Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet
Karl SchillersSchiller, Karl bekam das BMZ im zweiten Kabinett BrandtBrandt, Willy, also erst ab 1972 die Kompetenz für die Kapitalhilfe vom Wirtschaftsministerium. Vom Landwirtschaftsministerium wurde 1970 die Kompetenz für Projekte der Agrarhilfe übertragen, aber erst im Frühjahr 1972 auch die Federführung für die Nahrungsmittelhilfe. Die Durchführung der Projekte wurde als nichtministerielle Aufgabe aus dem Ministerium ausgegliedert und der neu geschaffenen Bundesstelle für EntwicklungshilfeBundesstelle für Entwicklungshilfe übertragen, die sich für ihre Aufgabe der Deutschen Fördergesellschaft für Entwicklungsländer (GAWi) bediente.10 Es wurde auch ein von Planung und Durchführung unabhängiges InspektionsreferatInspektionsreferat geschaffen, das die Aufgabe hatte, laufende Maßnahmen der deutschen Entwicklungshilfe zu überprüfen und eventuell notleidende oder fehlerhafte Projekte zu sanieren.11 Damit waren die administrativen Voraussetzungen für die Durchsetzung einer Konzeption aus einem Guss geschaffen.12 Treibende Kraft war dabei neben EpplerEppler, Erhard sein beamteter Staatssekretär Karl-Heinz SohnSohn, Karl-Heinz.
Am 11. Februar 1971 wurde mit der Entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik für die zweite Entwicklungsdekade zum ersten Mal eine umfassende Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik der Öffentlichkeit vorgelegt. Sie stand in deutlichem Kontrast zur früheren Entwicklungspolitik, die sich vor allem auf größere Projekte, besonders Infrastrukturmaßnahmen, konzentrierte. Ein Schwerpunkt lag auf kleineren dezentralen Programmen. Nachhaltigkeit war hier ein wichtiger Aspekt. Es sollten die Eigenverantwortlichkeit gestärkt und die Mittel der Entwicklungspolitik gebündelt und auf wenige Regionen konzentriert werden. Entwicklungspolitik wurde als langfristiges Instrument definiert, das nicht als Instrument kurzfristiger außenpolitischer Erwägungen tauge. Es wurde explizit formuliert: „Die Bundesrepublik versucht nicht, den Partnerländern politische sowie gesellschafts und wirtschaftspolitische Vorstellungen aufzudrängen.“13 EpplerEppler, Erhard verstand sich als „Anwalt der Dritten Welt“. „Entwicklungspolitik wurde ein Ansatz zu einer Weltinnenpolitik. Entwicklungspolitik zielt auf Frieden.“14
Entwicklungspolitik sollte verstärkt im Rahmen von mit Empfängern abgestimmten länderbezogenen Hilfeprogrammenländerbezogene Hilfeprogramme erfolgen. Ausgehend von den Zielen und Prioritäten der Entwicklungsländer wurden Bereiche und Ansatzpunkte mittelfristig durchzuführender Maßnahmen festgelegt. Die Beiträge der Bundesrepublik sollten auf diese Weise den Bedürfnissen und Möglichkeiten einzelner Entwicklungsländer besser angepasst werden. Die Programme wurden im partnerschaftlichen Dialog mit den Entwicklungsländern und in Koordination mit anderen bilateralen und multilateralen Hilfeorganisationen vorbereitet.
Wie sah das konkret aus? Im Jahre 1971 hatte die Bundesregierung begonnen, die öffentliche Hilfe tatsächlich auf der Grundlage länderbezogener Hilfeprogramme zu gewähren. Erste Programme für Tansania, Kenia, Ghana, Nigeria, die Elfenbeinküste, Kamerun, Marokko, Peru, Thailand und Indonesien wurden erstellt.15 Allen Länderhilfeprogrammen gemeinsam war eine detaillierte Analyse der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur und der Entwicklungspolitik des jeweiligen Landes. Auf dieser Grundlage wurden die sektoralen und regionalen Einstiegsmöglichkeiten sowie Projektansätze für die deutsche Entwicklungshilfe abgeleitet, wobei die Maßnahmen anderer Geber berücksichtigt wurden. Ich habe damals noch als Mitarbeiter des ifo-instituts für Wirtschaftsforschung, München, zusammen mit Mitarbeitern aus dem BMZ die Länderhilfeprogramme für Tansania, Kenia und Marokko erarbeitet.
