Globalisierung. Christoph Scherrer
ist besonders ausgeprägt in den Militärbündnissen. So ging zum Beispiel die Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation (NATO) der Gründung der Europäischen Union voraus. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann |19◄ ►20| sogar Staaten ermächtigen, andere Staaten anzugreifen. Regierungen und nationale Gerichte halten sich zudem vermehrt an Entscheidungen der im Ausbau befindlichen internationalen Gerichtsbarkeit. Diese hat ihren Ursprung im 1922 gegründeten Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag (seit 1945 der Internationale Gerichtshof ), dessen Entscheidungen allerdings nicht immer von den Staaten befolgt werden (Beispiel: die militärischen Aktivitäten der USA gegen Nicaragua im Jahr 1984). Seit 2002 besteht ein Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) mit Zuständigkeit bei Völkermord und Kriegsverbrechen. China und die USA haben neben einigen anderen Staaten noch nicht die Hoheit dieses Gerichtes anerkannt. Für die EU-Mitgliedsstaaten gewinnt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) an Bedeutung.
Schaubild 5: Internationale Gerichtshöfe
Quelle: Le Monde diplomatique (Hrsg., 2003): Atlas der Globalisierung. Berlin: Taz Verlag
Unterhalb der Gerichtsbarkeit entstand ein ausgedehntes Schlichtungswesen. Prominent ist das seit 1995 bestehende Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO), welches von einem WTO-Mitgliedsland eingeleitet werden kann, wenn es der Meinung ist, dass sich ein anderes Mitgliedsland nicht an die vereinbarten Regeln hält. Feste Fristen für alle Verfahrensschritte sorgen für ein vergleichsweise zügiges Verfahren. Auch mächtige Staaten halten sich weitgehend an die WTO-Schiedssprüche.
Auf zahlreichen Politikfeldern treffen sich die Mitglieder der jeweiligen Ministerialbürokratien zum regelmäßigen fachbezogenen Austausch, auch ohne ein explizites Mandat ihrer Regierungen (sog. Transnational Executive Networks).
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Als mittlerweile fester Bestandteil der globalen politischen Architektur versuchen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Interessen der Zivilgesellschaft in das internationale System einzubringen. Nicht nur ist die Anzahl der NRO seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beständig gewachsen, viele Nichtregierungsorganisationen sind heute über den Globus vernetzt. Zum Beispiel ist Greenpeace mittlerweile in über 40 Ländern vertreten. Andere NRO vernetzen sich auch untereinander, um ihren Anliegen besser Gehör zu verschaffen. Solche Netzwerke – wie zum Beispiel das im entwicklungspolitischen Bereich tätige Netzwerk „Development Alternatives with Women for a New Era“ (DAWN) – werden als „Transnational Advocacy Networks“ bezeichnet.
Zusammen mit VerbandsvertreterInnen der Wirtschaft, MinisterialbürokratInnen und WissenschaftlerInnen beteiligen sich NRO auch an globalen Netzwerken zu einzelnen Politikfeldern (sog. „Global Public Policy Networks“), z.B. im Landwirtschaftsbereich an der Consultative Group on „International Agricultural Research“ (CGIAR).
Ob auf Regierungs- oder auf NRO-Ebene, die internationale Kooperation ist von Macht durchzogen. Der UN-Sicherheitsrat wird von wenigen ständigen Mitgliedern beherrscht, mit der G8 maßen sich einige reiche kapitalistische Länder an, die Geschicke der Welt zu lenken, im Internationalen Währungsfonds verfügen die USA und die EU über eine Sperrminorität. Nicht alle NROs verfügen über die entsprechenden Ressourcen, die nötig sind, um sich beispielsweise für die Beratungen des Wirtschafts- und Sozialrates der UN akkreditieren zu lassen oder die entsprechenden Flug- und Tagungskosten aufzubringen. Auf diese Weise werden kleinere NROs aus den Gestaltungsprozessen ausgeschlossen.
Weiterführende Literatur
Debiel, Tobias / Messner, Dirk / Nuscheler, Franz / Roth, Michèle / Ulbert, Cornelia (2010): Globale Trends 2010. Frieden. Entwicklung. Umwelt. Frankfurt/M.
Held, David / McGrew, Anthony / Goldblatt, David / Perraton, Jonathan (1999): Global Transformations: Politics, Economics and Culture. Stanford
Le Monde diplomatique (2009; Hrsg.): Atlas der Globalisierung. Sehen und verstehen, was die Welt bewegt. Berlin
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Globalisierung in der Kontinuität des Kolonialismus?
