Max Weber. Volker Kruse

Max Weber - Volker Kruse


Скачать книгу
Normen der Lebensführung und insbesondere eine Wirtschaftsgesinnung (»Berufsmenschentum«) hervorgebracht haben, die das wirtschaftliche Gefüge im Sinne kapitalistischer Strukturen entscheidend verändert und dynamisiert haben. So habe insbesondere der Calvinismus die innerweltliche Askese als besonders wertvolles Verhalten religiös prämiert. Wirtschaftlicher Erfolg wird dabei als ein Zeichen göttlicher Auserwähltheit interpretiert. Diese Glaubensüberzeugung führt laut Weber dazu, dass die »Auserwählten« sich anstrengen, viel und produktiv zu arbeiten und Kapital anzusammeln. Die nichtintendierte Wirkung dieses religiös motivierten Verhaltens besteht also darin, Kapitalbildung und Kapitalismus voranzutreiben. Weber geht daher insgesamt von einem Wirtschaften aus, das vom »frühkapitalistischen Geist« getragenen wird (vgl. Kap. 3).

      In den zwischen 1915 und 1919 wiederum im Archiv veröffentlichten Aufsätzen über Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen weitet Weber seine Forschungen zur Entstehung des Kapitalismus auf außereuropäische Religionen aus (z. B. Konfuzianismus, Taoismus, Hinduismus, Buddhismus). Sie dienen u. a. dem Zweck, die heftig kritisierte Protestantismusthese durch komparative Studien zu untermauern.

      Weber fragt nun, warum in nichteuropäischen Kulturen kein Kapitalismus nach westlichem Muster entstanden ist (jedenfalls nicht aus sich heraus), obwohl diese zeitweise ein hohes und dem Okzident überlegenes Entwicklungsniveau erreicht haben, wie z. B. China oder die islamische Welt. Er analysiert in idealtypischer Darstellung historische Konstellationen, denen zwei Merkmale fehlen:

      1. eine der protestantischen Wirtschaftsethik funktional äquivalente Wirtschaftsgesinnung

      2. ein dem okzidentalen Frühkapitalismus vergleichbares Wirtschaftssystem.

      Sowohl der Konfuzianismus als auch der Taoismus als kosmozentrische, weltbejahende »politische« Religionen hätten z. B. aufgrund ihrer traditionalistischen Prägung eine Ethik unbedingter Anpassung an die ewige Ordnung des Kosmos formuliert, was die Entstehung einer kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung und einer kapitalistischen [27]Wirtschaft okzidentaler Prägung unmöglich gemacht habe. Entsprechende Argumentationsreihen entfaltet Weber auch für die übrigen Weltreligionen. Die Ergebnisse seiner historischen Konstellationsanalysen stützen für ihn die Plausibilität seiner Protestantismusthese: Der okzidentale Frühkapitalismus ist kausal zurechenbar durch die rationale Ethik des asketischen Protestantismus mit verursacht worden (vgl. Kap. 3).

      Das von Weber in seinen Arbeiten über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen bereits verarbeitete Material ist unter dem Titel Religionssoziologie. Typen religiöser Vergemeinschaftung in systematisierender Absicht in einen veränderten Darstellungszusammenhang aufgenommen worden. Der Text bildet ein größeres Kapitel der posthum veröffentlichten soziologischen Textsammlung Wirtschaft und Gesellschaft. Ursprünglich für das mehrbändige Handbuch Grundriss der Sozialökonomik vorgesehen, dienen die religionssoziologischen Passagen überwiegend der soziologischen Systematisierung und Generalisierung. Es ist nicht mehr länger von spezifischen historischen Individuen bzw. Konstellationen die Rede, sondern von Religionen, von religiösem Handeln oder religiöser Ethik im Allgemeinen.

      Webers im engeren Sinne soziologische Arbeiten sind heute wesentlich in zwei Textfassungen zugänglich. Zum einen liegt die bereits angeführte Textsammlung Wirtschaft und Gesellschaft vor, ursprünglich herausgegeben von Marianne Weber, später in veränderter Fassung von Johannes Winckelmann. Bis in die 1970er Jahre galt Wirtschaft und Gesellschaft als unbestrittenes Hauptwerk Max Webers; er habe es in etwa dieser Form angestrebt, es sei ihm aber nicht vergönnt gewesen, es zu vollenden. Die Mehrheit der Weber-Forscher ist aber inzwischen der Ansicht, dass Weber ein solches Hauptwerk nie im Sinn gehabt hat. Daher werden in der Max-Weber-Gesamtausgabe die Manuskripte, die in Wirtschaft und Gesellschaft eingegangen sind, einzeln veröffentlicht. Die neuere Weber-Rezeption hat ganz entscheidend von dem Entstehen einer historisch-kritischen Gesamtausgabe der Schriften, Korrespondenz und Vorlesungen Max Webers profitiert. Seit den 1980er Jahren werden sukzessive mit beträchtlichen Forschungsmitteln an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München neue Bände der historisch-kritischen Werkedition herausgegeben. Diese neue Textgrundlage erlaubt es, einen vergleichenden Blick insbesondere auf die historischen Entstehungszusammenhänge der Arbeiten Webers zu werfen.

