Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet
Die Sozialstrukturhilfe war und ist bis heute ein Instrument der nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.
Auch PakistanPakistan wurde von Deutschland nachhaltig gefördert. Besonders interessant sind dabei die Zuckerlieferungen gegen Bezahlung in Landeswährung, die das Instrument der GegenwertmittelGegenwertmittel begründeten. ScheelScheel, Walter schrieb dazu nach seinem PakistanBesuch im November 1964:33 „Durch die Lieferung von Zucker gegen Bezahlung in Landeswährung im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung dazu beigetragen, eine bedrohliche Versorgungskrise für die pakistanische Bevölkerung abzuwenden. Es ist beabsichtigt, diese neue Förderungsmaßnahme nicht nur auf die Lieferung von Ernährungsgütern zu beschränken, sondern auch hiermit die Lieferung von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln, insbesondere Saatgut, Pflanzenschutzmittel, Zuchtvieh und Düngemittel, zu verbinden. Durch Zulassung der Zahlung in Landeswährung werden darüber hinaus neue Hilfsmöglichkeiten erschlossen. Die Gegenwertmittel können für entwicklungspolitische Aufgaben verwendet werden, in erster Linie für Maßnahmen zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktions, Sozial und Agrarstruktur des Empfängerlandes.“
AfghanistanAfghanistan war in den 1960er-Jahren Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe. Walter ScheelScheel, Walter berichtete begeistert von seinem Besuch in Afghanistan im November 196434, bei dem er auch das deutsche Engagement für die afghanische Provinz Paktia begründete: „Deutschland half Afghanistan schon nach dem Ersten Weltkrieg vor allem beim Aufbau des Schulwesens. Es errichtete die erste Oberschule, an der jahrzehntelang Deutsch Unterrichtssprache war. Viele Afghanen sind durch diese Schule gegangen und viele von ihnen haben dann in Deutschland studiert, so dass es kein Wunder ist, der deutschen Sprache auf Schritt und Tritt zu begegnen. Die deutsche Wirtschaft half schon damals bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur und schickte Wirtschaftsberater. 1928 kam dann König Amanullah nach Deutschland. Für die Weimarer Republik war das ein ganz entscheidendes Ereignis, handelte es sich doch um den ersten Staatsbesuch eines ausländischen Staatsoberhauptes nach dem Ersten Weltkrieg. Es kam zum ersten Entwicklungskredit an AfghanistanAfghanistan. Weitere Deutsche kamen ins Land, auch Berater für Technische Hilfe. Sie sehen: Unsere entwicklungspolitischen Beziehungen zu AfghanistanAfghanistan haben eine lange Tradition, nur damals war das Wort Entwicklungshilfe noch unbekannt. Während meines Besuches haben wir etwas ganz Neues vereinbart, was ein Modellfall für unsere künftigen Hilfe schlechthin sein soll: „Wir wollen eine ganze Provinz entwickeln und dort den Schwerpunkt unserer Hilfe konzentrieren. Bisher lagen die verschiedenen deutschen Projekte oft räumlich weit auseinander, waren häufig nicht aufeinander abgestimmt und konnten deshalb keine optimale Wirkung entfalten. Künftig wollen wir ganze, aufeinander abgestimmte Projektgruppen regional konzentrieren: Bewässerung, landwirtschaftliche Entwicklung, Energie, Ausbildung, Erwachsenenbildung bis zur Handelshilfe und Industrialisierung sollen einander sinnvoll ergänzen. Modell einer solchen Regionalentwicklung soll die afghanische Provinz Paktia werden, eine Provinz, wo stolze, individualistische, Fremden gegenüber reservierte, nicht sehr integrationsfreundliche Stämme leben. Ein Experiment, das glücken kann; denn uns, den Deutschen gegenüber sind diese Stämme aufgeschlossen.“35
Weitere wichtige Partnerländer deutscher Entwicklungshilfe in den 1960er-Jahren waren
in Asien: Iran, Korea, Malaysia, Indonesien,
in Europa: Spanien, Portugal, Griechenland und die Türkei,
im Nahen Osten: Vereinigte Arabische Republik, Irak, Israel, Marokko, Tunesien,
in Lateinamerika: Brasilien, Chile, Mexiko,
in Afrika: Togo, Ghana, Guinea.