Wenngleich der Begriff Globalisierung erst in den Neunzigerjahren auftrat, weisen WirtschaftshistorikerInnen darauf hin, dass die Globalisierung mit den europäischen Eroberungsfahrten im ausgehenden 15. Jahrhundert begann.
Bis zum Ersten Weltkrieg durchlief die Globalisierung zwar verschiedene Phasen, wies aber eine hohe Kontinuität auf. Schon an der Wiege der globalen Wirtschaftsverflechtung stand Gewalt Pate. Im Industriezeitalter nahm das Ausmaß der gewaltsamen Eroberung der Welt durch Europa noch zu, wobei allerdings die Sklaverei zunehmend durch Lohnarbeit ersetzt wurde.
Von Anfang an bestand ein interkontinentaler Kettentransfer von Waren. Die einträgliche Veredelung der Rohstoffe behielten die Kolonialmächte für sich. Die erkämpfte Entkolonialisierung zog sich bis in die Sechzigerjahre.
Erste Globalisierung – Kolonialismus
Handel, Kommunikation und Wanderungen über weite Entfernungen sind fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Bereits vor der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus im Jahr 1492 gab es einen regelmäßigen Handel zwischen den dynamischen Wirtschaftszonen in Europa, Nordafrika und Asien. Nicht allein durch das römische Erbe waren nahöstliche Erfindungen wie das Christentum in Europa bekannt. Arabische Präsenz in Sizilien und auf der iberischen Halbinsel, die Kreuzzüge nach Palästina und die rege Handelstätigkeit Venedigs haben in der vorkolumbianischen Zeit Europa vom „Orient“ lernen lassen. Beispielsweise förderten im 12. Jahrhundert die oberitalienischen Städte die Kultivierung von aus Asien stammenden Zitronen auf ihren landwirtschaftlichen Kolonien.
Die Seehafenstädte des westlichen Mittelmeers machte dieser Austausch reich. Jedoch wurde dieser Reichtum im 15. Jahrhundert durch das erstarkende|22◄ ►23| Osmanische Reich bedroht, so dass die Suche nach einem Weg über den Atlantik nach Indien in westlicher und südlicher Richtung begann.
Obwohl die Entdeckung des Genuesen Christoph Kolumbus zumeist als Beginn der globalen Vernetzung angesehen wird, war die fünf Jahre zuvor erfolgte erstmalige Umsegelung der südlichen Spitze Afrikas, des Kaps der Guten Hoffnung, durch den Portugiesen Bartolomeo Dias zunächst wichtiger, denn sie eröffnete den Weg in den Indischen Ozean. 1498 gelang es Vasco da Gama mit einer portugiesischen Flotte erstmalig, auf dem Seewege bis nach Indien zu kommen. Wenige Jahrzehnte später beherrschten portugiesische Karavellen den Handel mit Indien.
Schaubild 6: Wichtigste weltumspannende Handelsrouten 1400-1800
Quelle: André Gunder Frank 1998, ReOrient, S. 65, University of California Press
Es war kein Zufall, dass die globale Vernetzung der Wirtschaftsräume von Europa ausging. Der indisch-chinesische Raum war nicht nur aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen für den Anbau von Gewürzen, sondern auch aufgrund einer insgesamt höher entwickelten Wirtschaft viel weniger an westlichen Gütern interessiert. Das Hauptgeschäft der portugiesischen Seefahrtspioniere war dann auch nicht der Fernhandel zwischen Europa und Asien, sondern der innerasiatische Handel im Indischen Ozean; ihre Überlegenheit beschränkte sich auf ihre Seefahrtskunst und nautische Militärtechnik. So wurden Pferde aus Persien nach Südindien und dortige Stoffe zu den Gewürzinseln verschifft. Den Handel zwischen Europa und Asien brachte dann überraschend Amerika in Schwung. Überraschend, weil Amerika zunächst nur als Barriere auf dem Weg nach Indien angesehen wurde. Doch das zunächst der indigenen Bevölkerung gestohlene und später unter unsäglichen Arbeitsbedingungen abgebaute Silber und Gold aus |23◄ ►24| Mittel- und Südamerika verschaffte den Händlern der iberischen Halbinseln die Zahlungsmittel, die auch in Asien begehrt waren.
Der iberische Kronmonopolismus (1492 – 1820)
Die Geschichte