Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet
und entschiedener für eine Politik internationaler Solidarität eingetreten als er. Er tat dies in zahlreichen Büchern und Reden, auf Kirchentagen bis hin zu Gewerkschaftskongressen (z.B. in Oberhausen 1972, wo er sein Konzept von „Lebensqualität“ vorstellte) wie auf Parteiveranstaltungen und internationalen Konferenzen. In ungewöhnlicher Weise pflegte er den Meinungsaustausch mit dem MontagskreisMontagskreis junger bmz-beamter wie mit prominenten Gesinnungsgenossen, etwa dem Vietnam-geläuterten Robert McNamaraMcNamara, Robert, Staatsmännern wie NyerereNyerere und PalmePalme, Olof und Carl-Friedrich von Weizsäckervon Weizsäcker, Carl-Friedrich, den er damals für den Vorsitz des Deutschen EntwicklungsdienstesDeutscher Entwicklungsdienst gewinnen konnte.
Tatsächlich hat er anregend und motivierend auf eine ganze Generation entwicklungspolitisch engagierter Menschen in Staat, Kirche und Zivilgesellschaft gewirkt. Hierin liegt wohl seine besondere historische Leistung. Natürlich ging das nicht ohne Konfrontationen ab, und er nahm dabei auch einige Risiken auf sich. In Anlehnung an RosenstocksHuessysRosenstockHuessy Begriff der Friedenspiraten nannte er die Entwicklungshelfer gelegentlich „Friedenspiraten“ und lieferte damit Gegnern und Kritikern das rote Tuch, mit dem sie ihn in die linke Ecke zu verweisen suchten. Herbert WehnerWehner, Herbert, der ähnliche Angriffe selbst reichlich erfahren musste, bezeichnete EpplerEppler, Erhard und seine Gefolgsleute freundlichgrimmig als „Pietcong“.
Manfred KulessaKulessa, Manfred: Abgang Erhard EpplerEppler, Erhard (1974)
Im Bundestag hat dieser Lehrer
Mehr Kritiker als Verehrer.
Ob er wohl im Be-Em-Zette
Eine Kaderschmiede hätte,
fragte dreist die CDU
und sie schaute ungern zu,
traf er sich nach langer Reise
nicht im Beirat weiser Greise,
nein, im linken Montagskreise.
Statt der Ausschußveteranen
schult er Friedenspartisanen.
Manche wundern sich indessen:
Zelebriert der rote Messen?
Oder übt bei ihm man schon
Schritt für Schritt Revolution?
Bei der NATO ziehn darauf
erste Warnsignale auf:
„Herbert WehnerWehner, Herbert can’t be wrong,
he just called him ‚Pietcong‘.“
Bald wirkt mühsam nur sein Stück
fortschrittlicher Politik.
Selbst die Baracke, still und sacht,
hat sie ihm schon schwer gemacht,
wo im Keller, hurtig heiter,
sägen die Kanalarbeiter.
Selbst der Bundeskanzler SchmidtSchmidt, Helmut
kriegte davon etwas mit.
So, wer hätte das gedacht,
erodiert Etat und Macht.
Da hat EpplerEppler, Erhard Schluss gemacht.
Heißt das: Erhard, gute Nacht?
Nein, bei aller harten Kost
bietet die Erfahrung Trost.
Die Geschichte wird’s besorgen
und es gibt ein neues Morgen.
Denn so manches gute Werk
Wartet schon in Württemberg.
Herbert SahlmannSahlmann, Herbert
Persönlicher Referent und später Leiter des Ministerbüros von Erhard EpplerEppler, Erhard im BMZ, Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes (1980–1984). Vorstand Stiftung Nord-Süd-Brücken.
Klarer Denker und wertorientiertes Handeln
Am meisten beeindruckt haben mich Erhard EpplersEppler, Erhard Analyse und Formulierungsfähigkeiten und seine perspektivischen und ganzheitlichen Gedankenansätze.
