Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung. Margrit Stamm
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Tabelle 2.2: Frühkind iche Bildung und Betreung in ausgewählten OECD-Ländern
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2.1.2 Öffentliche Investitionen: Eine Ländertypologie
Das Ausmaß, in welchem sich ein Staat im FBBE-Bereich engagiert, beeinflusst die Finanzierung, den Fokus und den Status, aber auch die Prozesse frühkindlicher Bildung. Um die unterschiedlichen Modelle einzelner Staaten diskutieren zu können, schlägt Bennett (2003) ein Modell vor, das in Tabelle 2.3 dargestellt ist und drei unterschiedliche Typen zutage fördert. Es gruppiert sich um das Niveau der öffentlichen Investitionen: Länder mit hohen Investitionen in öffentliche Angebote, Länder mit mittleren Investitionen in Vorschulmodelle und Länder mit tiefen Investitionen in gemischte Modelle. Der erste Typ umfasst Länder mit einem Bruttosozialprodukt (BSP) größer 1,0 %. Dazu gehören Kanada, Italien, Skandinavien oder Neuseeland. In diesen Ländern sind Angebote sowohl als Unterstützungsleistungen für Eltern und Kinder als auch als bildungsorientierte Vorschulprogramme etabliert. Sie sind von staatlichen Mitteln getragen, und es wird keine Unterscheidung zwischen Betreuungs- und Bildungsdimensionen gemacht. Dabei handelt es sich durchgehend um Ganztagsangebote für alle Kinder. Der zweite Typ charakterisiert Länder mit einem BSP zwischen 0,5 und 1,0% und großen, flächendeckenden Bildungsangeboten für Drei-bis Vierjährige. Dazu gehören Frankreich, Großbritannien, die Niederlande oder die USA. In diesen Ländern werden Kinder üblicherweise mit vier oder fünf Jahren eingeschult. Es gibt eine deutliche politische Unterscheidung zwischen Bildungs- und Betreuungsangeboten. Dies zeigt sich darin, dass Vorschulangebote außerhalb des Schulsystems angesiedelt sind. Viele Angebote schließen eine kompensatorische Bildungsdimension ein. Am bekanntesten sind die US-amerikanischen Head-Start- und Early-Head-Start-Programme (Bowman et al., 2000). Die Mehrheit der Vorschulangebote ist als Betreuungsdienstleistung mit Fokus auf Gesundheit, Sicherheit und Fürsorge konzipiert. Ihre Finanzierung erfolgt meist auf privater Basis, die gewinnorientiert oder gemeinnützig sein kann. Der dritte Typ schließlich fasst Länder mit einem BSP kleiner 0,5% zusammen. Dazu gehören Staaten wie Österreich, Deutschland, die Schweiz, Irland oder Korea. Sie betonen vor allem den freien Markt und erachten als ihr erstes Ziel, die soziale Verantwortung zurückhaltend, bedürfnisorientiert und selektiv zu gestalten. Bildung und Betreuung junger Kinder liegt deshalb in der privaten Verantwortlichkeit der Eltern und gilt als Dienstleistung für arbeitende Mütter und Väter. Entsprechend niedrig sind die öffentlichen Interventionen. Ihre Familienpolitik ist vorwiegend auf arme und risikobehaftete Familien/Kinder ausgerichtet.
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Tabelle 2.3: Paradigmen vorschulischer Betreuungs- und Bildungsinvestitionen (nach Bennett, 2003)
Ungeachtet dieser Typologien haben die gesellschaftlichen Veränderungen, die zunehmend diverse Bevölkerung sowie der Wandel der familiären Bedingungen und ihrer Strukturen zu sozialpolitischen Grundsatzdiskussionen über das Angebot frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsleistungen des Staates geführt. Einer der Gründe liegt darin, dass die in den letzten Jahren stark gestiegene Nachfrage nach außerhäuslichen Betreuungsplätzen die großen Schwierigkeiten der Familien ersichtlich gemacht hat, Berufs- und Familienarbeit auszubalancieren. Aufgrund der Notwendigkeit, dass vielfach beide Elternteile verdienen müssen, ist diese Praxis zu einem regulären Familienmuster geworden. Eine Folge davon ist, dass die historische Position der Frauen als Familien- und Haushaltbetreuerinnen und die Tradition vieler Staaten, Kinderbetreuung als private Familienangelegenheit zu betrachten, zunehmend hinterfragt wird. Die Vernachlässigung des frühkindlichen Bereichs hat dazu geführt, dass zu wenig Angebote zur Verfügung stehen, Familien in der Folge nur limitierte und kostenintensive Auswahlmöglichkeiten haben und sie ihre Kinder notgedrungen auch in Angeboten variabler Qualität platzieren müssen, in denen eine entwicklungsangemessene Unterstützung und Förderung nicht immer gewährleistet ist. Diese Problematik wird zu einem virulenten Dilemma. Einerseits ergibt es sich aus dem zunehmenden Druck zu finanziellen Kürzungen, andererseits aus der gewachsenen Erkenntnis, dass die frühkindliche Bildung und Betreuung ein wichtiges Fundament des Gesellschafts-und Bildungssystems darstellt, seine Wirksamkeit jedoch nur entfalten kann, wenn es qualitativ hochstehend ist. Hohe Qualität ist jedoch mit höheren als bisher üblichen Kosten verbunden.
