Zeitmanagement und Selbstorganisation in der Wissenschaft. Markus Riedenauer
der wesentliche Erfolgsfaktor auch in der Wissenschaft ist. Daraus folgt, wie wichtig es ist, Kriterien für Prioritätsentscheidungen zu haben und sich nicht durch das lange Warten auf Zeichen des Erfolgs demotivieren zu lassen. Je weniger positive Rückmeldungen von außen kommen, je weniger wissenschaftliche Arbeit extern motiviert wird (wie durch überdurchschnittliche Gehälter), umso wichtiger wird es, einerseits seine intrinsische Motivation zu pflegen und andererseits dafür zu sorgen, dass regelmäßig Anreize von außen kommen.
Was bedeutet für mich „Erfolg“ in Forschung, Lehre und administrativer Mitarbeit?
Woran kann ich ihn jeweils messen?
Wann bekomme ich auch „unterwegs“ Rückmeldungen, dass ich auf einem guten Weg bin und Fortschritte mache?
Wo kann ich mir zusätzlich solche ermutigenden Stationen einbauen?
Definieren Sie bei großen Projekten und Aufgaben Teilziele, die Sie zu vorbestimmten Terminen überprüfen, um auch Teilerfolge bewusstzumachen und zu feiern (siehe genauer Kapitel IV, besonders unter „Ziele“ und „Evaluation“)!
Ein Hindernis ist oft, dass die Erwartungen und Qualitätsanforderungen anderer nicht recht klar sind, sodass Sie nicht wissen, wann Ihre Forschung oder Ihre Lehre als erfolgreich gelten kann. Viele, die an einer „master thesis“ oder Diplomarbeit schreiben, und so manche Dissertanten sind sich im Grunde unsicher, was die Kriterien für einen guten Text in ihrem Fall sind. Wo es keine Doktorandengruppe o.ä. gibt, sind kollegiale Rückmeldungen rar, oder man traut sich nicht, immer wieder darum zu bitten.
Was eine gute Vorlesung oder ein erfolgreiches Seminar ausmacht, ist etwas klarer, und neuerdings wird den regelmäßigen Lehrevaluationen größeres Gewicht beigemessen. Das gibt eine Richtschnur. Dennoch bleibt die Frage, was jenseits von Idealvorstellungen Studierender oder jenseits Ihres eigenen Idealbildes als Hochschullehrer bzw. Dozentin die realistischen Zielmarken sind, die zum nötigen und möglichen Zeitaufwand für die Vorbereitung und Durchführung in solch einer vernünftigen Proportion stehen, dass Sie für Ihre anderen Aufgaben auch genügend Zeit und Energie haben.
[15]Diese Fragen müssen Sie selbst beantworten – auch und gerade in dem Fall, dass Sie zu viele oder gar widersprüchliche Erwartungen vermittelt bekommen. Soweit Sie sich durch mangelnde Rückmeldungen und Einschätzungen Ihrer Arbeit durch andere alleinegelassen fühlen, sollten Sie gezielt darum bitten und nicht voller Selbstzweifel im Dunkeln tappen.
Ein gewisses Maß an „trial and error“ scheint zur akademischen Freiheit zu gehören, und Neues auszuprobieren hat einen Wert: subjektiv, insoweit es Freude macht, und objektiv, da so Innovationen entstehen. Sehen Sie aber auch die Grenzen: Routineaufgaben können nach bewährten Mustern und Kriterien erledigt werden. Strapazieren Sie nicht Ihre Kreativität und Zeit in Bereichen, wo andere mit ihrer Erfahrung helfen können.
Viele wissenschaftlich Tätige sehen in ihrem Beruf auch eine Berufung, insofern ihre Arbeit dem entspricht, was sie an Interessen und Begabungen mitbringen und was sie im Leben verwirklichen wollen. Dazu passt die relativ große Selbstbestimmung, deshalb wird auch gerne akzeptiert, dass daheim, an Abenden und Wochenenden gearbeitet werden muss. Die Falle besteht aber darin, dass Beruf und Privatleben zu sehr ineinander übergreifen, dass kein lebensförderlicher Zeitrhythmus mehr aufrechterhalten wird und dass im „home office“ keine Trennung von beidem mehr spürbar ist (nur mehr „office“, kein „home“ mehr). Wissenschaftlerinnen mit Kindern stehen hier unter besonderem Druck, aber auch Paare, wo beide an einer Hochschule tätig sind. Darunter leiden Lebensbeziehungen und Kinder sowie Freundschaften, Gesundheit und Rekreation.
Wie setze ich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem?
Spüre ich einen Unterschied zwischen meinen verschiedenen Rollen?
Welche Rhythmen – vor allem täglich und wöchentlich – pflege ich?
