Analysieren, Interpretieren, Argumentieren. Pascal Pitz
sollte möglichst kein Analyseergebnis im Rahmen der Interpretation unberücksichtigt bleiben, denn eine Interpretation, die nicht alle relevanten Aspekte des Textes beachtet, kann kaum den Anspruch für sich erheben, auf einer sicheren Grundlage zu stehen.
Daher ließe sich durchaus vertreten, das Ergebnis der Texterschließung zweigliedrig zu erarbeiten und darzustellen, nämlich in einem Analyse- und einem davon getrennten Interpretationsteil. Die Analyse beschäftigt sich mit der Ermittlung der formalen, inhaltlichen und sprachlichen Aspekte und Besonderheiten des Textes, wobei jedwede Deutung der auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse erst bei der späteren Interpretation erfolgt.
Diese strenge Aufspaltung der Bearbeitung in zwei Teile mag zunächst befremdlich erscheinen, kann doch ein Text nur in der Zusammenschau von formalen, inhaltlichen und sprachlichen Besonderheiten und ihrer jeweiligen Bedeutung im Zusammenhang erschlossen werden, weshalb es auf den ersten Blick wohl sinnvoll wäre, die Ergebnisse der Analyse sogleich einer interpretatorischen Deutung zu unterziehen.
Zugegeben: Die Ermittlung von Tatsachen kann mitunter sogar eine Deutung voraussetzen. So kann etwa ein Pars pro toto als stilistisches Mittel nur festgestellt werden, wenn sicher ist, dass mit dem Teil das Ganze in Bezug genommen wird. Die meisten Stilmittel – etwa die Aufzählung, die Metapher, die Personifikation, der Vergleich, das Oxymoron, der Pleonasmus, die Tautologie, die Anapher und die Epipher – setzen eine solche Vordeutung indes nicht voraus. Es gilt hier vielmehr: Die Ausnahme bestätigt die Regel.
Auch zugegeben: Es besteht die Gefahr der Wiederholung, wenn die Tatsachen zunächst ermittelt und sodann erst gedeutet werden. Dies aber ist eine Frage des Bearbeitungsstils, die keinen Einfluss auf solche des Aufbaus haben sollte. Der Aufbau dient allein dem Zweck, die Ergebnisse des Bearbeiters nachvollziehbar darzustellen, und ist folglich vielmehr einer gedanklichen Strukturierung als einem stilistischen Empfinden verschrieben. Dennoch: Da die Bearbeitung selbst nicht nur logisch strukturiert, sondern, falls sie schriftlich erfolgt, auch elegant formuliert sein soll, werde ich an gegebener Stelle praktische Formulierungsbeispiele aufzeigen, mit deren Hilfe sich Wiederholungen vermeiden lassen.
Letztlich zugegeben: Die Analysetätigkeit ist kein Selbstzweck. Die Trennung von Analyse und Interpretation unterstellt dies aber auch nicht. Die Analyse liefert nicht nur dem Leser, sondern vor allem auch dem Bearbeiter ein solides Fundament, auf das er seine spätere Arbeit stützen kann. Sie ermöglicht eine klare Trennung zwischen Form, Inhalt und Sprache und eine geordnete Darstellung der Ergebnisse der Interpretation. Denn wer schon im ersten Schritt im Rahmen der Formanalyse zu interpretieren beginnt, müsste der Vollständigkeit halber auch alle diejenigen inhaltlichen und sprachlichen Merkmale erwähnen, die das Ergebnis eben dieser Deutung stützen. Damit aber würde die Darstellung der einzelnen Analyseergebnisse aufgespalten, wenngleich es doch ratsam erscheint, alle formalen Merkmale, alle sprachlichen Besonderheiten und den Inhalt in drei jeweils geschlossenen Teilen herauszuarbeiten.
Jedenfalls im Rahmen der gedanklichen Vorarbeit sollte der Bearbeiter daher zwischen Analyse und Interpretation strikt trennen, nicht zuletzt deshalb, weil er überhaupt erst dann interpretieren kann, wenn das Ergebnis der Analyse, genauer: eine Codierung B vorliegt.
Im Rahmen dieses Buches wird daher die Analyse der Interpretation vorangestellt. Das folgende Schaubild gibt Ihnen nun einen Überblick über die einzelnen Arbeitsschritte, die Sie zum Zwecke der Texterschließung nacheinander gehen müssen und die daher auch den Aufbau dieses Buches bestimmen.
