Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов
Ausmaß notwendig. Externe Berater/innen, aber insbesondere Qualifizierungsinstanzen sind notwendig für Coaching, Prozessberatung, Vergewisserungsschleifen sowie kritisches Feedback an zentralen Prozesspunkten – dies indes in sehr unterschiedlicher Dichte und Tiefe, je nach in der Institution vorhandenem Know-how. Grundsätzlich gilt: Externe Instanzen dürfen konsequent nur solche Funktionen erfüllen, die innerhalb der Institution noch nicht eigenständig leistbar sind, und dies immer mit dem Ziel, das implementierte Wissen innerhalb der Institution möglichst dauerhaft zu verankern. Externe sollten deshalb sparsam, aber gezielt je nach Bedarf eingesetzt werden.
Anachronistisch, allenfalls gelegentlich recht niedlich, letztlich indes jegliche Innovation verhindernd sind immer wieder vorfindbare Orientierungen wie etwa:
–Bei Führungskräften des Leistungsträgers: „Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird: Wir handeln erstmal die Tagessätze/Fachleistungsstunden runter, und dann sehen wir weiter.“
–Bei Geschäftsführungen von Leistungserbringern: „Wir machen jeden Trend mit, den man uns vorgibt, und bieten das an, was der Markt verlangt und bezahlt wird.“
–Auf Seiten der Fachkräfte: „Wir sitzen jede Welle aus und haben bisher noch jeden Trend unbeschadet überstanden.“
Derlei Einstellungen degradieren jedwede Innovation zum Schneeball in der Hölle; da helfen kein Vortrag, kein Kongress und keine Fachpublikation. Um den Kreislauf der wechselseitigen Borniertheitszuweisungen und Innovationsverhinderungen zu durchbrechen, sind nach meinen Erfahrungen u. a. folgende Einstiege für ein Reformvorhaben erfolgversprechend:
–Der öffentliche Träger geht mit einem Konzept in die Offensive, garantiert den Leistungserbringern Bestandssicherung, fordert aber von ihnen fachliche Innovation im Sinne des Fachkonzepts Sozialraumorientierung.
–Leistungserbringer gehen mit einem inhaltlichen Konzept in die Offensive und bieten dieses dem örtlichen Leistungsträger an, und zwar mit der Zusage, gemeinsam Fach- und Finanzverantwortung zu tragen und hohe Transparenz bei internen Veränderungsprozessen zu garantieren.
–Einzelne Akteure/innen auf Seiten des öffentlichen wie auch der freien Träger, die sich gegenseitig in ausreichendem Maß vertrauen, vereinbaren eine gemeinsame Strategie und beginnen gleichzeitig in ihren Institutionen mit dem Veränderungskonzept.
Wenn man sich in Organisationen dazu entscheidet, die Umsetzung des Fachkonzepts durch eine darauf bezogene Weiterentwicklung der institutionellen Strukturen sowie der das Feld prägenden Finanzierungsströme zu unterstützen und damit eine möglichst nachhaltig wirkende organisationale Rahmung zu schaffen, benötigt man einen langen Atem sowie die Aufsetzung eines gut geplanten und gemanagten Organisations-Entwicklungsprozesses, der alle beteiligten Akteure ziemlich herausfordert und gleichzeitig der Organisation für die Erledigung ihrer Aufgaben einen neuen Qualitätsschub verleiht. Dies hat sich bereits zu Beginn der 2000er Jahre u. a. gezeigt in Berlin (Brünjes 2006), in Zürich (Waldvogel 2007), im Landkreis Nordfriesland (Stephan 2006), sowie später etwa in Rosenheim (Pichlmeier/Rose 2010), Graz (Krammer/Punkenhofer 2019), der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (s. dazu den Beitrag von Stiefvater/Haubenreisser/Oertel i. d. Band) oder in der Eingliederungshilfe in Nordfriesland (Hinte/Pohl 2018) – um nur einige zu nennen, von denen übrigens die meisten gut dokumentiert und ordentlich beforscht wurden (s. dazu Hinte/Noack 2017; Noack 2017; für den Bereich der Frühen Hilfen: Thiesen 2018; für das Thema „freiwilliges Engagement“: Schaden 2019). Oft zeigt sich, dass die Implikationen des Fachkonzepts auf eine langjährig gepflegte Kultur treffen, die geprägt ist durch die einseitige Konzentration auf eng definierte leistungsgesetzliche Ansprüche, hochgradig differenziert entwickelte versäulte Hilfeformen, Betreuungssettings jenseits der jeweiligen Adressat/innen-Milieus sowie einem Betreuungsimpetus, der weder das viel beschworene Empowerment fördert noch die konstruktiv funktionierenden Kräfte der jeweiligen Herkunftsmilieus.