So konnte er auf der Grundlage einer Faktensammlung des Ministeriums zu einem Thema in kurzer Vorbereitungszeit an Hand von 10 bis 20 handschriftlich von ihm erstellten Stichworten einen druckreifen einstündigen Vortrag halten, der mindestens eine wichtige Botschaft hatte. In wenigen Minuten formuliert er auch eine Presseerklärung, die knapp und klar und mit „Biss“ eine neue Idee oder eine wichtige Information „rüberbringt“.
Ein Beispiel: „Die Verbindung von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit ist nicht nur in diesem Bericht, es ist auch in der politischen Wirklichkeit die Aufgabe Nr. Eins. Wir haben eine weltweite kollektive Verantwortung gegenüber den am wenigsten privilegierten Gruppen“ und er verwies auf den moralischen Imperativ, „der uns verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gegenwart nicht zum Feind der Zukunft wird“, (Erhard EpplerEppler, Erhard in einer Presseinformation der DGVN vom 02.11.2011 anlässlich der Vorstellung des „UN-Berichtes über die menschliche Entwicklung 2011“).
Erhard EpplerEppler, Erhard lebt diesen moralischen Imperativ.
6 Entwicklungspolitik im Zeichen des Ölpreisschocks
Minister: Egon BahrBahr, Egon (1974–1976)
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Egon Bahr * 1922 †2015 |
❋ Beschreibung und Wertung
BahrBahr, Egon wurde Nachfolger EpplersEppler, Erhard als Entwicklungsminister im Kabinett SchmidtSchmidt, Helmut. „Mit einer Mischung aus Zögern, Hochachtung und Faszination bin ich dem Drängen von Willy BrandtBrandt, Willy und Helmut SchmidtSchmidt, Helmut nachgekommen, Erhard EpplerEppler, Erhard im Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu folgen. Das Zögern rührte aus der Sympathie mit dem Amtsinhaber, dessen politische Schwierigkeiten mit dem Bundeskanzler über die Anlässe seiner amtlichen Meinungsverschiedenheiten hinausgingen. Die Hochachtung galt dem prägenden Wirken eines Mannes, der aus dem Begriff der Weltinnenpolitik gesellschaftspolitische Folgerungen eines sehr reichen Landes, ethisch wie moralisch, gezogen und dieses Denken in die öffentliche Meinungsbildung eingeführt hatte, ohne die notwendige Unterstützung zu finden.“1
Dass Bundeskanzler SchmidtSchmidt, Helmut die langfristig bedrohliche Dimension der Entwicklungsländer unterschätzte, zeigte sich in der distanzierten Art, in der er BahrBahr, Egon ins Ministerium schickte. Er hatte BahrBahr, Egon um eine „unauffällige Amtsführung“ gebeten.2 „Mach, was du für richtig hältst, aber möglichst wenig Ärger.“3
Kern der BahrBahr, Egon’schen Entwicklungspolitik war eine Kooperation auf der Grundlage gleichberechtigter eigenständiger Partnerschaft. Die Parallelen zu seinem Ost-West-Konzept Wandel durch AnnäherungWandel durch Annäherung sind unverkennbar. „Die große Aufgaben, die die Welt vor sich hat, könnte man auch so formulieren: Wird es gelingen, die Erfahrungen der Entspannung zwischen Ost und West auf das Verhältnis zwischen Nord und Süd anzuwenden? Das bedeutet, wir sollten uns nicht vornehmen, Unterschiedlichkeiten zu leugnen oder gar Interessengegensätze, aber wir sollten auch die gemeinsamen Interessen sehen. Rivalität und Zusammenarbeit werden auch hier parallel laufen und wie wir wirklich hoffen, einer immer breiteren Zusammenarbeit Platz machen. Es ist nicht vordringlich, Systeme zu verändern, sondern die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Systemen zu organisieren.“4
BahrBahr, Egon setzte auf bilaterale Kooperation. Internationale Organisationen waren ihm suspekt. „Während der letzten 15 Jahre waren eineinhalb Dutzend internationale