      Zeit seines Lebens interessiert sich Weber für politische Fragen und Probleme. Er erwägt verschiedentlich, eine politische Laufbahn einzuschlagen. Dies gelingt ihm allerdings nicht. Durch enge Kontakte zu bekannten Politikern (z. B. Friedrich Naumann) ist es ihm jedoch möglich, indirekt Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen. So nimmt er im Winter 1918/19 beispielsweise an den Beratungen zur Weimarer Verfassung und 1919 an den Friedensverhandlungen mit den Alliierten teil. Öffentlichkeitswirksam bezieht er vor allem als politischer Publizist Stellung zu gesellschaftspolitischen Streitfragen und Auseinandersetzungen.

      In seinem politischen Denken orientiert sich Weber wesentlich an den »nationalen Interessen« Deutschlands. Diese trägt er in herausfordernder nationalistischer Diktion und Begrifflichkeit zunächst in seiner Antrittsrede Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik von 1895 in die gebildete Öffentlichkeit. Ausgehend von den Ergebnissen der bereits erwähnten Landarbeiter-Studie problematisiert er die Abwanderung der deutschstämmigen Bevölkerung sowie die im Interesse der Großgrundbesitzer von der Regierung erlaubte Einwanderung polnischer Saisonarbeiter. Diese Wanderungsbewegung führe zu einer nicht hinnehmbaren Verletzung der nationalen Interessen Deutschlands. Weber erhebt deshalb drei Forderungen: Bodenankauf durch den Staat, systematische Kolonisierung durch deutsche Bauern sowie die Schließung der östlichen Grenzen. Die Politik habe sich an den Interessen der gesamten Nation und nicht an denen der privilegierten Gruppe der Großgrundbesitzer zu orientieren.

      In seinen späteren Schriften tritt Weber für eine weitere Demokratisierung der politischen Verhältnisse in Deutschland ein. Dies lässt sich gut an seinen Beiträgen zur politischen Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ablesen, mit denen er eine Bestandsaufnahme der Lage Deutschlands nach dem verlorenen Weltkrieg vorlegt. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang seine Kritik an der zunehmenden Bürokratisierung der Gesellschaft (»Wilhelminischer Obrigkeitsstaat«) sowie an der gefährlichen Demagogisierung der Politik. Seiner Auffassung nach ist eine stärkere parlamentarische Kontrolle dieser politischen Kräfte erforderlich. Nur so könne der Gefahr entgegengewirkt werden, dass die individuelle Freiheit der einzelnen Bürger und in Folge dessen das demokratische Leben insgesamt unter dem Druck insbesondere der staatlichen Bürokratisierungstendenzen zerstört werden. Für mindestens so bedeutsam erachtet er, dass eine klare politische Leitung der Bürokratie gegeben ist. Erfolgreiche politische Führung, so lässt sich Webers grundlegende politische Botschaft zusammenfassen, muss einen Ausgleich herstellen zwischen den Polen reiner bürokratischer und reiner charismatischer Herrschaft. Nur so könne verhindert werden, dass die blinde Umsetzung von Verwaltungsmechanismen auf der einen Seite und die verantwortungslose Demagogenherrschaft auf der anderen Seite ihre negative politische Wirkung entfalteten (vgl. Kap. 6.4). Webers Beiträge zu der [29]Frage, wie nach dem verlorenen Krieg in Deutschland eine verantwortungsbewusste politische Leitung etabliert werden kann, bewegen sich stets in diesem argumentativen Spannungsfeld. Insbesondere sein Artikel Der Reichspräsident (1919) hat die nachfolgenden politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über die späten politischen Positionen Webers entscheidend bestimmt (vgl. auch Kap. 6.4).

       Wichtige Schriften Webers

      Gesammelte Politische Schriften, 5. Aufl., hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1988 (= GPS):

       Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik (1895), S. 1–25.

       Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens (1918), S. 306–443.

       Politik als Beruf (1919), S. 505–560.

      Gesammelte


Скачать книгу