In den groß angelegten Umbauprozessen insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Eingliederungshilfe wird dieser Paradigmenwechsel mit zum Teil erheblichen Anstrengungen, Umwegen, Lernerfahrungen und Erfolgen ganz konkret vollzogen und bildet sich ab u. a. in neuen Aufbau- und Ablaufstrukturen, einer engen und partnerschaftlich gepflegten Kooperation zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern, zahlreichen innovativen Hilfe-Arrangements unter Beteiligung der betroffenen Menschen und einem beachtlichen Kompetenzzuwachs des in den Prozess einbezogenen Fachpersonals.
Literatur
Böllert, Karin (Hg.) (2018): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe, Band 2. Wiesbaden
Brünjes, Volker (2006): Der sozialräumliche Umbau der Berliner Jugendhilfe. In: Budde u. a. (2006), S. 73-108
Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank/Hinte, Wolfgang (Hg.) (2006): Sozialraumorientierung. Wege zu einer veränderten Praxis. Wiesbaden
Feil, Naomi/de Klerk-Rubin, Vicki (2017): Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen, 11. Auflage. München
Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (Hg.) (2019): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten, 3. Auflage. Wien
Haller, Dieter/Hinte, Wolfgang/Kummer, Bernhard (Hg.) (2007): Jenseits von Tradition und Postmoderne. Sozialraumorientierung in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Weinheim/München
Herrmann, Heike (2019): Soziale Arbeit im Sozialraum. Stadtsoziologische Zugänge. Stuttgart
Herrmann, Klaus (2006): Einleitung. In: Herrmann, Klaus (Hg.) (2006): Leuchtfeuer querab! Wohin steuert die Sozialraumorientierung?, S. 20-40. Berlin
Hinte, Wolfgang (1999): Fallarbeit und Lebensweltgestaltung – Sozialraumbudgets statt Fallfinanzierung. In: ISA (Hg.) (2019): Soziale Indikatoren und Sozialraumbudgets, S. 82-94. Münster
Hinte, Wolfgang/Treeß, Helga (2014): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik, 3., überarbeitete Auflage. Weinheim/München
Hinte, Wolfgang (2018): Gemeinwesenarbeit. In: Graßhoff, Gunther u. a. (Hg.) (2018): Soziale Arbeit, S. 205-216. Wiesbaden
Hinte, Wolfgang (2019): Gemeinwesenarbeit – unter Wert verkauft? In: Sozial extra 6/2019, S. 398-403
Hinte, Wolfgang/Noack, Michael (2017): Sozialraumorientierung: Ein unerforschtes Feld? In: Noack (2017), S. 11-22
Hinte, Wolfgang/Pohl, Oliver Marco (Hg.) (2018): Der Norden geht voran. Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe im Landkreis Nordfriesland. Berlin
Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2018): Sozialraumorientierung. In: Böllert (2018), S. 1067-1093
Krammer, Ingrid/Punkenhofer, Sonja (2019): Sozialräumliche Finanzierung in der Grazer Kinder- und Jugendhilfe. In: Fürst/Hinte (2019), S. 248-257
Miller, William R./Rollnick, Stephen (2015): Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing, 4. Auflage. Freiburg
Noack, Michael (2015): Kompendium Sozialraumorientierung. Geschichte, theoretische Grundlagen, Methoden und kritische Positionen. Weinheim/ Basel
Noack, Michael (Hg.) (2017): Empirie der Sozialraumorientierung. Weinheim/Basel
Pichlmeyer, Werner/Rose, Gerhard (Hg.) (2010): Sozialraumorientierte Jugendhilfe in der Praxis. Handreichung für kommunale Entscheidungsträger am Beispiel der Stadt Rosenheim. Berlin
Rosenberg, Marshall B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens, 12. Auflage. Paderborn
Schaden, Elias (2019): Freiwilliges Engagement in der sozialraumorientierten Kinder- und Jugendhilfe. Opladen/Berlin/Toronto
Schröer, Hubertus (2005): Zur Notwendigkeit sozialräumlicher Orientierung in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Sozialraumorientierung in der Münchner Kinder- und Jugendhilfe. Tagungsdokumentation 18.02.2005, S. 24-42. München
Stephan, Birgit (2006): Das Sozialraumprojekt in der Jugendhilfe des Kreises Nordfriesland.