Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet
Leiter der Außenwirtschaftsabteilung des DIHT (Deutscher Industrie und Handelstag).
Ausbau der jungen Entwicklungspolitik trotz Wirtschaftsflaute
Nach der Bildung der ersten großen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland warteten wir in dem vom liberalen Minister Walter ScheelScheel, Walter geprägten jungen BMZ gespannt auf die neuen Akzente der deutschen Entwicklungspolitik, die Minister Hans-Jürgen WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen (SPD) setzten würde. Seine uns bekannten Algerien-Initiativen wie auch seine Stellungnahmen im Bundestag ließen erwarten, dass die Gestaltungswünsche der Entwicklungsländer eine größere Rolle spielen dürften. Während die alten Kolonialmächte eigene Entwicklungsprogramme entworfen hatten, hatten die verschiedenen Fachressorts der Bundesregierung ihre besonderen Stärken in das zunächst nur lose koordinierte Angebot der Bundesrepublik eingebracht. Aufgabe des jungen Entwicklungsministeriums war es, unterstützt von Fachwissenschaftlern, für eine begrenzte Zahl von Ländern Programme zu entwickeln, die das deutsche Angebot zusammenfassten und optimal neben Eigenanstrengungen und Fremdhilfe der Nehmerländer stellten. Zusammen mit den neu gebildeten Länderreferaten lag hier eine wichtige Aufgabe der PlanungsgruppePlanungsgruppe. In dieser Ausbauphase der deutschen Entwicklungspolitik erfolgte ein ernsthafter Konjunkturrückgang, und zugleich mit dem Argument der „goldenen Betten“ in den Entwicklungsländern entstanden Zweifel an der Gestaltung der Entwicklungshilfemaßnahmen. Auf beides reagierte Minister WischnewskiWischnewski, Hans-Jürgen. Ich konnte ihn zu wichtigen Veranstaltungen, z.B. im Düsseldorfer Industrieclub und auch zu führenden Betriebsratsvorsitzenden begleiten. In überzeugender Weise trug er den Wunsch des Ministeriums vor, weitere Zuständigkeiten für die Entwicklungspolitik zu erhalten. Er wies dabei auf die zum Teil schwierigen Abstimmungsprozesse in den interministeriellen Ausschüssen hin, ließ aber keinen Zweifel daran, dass die Kontrollen im Zusammenwirken mit den Partnerländern weiter ausgebaut werden sollten. Natürlich stellte er die Exportwirksamkeit einzelner Maßnahmen heraus, unterstrich aber auch den Gewinn für die Nehmerländer. Für ihn kam es in dieser Situation darauf an, die Interessenlage beider, der Geber und der Nehmerländer in eine Balance zu bringen. Entscheidend war die Fortentwicklung der deutschen Entwicklungspolitik, die damals gefährdet schien.
Dr. Sigvard ClasenClasen, Sigvard
1965–1968 Projektverantwortlicher der KfW für Investitionen in die Infrastruktur von Entwicklungsländern, anschließend zwei Jahre im Frankfurter BattelleInstitut zuständig für Afrika in Beratung und Projektevaluierung, 1980–1998 Vorstand im Degussa-Konzern, seitdem Aufsichtsrat in Pforzheim.
Entwicklungszusammenarbeit als Schlüsselelement für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Prosperität in Südkorea und Malaysia
In den 1960er-Jahren fühlte ich mich weit über mein wissenschaftliches Interesse hinaus als stark engagierter Mitgestalter am wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer. Der Begriff der „Dritten Welt“ war noch nicht verbreitet. Meine Tätigkeit konzentrierte sich innerhalb der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf den Infrastrukturbereich (wie Häfen, Straßen und Fernmeldesysteme) jenseits von einengenden politischen Parametern bzw. Vorgaben. Entwicklungsförderung war sorgfältig evaluierte Beurteilung von Investitionsprojekten, die dem betreffenden Land unter vielversprechenden Perspektiven per Kreditfinanzierung ermöglicht werden konnten. Politische Präferenzen spielten keine nennenswerte Rolle. Zugelassen waren also weder Einschränkungen durch sog. Lieferbindung noch Toleranzen gegenüber wirtschaftlich untauglichen Regierungen. Auch eine Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands im Sinne von Exportförderungspolitik wurde in meiner KfW-Zeit nicht praktiziert. Beispielgebend für erfolgreich aufstrebende Entwicklungsländer sind Südkorea und Malaysia geworden, die die ihnen zugebrachte Hilfestellung mit einer eindrucksvollen Aufwärtsentwicklung und Prosperität beantwortet haben.