Arbeitsschritte der Texterschließung
3 Gegenstand, Ziel und Methode der Erschließung
Bevor Sie mit der Analyse und Interpretation eines Textes beginnen, sollten Sie drei Fragen beantworten, nämlich: Auf welchen Text beziehe ich mich? Wovon handelt er? Was ist das Ziel meiner Bearbeitung und wie gehe ich demnach vor? Diese dreiteilige Aufklärung wird Ihnen von der Einleitung des Schulaufsatzes noch bekannt sein, die nämlich ebenfalls diese drei Fragen beantworten musste. Dass man Sie mit ihnen schon im Deutschunterricht konfrontiert hat, hat den Hintergrund, dass diese Fragen, so einfach sie klingen, zu den Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens zählen. Wir müssen uns mit ihnen daher näher beschäftigen.
3.1 Informationen über den Text
Sie erinnern sich daran, dass Sie die Einleitung mit einem allgemeinen „Infosatz“ beginnen mussten, der alle wesentlichen Textinformationen enthielt, die (fast gänzlich) als Bearbeitungsnotiz der Aufgabenstellung zu entnehmen waren. Dazu gehörten: die Textgattung, der Autor, die literarische Epoche, das Datum der (Erst-)Veröffentlichung und die Textquelle. Auch im Studium sollten Sie, in Vorbereitung auf die eigentliche Textarbeit, diese Informationen zusammentragen, weil sie erstens dem wissenschaftlichen Wert und zweitens der inhaltlichen Richtigkeit Ihrer Bearbeitung dienen. Im Einzelnen:
Wir haben bereits festgestellt, dass Sie, wenn Sie im Studium eine Aussage über einen Text treffen und diesen dazu erschließen, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion liefern. Anders als im Schulunterricht dient Ihre Arbeit nämlich nicht der Erlernung grundlegender technischer Fähigkeiten, sondern sie hat einen unmittelbaren praktischen Bezug. Selbst wenn Ihre Bearbeitung keiner breiten Masse bekannt wird (wie das im Studium wohl die Regel ist, wenn Sie über Ihre Arbeit allenfalls vor Ihren Kommilitonen referieren), so gelangt sie doch zumindest in die Hände des Dozenten, der sie korrigiert. Und bei diesem handelt es sich, anders als beim Lehrer an der Schule, um einen praktizierenden Wissenschaftler, der Ihre Arbeit nicht ausschließlich als theoretische Übung versteht. Ist es aber so, dass das, was Sie im Studium tun, kein Selbstzweck ist, sondern einen (wenn auch kleinen) Meinungsbeitrag im wissenschaftlichen Diskurs leistet, dann müssen Sie auch wissenschaftlich arbeiten. Sie müssen die Formalitäten des wissenschaftlichen Arbeitens wahren! Das gilt nicht nur für das Zitieren, sondern auch, wenn Sie sich insgesamt auf einen fremden Text beziehen, den Sie erschließen. Schon deshalb ist es geboten, dass Sie sich ausdrücklich auf den Text eines bestimmten Autors beziehen, der zu einem bestimmten Datum (erst-)veröffentlicht wurde und den Sie einer bestimmten Quelle entnommen haben. Nur so ermöglichen Sie es den anderen Teilnehmern des wissenschaftlichen Diskurses, den von Ihnen erschlossenen Text aufzufinden, Ihre Aussagen nachzuvollziehen und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Dazu zwei Beispiele:
Autor, Datum der (Erst-)Veröffentlichung und Textquelle sind also stets zu Beginn der Bearbeitung anzugeben, um die formalen Anforderungen an das wissenschaftliche Arbeiten zu erfüllen. Anders verhält es sich bei der Textgattung und der literarischen Epoche. Die Beschäftigung hiermit dient der inhaltlichen Richtigkeit der Erschließung. Freilich gilt dies auch für den Autor, das Datum der (Erst-)Veröffentlichung und die Textquelle. Denn es ist für die Analyse und Interpretation des Textes durchaus von Bedeutung, wer ihn wie, d.h. in welcher Form (Prosatext, Verstext), wann, mithin in welchem gesellschaftlichen Kontext, geschrieben und wo, also mithilfe welchen Verlegers veröffentlicht hat.