Bisher haben wir über Herausforderungen nachgedacht, die sich aus akademischen Freiheiten ergeben. Es gibt aber auch spezifische, mit diesem Beruf verbundene Schwierigkeiten und Zwänge, die den Freiheiten direkt entgegengesetzt sind:
Theoretisch arbeiten Sie selbstbestimmt und selbstverantwortlich, aber praktisch sind Sie in ein Forschungsteam eingebunden, dessen Leitung Sie sich unterordnen müssen. Oder aber externe Faktoren diktieren Ihre Zeitplanung, wie z.B. Vegetationszyklen in der Biologie.
Sie haben etwa das Verfassen Ihrer Dissertation als eine Hauptaufgabe,[16] wenn Sie eine Qualifizierungsstelle innehaben, aber Ihr Betreuer und Erstgutachter ist gleichzeitig Ihr Vorgesetzter am Institut und beansprucht Ihr Zeitbudget zu stark durch seine Forderungen nach Mit- und Zuarbeit bei vielen anderen Aufgaben (genannt „Assistenten verheizen“). Solche Doppelbindungen können fatal sein, wenn Sie befürchten, durch „Nein“-Sagen in Ungnade zu fallen und schlechter bewertet zu werden. Die Unfreiheit drückt sich auch in der Sprache aus: Man kann streng genommen weder promovieren noch sich selbst promovieren, sondern nur promoviert werden. Überhaupt wird durch Hierarchien, offizielle und inoffizielle, viel an Freiheit in Frage gestellt.
Damit hängt eine Spannung zwischen verschiedenen Rollen zusammen: Gegenüber Studierenden und als Mitglied der internationalen „scientific community“ ist es nötig, selbständig, sicher und selbstbewusst aufzutreten – aber strukturell und rechtlich wird man häufig als abhängig und unselbständig behandelt, muss sich mitunter ständig beweisen.2 Auch wer diese Phase hinter sich hat, braucht zusätzliche Kompetenzen und rechtliches Wissen vor allem für Verhandlungen. Das zu erwerben kostet Zeit, und die Notwendigkeit dieses Kampfes kann belasten.
Jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Qualifizierungsphase haben oft schon darum weniger Freiheit, weil sie zum Broterwerb anderen Tätigkeiten nachgehen müssen. Vor allem Mediziner haben innerhalb ihres Aufgabenfeldes mehrere „Jobs“ in Forschung und Lehre, Klinik und Mitarbeit oder Vertretung in einer Praxis.
In einem sehr kompetitiven Umfeld, wo die eigenen Projekte und Ergebnisse ständigen Evaluationen und Gutachten unterzogen werden müssen, kann die Karriere als eine Einbahnstraße mit lauter Stoppschildern empfunden werden. Wenden kann man nicht mehr, aber an jeder Kreuzung besteht die Gefahr, einen befristeten Vertrag nicht verlängert zu bekommen und letztendlich die Laufbahn verlassen zu müssen. Die vielen Zeitverträge ohne Aussicht auf Verbeamtung oder Pragmatisierung (was in Österreich generell abgeschafft wurde) haben zu einem wissenschaftlichen „Prekariat“ geführt.3 Die Freiheit besteht dann darin, vielleicht nach wenigen Jahren [17]Laufzeit ganz „freigesetzt“ zu werden. Diejenigen, die es schießlich auf eine Professur schaffen, erreichen das im Durchschnitt mit 41,1 Jahren – die Etablierungsphase ist also extrem lang. Wo sich Unsicherheit über die berufliche Zukunft breitmacht, kommt der Motivationsmotor schnell ins Stottern.
Schließlich steht der grundsätzlichen Selbstbestimmung, was wann geschrieben und publiziert wird, ein weicher, aber ständiger Zeitdruck entgegen: das Motto „publish or perish“, dem sich de facto niemand entziehen kann. Termine für die Abgabe von schriftlichen Ausarbeitungen von Vorträgen oder von Beiträgen zu Sammelbänden und Zeitschriften sowie von Rezensionen liegen oft mehr als ein Jahr in der Zukunft. Das verführt dazu, leichtfertig und ohne genaue Planung Zusagen zu machen, die dann, wenn der Termin naht, Stress verursachen.
Listen Sie auf, welche institutionellen und äußeren Faktoren Ihre Freiheit einschränken, etwa Fremdbestimmung durch Teamarbeit, Doppelbindungen, Gleichzeitigkeit mehrerer Jobs, Druck durch ständige Evaluationen, Zeitverträge, gefühlter Publikationszwang, ...
Konsequenzen
Die akademischen Freiheiten, ihre inneren Problematiken sowie die skizzierten typischen Zwänge haben alle zur Folge, dass Ihre Selbstverantwortung enorm gefordert ist – vielleicht mehr als in jedem anderen Beruf. Sie können und müssen Projekte auswählen, entwickeln und strukturieren, Qualitätsmaßstäbe definieren, Prioritäten setzen und all das mit sehr viel Ausdauer und Disziplin sowie oft mit wenig Unterstützung umsetzen. Der Planungshorizont umfasst mehrere Jahre, während derer Sie Ihre intrinsische Antriebskraft nicht verlieren