5 Entwicklungspolitik im Lichte der ökologischen Grenzen des Wachstums
Minister: Erhard EpplerEppler, Erhard (1968–1974)
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Erhard Eppler (links) * 1926 (hier mit Willy Brandt) |
❋ Beschreibung und Wertung
Die Phase 1968–1974 wurde außenpolitisch von der neuen Ostpolitik beherrscht, welche die Nachkriegszeit und die Phase des Kalten Krieges beendete. Ebenso ist sie durch eine Vielzahl von innenpolitischen Reformen als auch durch die Studentenbewegung geprägt.1 Der entwicklungspolitische Neuerer war zu jener Zeit Erhard EpplerEppler, Erhard. Er war Entwicklungsminister von 1968 bis 1974 unter den Kanzlern KiesingerKiesinger, Kurt Georg, BrandtBrandt, Willy und SchmidtSchmidt, Helmut. Am 21. Oktober 1969 wurde Willy BrandtBrandt, Willy Bundeskanzler. Die neue Regierung bestand aus einer Koalition von SPD und FDP und löste die große Koalition (CDU/SPD) unter Kurt Georg KiesingerKiesinger, Kurt Georg ab. Erhard EpplerEppler, Erhard kann deshalb mit gewissem Recht vornehmlich als der Entwicklungsminister Willy BrandtsBrandt, Willy bezeichnet werden.2 Das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) konnte sich während dieser Zeit weitgehend von außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Vorgaben lösen und die Grundlagen einer eigenständigen Politik legen.
EpplerEppler, Erhard unterstützte die neue Ostpolitik Willy BrandtsBrandt, Willy. Seit 1967 wurde die HallsteinDoktrinHallsteindoktrin nicht mehr streng ausgelegt. Mit dem Moskauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR von 1970 (der erst 1972 in Kraft trat) hatte sie ihren Sinn endgültig verloren, so dass sie mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Dezember 1972 offiziell „begraben“ werden konnte. Die Bundesrepublik hatte ihren Alleinvertretungsanspruch aufgegeben und somit keinen Grund mehr, Staaten der Dritten Welt mit Entwicklungshilfe für die Nichtanerkennung der DDR zu belohnen.3
Im Zentrum der Entwicklungspolitik EpplersEppler, Erhard stand die ökologische Frage. Anfang der 1970er-Jahre erschienen Untersuchungen zu den Grenzen des Wachstums (EhrlichEhrlich, 19704, MeadowsMeadows, Dennis 19715), die die früheren wachstumsorientierten Ansätze in Frage stellten.6 Gleichzeitig stieg auch die Wahrnehmung ökologischer Probleme in der Entwicklungspolitik. EpplerEppler, Erhard selbst entwickelte sich schon in seiner Zeit als Minister zu einem entschiedenen Verfechter von Nachhaltigkeit. In dieser Zeit erlebte EpplerEppler, Erhard, besonders durch die bewusste Wahrnehmung des Elends in der Dritten Welt, einen Bewusstseinswandel, durch welchen sich der Schwerpunkt seines politischen Handelns in Richtung der Beachtung der Grenzen des Wachstums verlegte.7 So gab er mit einem Vortrag beim Internationalen Kongress der IG-Metall 1972 zum Thema Lebensqualität einen wichtigen Anstoß zur Ökologie-Debatte in der Bundesrepublik Deutschland und global.8
Die Verantwortung für die Entwicklungsländer war für EpplerEppler, Erhard nicht eine Wiedergutmachung für den Kolonialismus, sondern Ausdruck des gemeinsamen Interesses an einer friedlichen Entwicklung in einer Welt mit begrenzten Wachstumsaussichten. Im Zentrum seiner Überlegungen stand die ökologisch begründete Skepsis gegenüber dem wachstumsorientierten Entwicklungsmodell, das ersetzt werden sollte durch ein grundbedürfnisorientiertes Entwicklungsmodell als Kern des entwicklungspolitischen Handelns.
Als EpplerEppler, Erhard 1968 das Ministerium übernahm, unterstützt von Staatssekretär Udo HeinHein, Udo, hatte es nur wenige eigene Kompetenzen. Ein Großteil der Entscheidungen wurde im Wirtschafts und Außenministerium gefällt. Die ersten Jahre der Amtszeit EpplersEppler, Erhard waren besonders von Kämpfen um Kompetenzen mit anderen Ministerien geprägt.9 1969 wurde in den Bundesministerien das „Amt“ des Parlamentarischen Staatssekretärs neu geschaffen. Ihm wurde die Aufgabe zugewiesen, den Minister bei der Erfüllung seiner politischen Aufgaben zu unterstützen. Erste Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ wurde Brigitte FreyFrey, Brigitte (1969–1972). Sie setzte sich für mehr Zuständigkeiten für das BMZ ein. Mit Antritt der sozialliberalen Koalitionsozialliberale Koalition 1969 bekam das BMZ die Kompetenzen für Massenmedienprojekte vom Bundespresseamt, im Mai 1970 die Zuständigkeit für die Planung von Kapitalhilfe vom Wirtschaftsministerium,