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2.1.3 Schulvorbereitendes versus sozialorientiertes Paradigma
Die in Tabelle 2.2 dargestellten Merkmale der einzelnen Länder stehen auch für unterschiedliche Paradigmen. Das eine Paradigma fokussiert auf schulvorbereitende Wissens- und Kompetenzbereiche wie Sprachförderung (literacy) und Zahlenverständnis (numeracy). Diesem Paradigma liegt ein Verständnis von Bildung als Ressource für die Erzeugung von Humankapital, zur Aufrechterhaltung von Wettbewerbsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit zugrunde. Das andere Paradigma betont die Entwicklung des Kindes als ein in verschiedenen Domänen lernendes Individuum. Es warnt ausdrücklich vor einer zu frühen Konfrontation mit akademischen Lehrinhalten und betont den Wert des Spiels und sämtlicher vom Kind selbst ausgehenden kulturell geprägten Aktivitäten. Während das erste Paradigma auf einem instrumentellen Bildungsverständnis beruht, das Bildung auf Wissen und Schulvorbereitung fokussiert und beispielsweise in Frankreich, Großbritannien oder etwa in der französischsprachigen Schweiz zur Anwendung gelangt, basiert das zweite Paradigma auf einem subjektiv-konstruktivistischen Persönlichkeitsverständnis, das in der Tradition der fröbelschen Bildungsidee respektive der Reggio-Pädagogik liegt und die Sozialisation, Selbstbildung sowie Autonomie des Individuums und damit die Abgrenzung von der Schule betont. Dieses Paradigma ist in der deutschsprachigen Schweiz, in Österreich, Deutschland, Italien, Schweden oder Dänemark grundlegend.
Obwohl sich die Schwerpunkte der Vorschulprogrammatik und das Verständnis von Bildungs- und Betreuungsprozessen in den einzelnen Ländern dem vorherrschenden Paradigma entsprechend unterscheiden, lassen sich zwei allgemeine Tendenzen festhalten: Erstens ergeben sich sozusagen in allen Ländern Probleme im Übergangsbereich Vorschule – Primarschule, denen man auf unterschiedliche Art und Weise entgegenzutreten versucht. So ist in Irland bereits im 19. Jahrhundert die Integration der Vorschule in den Primarbereich erfolgt, in den Niederlanden ist dies seit 1985 der Fall. Verschiedene Länder haben in den letzten Jahren auch Bildungspläne für die frühe Kindheit entwickelt, so Neuseeland 1996, Schweden 1998 und England 2000 sowie in jüngster Zeit auch Deutschland. Zweitens wird in vielen Ländern versucht, die Sozialisations- und Bildungsfunktion zu kombinieren. Diejenigen Länder, die traditionell eher auf kognitive Bildung ausgerichtet sind, bemühen sich verstärkt um eine Annäherung an soziale Bildungsziele, während Länder wie die Schweiz oder Deutschland die soziale Funktion besonders betonen, sich jedoch mit neuen Schuleingangsmodellen vermehrt um die Förderung der intellektuellen Entwicklung bemühen (OECD, 2006, S. 33) und sich dabei an einem dynamischen Lern- und Leistungsbegriff orientieren.
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2.2 FBBE-Forschung
2.2.1 Historischer Rückblick
Die FBBE-Praxis hat eine lange Tradition. In den USA umfasst sie seit der Einführung der infant schools, der nursery schools oder der day care centers mehr als 150 Jahre. Ähnliches gilt für den deutschsprachigen Raum: Der erste Kindergarten ist von Fröbel im Jahr 1840 eingeführt worden, die erste Kinderkrippe bereits 1802 von Fürstin Pauline von Lippe. Die FBBE-Forschung jedoch hat eine deutlich kürzere Geschichte. Sie lässt sich in vier Wellen einteilen.
• Bis in die 1960er-Jahre fokussierte die einzige, meist angloamerikanische Forschung zu jungen Kindern ausschließlich