Zeitmanagement und Selbstorganisation in der Wissenschaft. Markus Riedenauer
Lebenshorizonts, innerhalb dessen alle großen Lebensziele zu integrieren sind.
„Wir haben nicht zu wenig Zeit, aber wir verschwenden zu viel davon. Auch zur Vollbringung der größten Dinge ist das Leben lang genug, wenn es nur gut angewendet wird.“
Seneca: Von der Kürze des Lebens 1
1 | Orientierung durch Wertbewusstsein und Rollenklarheit |
Worum es geht:
Werte steuern Lebensweisen und Entscheidungen und geben Orientierung für das Denken und Handeln des Menschen. Sie prägen die Identität und werden in Zielen operationalisiert. Persönliche Werte entstehen schon sehr früh durch das soziale Umfeld, meist Elternhaus und Schule, und entwickeln sich später weiter aus einer fortlaufenden Wahl und Gewichtung, geformt durch eigene Erfahrungen und Lebensumstände. Wie Sie die Welt und die Menschen sehen, Ihre Zeit gestalten, welchen Arbeitsplatz in welcher Organisation Sie wählen, wie Sie Entscheidungen treffen, wie Sie Ihren Neigungen nachgehen, Ihren Beruf ausüben, die Art und Weise, wie Sie mit Kollegen und Kolleginnen umgehen, sich in ein Team einfügen oder es führen, hängt sehr von den eigenen Werten ab.
Sie brauchen eine Vorstellung davon, was Ihnen wirklich wichtig ist, um mit sich, den getroffenen Entscheidungen und Ihrem Lebensstil im Reinen zu sein. Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Werte in der Arbeit zu leben, wird sie Ihnen Freude, Befriedigung und Erfolg bringen. Das Gleiche gilt für Ihr Privatleben.
Unsere Gesellschaft wandelt sich rasch, und entsprechend ist viel von einem generellen Wertewandel zu hören, mit der allgemeinen Tendenz von Pflichtwerten hin
[22]zu Selbstentfaltungswerten und von materiellen zu postmateriellen Werten. Umso wichtiger ist es, einen persönlichen Wertekatalog zu erstellen. Klaffen die eigenen Werte und die der Organisation auseinander, so führt dies zu einer inneren Anspannung, die ein zielgerichtetes Arbeiten nur mehr schwer zulässt. Darum implementieren Unternehmen Instrumente des „Wertemanagements“.
Mithilfe dieses Kapitels können Sie sich bewusster werden, welche Werte für Sie unverzichtbar sind, und welche anderen, vielleicht auch abhängig von der jeweiligen Lebensrolle oder bestehenden äußeren (wirtschaftlichen) Zwängen, nicht immer oder weniger intensiv gelebt werden können. So werden Sie flexibler und zugleich stärker in Ihrem Agieren.
Motive – Zufall oder Selbstverwirklichung?
Werte motivieren Menschen. Welche Motive sind es, die wissenschaftlich Tätige leiten, Phasen der Frustration aushalten und durchstehen lassen und oft sogar in die Selbstausbeutung treiben? Welche Werte bringen Sie z.B. dazu, mehr Zeit als unbedingt notwendig in Projekt X zu investieren, sich für Kollegin Y einzusetzen, eine Funktion in einem nicht prestigeträchtigen Gremium zu übernehmen oder die Ziele anderer vor die eigenen zu stellen?
An intrinsischer Motivation mangelt es Menschen, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden, nicht. Wissenschaft ist kein Beruf, sondern Berufung: „Es ist mein Beruf, es ist mein Leben, es ist meine Liebe.“5 Wissenschaft ist, so will es nicht nur der Mythos, sondern zeigt auch immer wieder die Realität, kein „nine to five“-Job. Arbeit und Freizeit fließen ineinander über. Die eigentliche Forschungstätigkeit findet sehr oft erst in den Abendstunden oder am Wochenende statt. So klagen Teilnehmende unserer Seminare immer wieder, dass es ein Spezifikum im deutschsprachigen Raum sei, dass Forschung zur Privatsache deklariert wird und gleichzeitig den Kern der universitären Tätigkeit darstellt.
Wer weiterkommen will, muss publizieren. In der Praxis beherrschen aber oft administrative Tätigkeiten oder zeitaufwendige Funktionen in Studien- oder Austauschprogrammen den wissenschaftlichen Alltag. Je tiefer in der Hierarchie man angesiedelt ist, umso geringer ist die Chance, sich hier auszuklinken. Wissenschaftliches Tätigsein erfordert also auf lange Sicht gesehen ein sehr hohes Maß an Selbstmotivation und Frustrationstoleranz.