Walter ScheelScheel, Walter hat sich auch nachhaltig für eine Einbeziehung der privaten Wirtschaft in die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt. Besonders lag ihm eine ideologiefreie, pragmatische Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft am Herzen. „Die Einbeziehung privater Initiative gibt dem System der Entwicklungshilfe erst die notwendige Beweglichkeit und innere Dynamik, die sie benötigt. Ausschließlich staatliche Entwicklungshilfe hüben und drüben von der Planung bis zu Detailausführung, ohne Ergänzung durch privatwirtschaftliche Aktivität, bleibt so trocken und steril wie das dürftige Klima in einem staatlichen HOLaden der Ostzone. Die planmäßige Entwicklung von Verbundprojekten, wie sie bereits in einigen Fällen praktiziert werden, bietet Ansatzmöglichkeiten, staatliche und private Aktivität in den verschiedensten Kombinationen phantasievoll zu verbinden.“36 Folgerichtig hat sich Walter ScheelScheel, Walter 1963 für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt (1983 unbenannt in Deutsche Investitions und EntwicklungsgesellschaftDeutsche Investitions und Entwicklungsgesellschaft (DEG)), einer Institution, die die Zusammenarbeit zwischen deutschen Unternehmen und solchen in Entwicklungsländern in privatwirtschaftlicher Form fördert. Ein weiteres Herzensanliegen von ScheelScheel, Walter war das Entwicklungshilfesteuergesetz.37 Es wurde am 11. Dezember 1963 verabschiedet und hatte die Zielsetzung, durch steuerliche Vergünstigungen private Investitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern zu fördern.
Auch die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Organisationennicht-staatliche Organisationen lag ScheelScheel, Walter am Herzen: Am 26. Juni 1964 hatte er zu einem Gedankenaustausch mit 75 der wichtigsten privaten Verbände und Organisationen eingeladen. Neben Abgeordneten aller Parteien des Bundestages und leitenden Beamten der Bundesministerien erschienen führende Persönlichkeiten aller freien gesellschaftlichen Gruppen, der Wirtschaft, der Kirchen, der Gewerkschaft, der Bildungseinrichtungen und der Wissenschaft.38 ScheelScheel, Walter: „Deutschlands Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern geht jeden von uns an. Der Aufbruch von zwei Drittel der Menschheit ist eine Herausforderung, die sich nicht allein an den Staat Deutschland richtet, sondern auch an das lebendige Gemeinwesen Deutschland. Wir können diese Herausforderung nur dann zu einer geschichtlichen Chance gestalten, wenn alle Bürger unserer res publica bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen und ihr im Geist menschlicher Solidarität zu begegnen. Wir können die Aufgabe Entwicklungshilfe nur dann bewältigen, wenn sich neben dem Staat und neben der privaten, an der ökonomischen Rentabilität orientierten Wirtschaft auch der Bereich der freien, gemeinnützigen gesellschaftlichen Kräfte an dieser weltweiten Sozialarbeit gestaltend beteiligt, nämlich unsere Gewerkschaften, die Universitäten, die Kirchen, unsere Einrichtungen des Bildungs und Sozialwesens.“39 Und an anderer Stelle: „Wir, die staatlichen Stellen, werden förderungswürdige Eigeninitiative der privaten Träger sachlich und auch finanziell fördern, soweit das Aufkommen an eigenen Mitteln zur Durchführung der Vorhaben nicht ausreicht. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass es gelungen ist, im Haushalt 1964 einen Titel „Förderung entwicklungspolitischer Vorhaben privater deutscher Träger in Entwicklungsländern“ zu schaffen. Wenn auch dieser Titel noch nicht allzu hoch dotiert ist, es ist ein erster wichtiger Schritt.“40 Dieser Titel ergänzte die bereits bestehende Zusammenarbeit mit den Kirchen, denen Zuschüsse für Projekte „nichtseelsorgerischer Art“41 gewährt wurden. Auch die Förderung der Arbeit der politischen Stiftungen ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen (beginnend mit FriedrichNaumannStiftungFriedrichNaumannStiftung und Friedrich-Ebert-StiftungFriedrich-Ebert-Stiftung und der CDUnahen Politischen Akademie EichholzPolitische Akademie Eichholz).42
Ein weiterer Meilenstein: In Anwesenheit KennedysKennedy, John F. wurde am 25. Juni 1963 in Anlehnung an das amerikanische Friedenskorps der Deutsche EntwicklungsdienstDeutscher Entwicklungsdienst gegründet.43 Organisationen, die bereits Erfahrungen in der Entsendung von freiwilligen Helfern hatten – so z.B. die verschiedenen freiwilligen Arbeitsorganisationen wie der Internationale Zivildienst oder die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste – bildeten als Arbeitskreis „Lernen und Helfen in Übersee e. V.Lernen und Helfen in Übersee e. V.“ den einen Gesellschafter, die Bundesregierung, vertreten durch das Entwicklungsministerium, den anderen.
Vor über 60 Jahren hatte sich die Wissenschaft bereits dem Problem der Entwicklungsländer und des Entwicklungsprozesses zugewandt. In der Erkenntnis, dass auf dem Gebiet der Forschung und Ausbildung noch wesentliche Aufgaben bewältigt werden müssen, wurde am 16. Mai 1963 der Wissenschaftliche Beirat des BMZ ins Leben gerufen, der die Aufgabe hatte, das BMZ in grundsätzlichen methodischen Fragen der Entwicklungspolitik zu beraten.44 Darüber hinaus wurde