Unter EpplerEppler, Erhard wurden sechs Schwerpunktbereiche für die Entwicklungspolitik festgelegt:
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
Förderung eines arbeits und umweltorientierten Bildungssystems,
Strukturveränderungen im ländlichen Raum,
Ausweitung und Diversifizierung des gewerblichen Sektors,
Stärkung der Planungs und Organisationsfähigkeit der Länder und
unmittelbare Hilfe zur Verbesserung der Lebensbedingungen.16
Dem UmweltschutzUmweltschutz sollte im Sinne der Grundauffassung EpplersEppler, Erhard ein wichtiger Platz eingeräumt werden.17 In der Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik Deutschland vom 11. Juli 1973 wurde formuliert: „Die Bundesregierung wird die Entwicklungsländer durch ihre Entwicklungshilfe unterstützen, die Umweltbedingungen für ihre Bevölkerung zu verbessern und Umweltschäden möglichst zu vermeiden. Im Zusammenhang mit entsprechenden Bemühungen auf internationaler Ebene wird die Bundesregierung bei der Planung und Durchführung ihrer Hilfsmaßnahmen auf die Folgen für die Umweltbedingungen in den Entwicklungsländern achten.“18
Für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik war es unerlässlich, den Einsatz der verschiedenen Instrumente der Hilfe zu koordinieren. In der deutschen Entwicklungspolitik galt es daher, den Verbundgedanken durchzusetzen.19 Dies zeigte sich zunächst im Bestreben, mehrere Instrumente in größeren Vorhaben desselben Sektors konzentriert einzusetzen. So wurde die Kapitalhilfe oft ergänzt durch Entsendung von Fachpersonal im Rahmen der Technischen Hilfe, z.B. Straßen und Straßenbaumeistereien, Häfen/Eisenbahnen und Betriebspersonal, Verarbeitungsbetriebe und Management etc. Zu diesen VerbundprojekteVerbundprojekten traten bald auch Vorhaben, die mehrere Sektoren umfassten. Hier sind die Dorfentwicklungsprojekte, aber auch die Kopplung von Landwirtschaftsprojekten mit Verarbeitungsbetrieben zu nennen. Besonders stark trat der intersektorale Aspekt in Erscheinung, wenn im Rahmen eines länderbezogenen Hilfeprogramms eine bestimmte Region gefördert werden sollte, denn die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Regionen setzte in der Regel aufeinander abgestimmte Maßnahmen in verschiedenen Sektoren voraus. Die Bundesregierung förderte mehrere solcher regionaler Entwicklungsvorhabenregionale Entwicklungsvorhaben (z.B. Paktia in Afghanistan und Salima in Malawi). In ihnen wurden in Analogie zu den Verbundmaßnahmen der Dorfentwicklung ganze Regionen gefördert.20 Im Rahmen dieses Ansatzes sollte auch das Instrument der ProgrammfinanzierungProgrammfinanzierung eingesetzt werden. Programmfinanzierung wurde definiert als die Bereitstellung von Mitteln zur vollen und teilweisen Finanzierung geprüfter Sektoral und Regionalpläne.21 Es wurde aber ausdrücklich festgeschrieben, dass Programmfinanzierung keine Budgethilfe sei. Im Hinblick auf die Beschäftigungswirkungen in Entwicklungsländern konnten sowohl Devisenkosten als auch Kosten, die in Landeswährung anfielen, von der Bundesrepublik finanziert werden.22
In der Amtzeit EpplersEppler, Erhard wurden die Entwicklungshilfemaßnahmen durch die Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan sowie durch das Auseinanderbrechen Pakistans in zwei Teile 1971 wesentlich beeinflusst. Die Entwicklungszusammenarbeit mit dem neuen Staat Bangladesch wurde folgerichtig 1972 begonnen.23
Die Jahre 1972 bis 1974 standen im Zeichen der DürrekatastropheDürrekatastrophe in den Ländern der Sahelzone (Senegal, Mali, Mauretanien, Obervolta, Niger, Tschad) und Äthiopiens (Provinz Wollo).24 Es wurde umfangreiche Nahrungsmittel und Entwicklungshilfe geleistet, um die schlimmste Not zu mildern.
In den letzten beiden Jahren der Amtszeit von EpplerEppler, Erhard (1972–1974) wurde Hans MatthöferMatthöfer, Hans als Nachfolger von Brigitte FreyFrey, Brigitte Parlamentarischer Staatssekretär. EpplerEppler, Erhard hatte seine Ernennung durchgesetzt, trotz hinhaltenden Widerstandes des Kanzlers Willy BrandtBrandt, Willy. Matthöfer als Kenner Lateinamerikas und als „Linker“ war geradezu prädestiniert, die chilenische AllendeAllendeRevolution zu unterstützen, was er auch tatkräftig tat. AllendeAllende wurde im September 1973 durch einen Militärputsch gestürzt.
1974 wurde die Entwicklungszusammenarbeit mit JugoslawienJugoslawien25 begonnen, eine innenpolitisch äußerst kontroverse Entscheidung. EpplerEppler, Erhard wurde vorgeworfen, das Parlament über den Kredit von 700 Mio. DM nicht rechtzeitig unterrichtet zu haben und den Kredit ohne Projektbindung zu vergeben, außerdem diene der Kredit indirekt der Aufarbeitung deutscher Kriegsschuld. EpplerEppler, Erhard setzte das Vorhaben dennoch durch.
Es wurde ein Programm zur Förderung der Rückkehr türkischer Arbeitnehmer in ihre Heimat initiiert („GastarbeiterprogrammGastarbeiterprogramm“). Ferner wurde der Transfer situationskonformer, d.h. arbeitsintensiver Technologien in die Entwicklungsländer gefördert, um vor allem einen Beitrag