[23]Der Eintritt in die Wissenschaft ist häufig durch Zufall bestimmt. Er geschieht z.B. im Rahmen eines Tutoriums oder einer Projektmitarbeit und resultiert später oft in einem „Wursteln“ von Projekt zu Projekt. „Einmal auf den Zug universitärer Gelehrsamkeit aufgesprungen, ,ergibt‘ sich alles andere von selbst“, wie das häufig ausgedrückt wird. „Es hat sich einfach ergeben. Die Laufbahn war da. Ich habe sie nur mehr beschreiten müssen. Das ging wirklich … relativ von selbst durch diesen Anstoß am Anfang … und so lief das eben weiter. Mehr oder minder wie auf Schienen, muss ich sagen.“6
Doch die „Laufbahn auf Schienen“ hat sich seit dem österreichischen Universitätsorganisationsgesetz von 2002 und vergleichbaren Reformen in anderen Ländern ziemlich aufgehört. Die Frage der Anstellung wird immer mehr zu einem Lotteriespiel. Das „drittmittelfinanzierte“ Leben ist einerseits für die meisten auf Dauer, mit zunehmendem Lebensalter oder wachsenden familiären Verpflichtungen nicht wirklich erstrebenswert. Andererseits hat man jedenfalls nach einer Promotion schon einen guten Teil seines Lebens in die Wissenschaft investiert. Da der Umstieg in die Privatwirtschaft oder Selbständigkeit für über Vierzigjährige oft nur schwer möglich ist, müssen berufliche Motive und Ziele immer wieder reflektiert und Entscheidungen getroffen werden.
Welchen Stellenwert hat der wissenschaftliche Beruf für mich?
Inwieweit ist er eine Berufung, inwieweit ein Job?
Beinhaltet die wissenschaftliche Existenz für mich das Ziel, ein Gebildeter oder eine Intellektuelle zu sein – über die Fachexpertise hinaus?
Wie viel Zeit bin ich bereit, in meine Berufsrollen zu investieren?
Wie soll daneben mein Familien- und Privatleben aussehen? Wie will ich es gestalten?
Wie gut kann ich mit Ungewissheit leben?
Wie gehe ich mit Frustrationen um?
Wie gut kann ich mich selbst motivieren?
Klarheit über die motivierenden Werte hilft, eine negative Motivationsdialektik zu vermeiden, von Hoffnung über Verzweiflung zum Trotz.
Dient Wissenschaft der Selbstverwirklichung oder dem Wunsch, einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten, oder der Wissbegierde und dem Forschungsdrang? Trifft eine dieser Wertkonstellationen zu, so unsere[24] Erfahrung, lässt sich vieles an Frustration, zeitlichem Mehraufwand und Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. Überwiegt hingegen das Zufallsprinzip oder fehlen berufliche Alternativen, so wird sich der Weg in der Wissenschaft, so wie er sich heute abzeichnet, nur mit sehr viel Selbstdisziplin gehen lassen.
Lehre, Forschung und Administration –Die Kunst, allen Berufsrollen gerecht zu werden
Wie viele Rollen von Ihnen gelebt werden, hängt von Ihrer momentanen beruflichen und privaten Lebenssituation ab. Wie Sie diese ausfüllen möchten, hängt von Ihnen selbst, also Ihren Zielen, Prioritäten, Erwartungen und Werten ab. Vor allem Ihre Werte bestimmen, wie viel Zeit Sie – jenseits des Minimums – in verschiedene Aufgaben investieren.
Per definitionem beschreibt und erklärt die Rollentheorie einerseits die Rollenerwartungen und -festlegungen und andererseits, welche Spiel- und Handlungsfreiräume dem Individuum in einer Rolle offenstehen. Sie beschäftigt sich damit, wie gesellschaftlich vorgegebene Rollen erlernt, verinnerlicht, ausgefüllt und modifiziert werden.
Das eigene Rollenbild zu entwerfen, es immer wieder weiter zu entwickeln und zu pflegen, ist eines der Geheimnisse erfolgreicher Lebensentwürfe. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Ihre Rollen regelmäßig einer Inspektion zu unterwerfen, um herauszufinden, ob Sie sich noch auf dem richtigen Weg befinden und über genügend Ressourcen für die Erledigung aller Aufgaben verfügen. Aber auch Lebensvision und -ziele sollten immer wieder überprüft und gegebenenfalls adaptiert werden.
Ist in meinem persönlichen Rollenbild die Lehre prioritär oder verstehe ich mich selbst eher als forschungsorientiert?
Sehe ich meine Rolle primär im Umfeld meiner Universität oder will ich eine internationale Wirkung entfalten?
Wie sieht meine ideale Balance zwischen berufsrelevanten und privaten Rollen aus?