Ich habe sie gebildet, ja, ich habe sie gemacht«; 45,7: »Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich JHWH, bin es, der all dies vollbringt«. Diese Schöpfungsverben spielen im zweiten Buchteil eine wichtige Rolle, und zwar mit unterschiedlicher semantischer Aufladung. »Bilden« lässt an die kunstvolle Arbeit des Töpfers denken (: 41,25; 43,1.7.21; 44,2.9–12.21.24; 45,7–11.18; 46,11; 49,5); »machen« zielt stärker auf das Ergebnis des Tuns (: 40,23; 41,4.20; 42,16; 43,7; 44,2.13–17.23–24; 45,7.12.18; 46,4.6.10–11; 48,3.5.11.14; 51,13; 54,5) oder des Arbeitens ab (: 41,4; 43,13; 44,12.15; 45,9–11). »[Den Himmel] ausbreiten« betrifft das von Gott Ausgespannte über der Erde, das zugleich die Schwelle zu der ihm eigenen Domäne markiert (: 40,22; 42,5; 45,12; 51,13; 54,2). Zusammen decken diese Verben das allumfassende Handeln Gottes ab. In diesem Kontext steht JHWHs Führung der Geschicke Israels an oberster Stelle; sie ist aber transparent hin auf seine Macht über den gesamten Kosmos (43,15–17; 44,1–4.21–24; 45,11–13.18). Im letzten Buchteil klingt dieses Thema noch nach (64,7; 65,17), so wie der erste es präludierte (27,11; 37,26). Das Bekenntnis zu »JHWH als Schöpfer« hat seinen Ort in der monotheistischen Gottesvorstellung: Israels Gang durch die Jahrhunderte zeugt von der Geschichtslenkung durch den einen und alleinigen Gott, der den Kosmos in Zeit und Raum zugunsten des Lebens auf der Erde ordnet und erhält. Wahrscheinlich entstand diese Schöpfungstheologie in der Auseinandersetzung mit den Hauptgottheiten Marduk im Kult Babels bzw. Ahuramazda in der persischen Reichsideologie.90 Sie nimmt nicht nur in Deuterojesaja, sondern auch in den Psalmen, der Priesterschrift und in der Weisheit eine zentrale Stellung ein. Zwei weitere, für Jes 40–54 bedeutsame Epitheta stehen mit dem Titel des »Schöpfers« in enger Verbindung: