Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


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kommunikativen Sinn. Ohne die Vielfalt der Sprache zu beschneiden, soll dafür sensibilisiert werden, was man als Autor bzw. Autorin seinen Adressaten mit einer Formulierung geistig zumutet, man kann es den Lesenden – bewusst oder unbewusst – schwermachen. Die Language AwarenessLanguage Awareness, das Sprachbewusstsein, von Schreibenden soll geschärft werden.

      3. Es gibt Randbedingungen für das Verstehen, die den Einsatz kognitiver Ressourcen beeinflussen. Dazu gehört der visuelle Auftritt der Sprache, altmodisch das Schriftbild. Die Typografie spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle beim Lesen und das Layout kann den Aufbau von kohärenten Wissensstrukturen unterstützen.

      4. Das Eingreifen in Texte durch Umformulierung ist nicht immer möglich, so sind z.B. klassische Text tabu. Hier kann das Verstehen durch didaktische Zusätze als Erschließungshilfen gefördert werden. Derartige Erschließungshilfen sind Vorstrukturierungen, Leitfragen, Zusammenfassungen, Glossare usw. Sie sind aus gut aufbereiteten Lehrwerken heute nicht mehr wegzudenken. Wenn man an die Texte nicht herankommt, dann kann man mit solchen Hilfsmitteln die Lese- und Verstehenskompetenz der Lesenden verbessern.

      Das Verständlichmachen ist eine kommunikative Aufgabe. Ziel ist die Ausbildung von Textexperten, die über das notwendige Hintergrundwissen und über Werkzeuge zur Evaluation und Gestaltung von Sachtexten verfügen. Mit diesem Anliegen stehe ich nicht allein. In den letzten Jahrzehnten sind Ansätze, die sich mit Verständlichkeit befassen, wie Pilze aus dem Boden geschossen: Informationsdesign (Horn, 2000), Textdesign (Weber, 2008), Instruktionsdesign oder didaktisches Design (Reinman, 2011), Wissenskommunikation (Antos, 2006), Fachkommunikationswissenschaft (Heidrich, 2017).

      1.2 Praxisfelder

      Um welche Texte geht es konkret? Es gibt Bereiche gesellschaftlicher Kommunikation, in denen die Forderung nach Verständlichkeit aus verschiedenen Gründen besonders wichtig ist. Meist handelt es sich dabei um die Kommunikation zwischen Experten und Laien mit einem erheblichen Wissensgefälle zwischen beiden. Dazu einige Skizzen relevanter Praxisfelder.

      Verwaltungskommunikation

      Die administrative Sprache ist geprägt von immer komplexeren Inhalten und dem Bestreben nach Rechtssicherheit. Dazu kommt eine aus bürokratischer Tradition stammende Unfähigkeit, sich auf die Adressaten einzustellen. Das führt zu schwer verständlichem Bürokratendeutsch in Vorschriften, Bescheiden, Mitteilungen usw. (Eichhoff-Cyrus & Antos, 2008). Die Klartext-Initiative der Universität Hohenheim hat viele Beispiele für schwer verständliche Kommunikation in Politik und Verwaltung gesammelt (Kercher, 2013). Ein Beispiel für Verwaltungskommunikation, die viele Adressaten nicht verstehen, sind die Steuerbescheide. – Ein leidiges Spezialproblem stellen Formulare und Vordrucke dar, die oft erhebliche kognitive Anforderungen beim Ausfüllen stellen. Dazu kommt ein oft unübersichtliches Layout (Barnett, 2007; Renkema, 2009). Bemühungen um eine bürgernahe Sprache in Recht und Verwaltung gab es in der BRD bereits 1966: Die Gesellschaft für Deutsche Sprache richtete einen linguistischen Redaktionsstab beim Deutschen Bundestag ein, der Gesetzestexte auf Verständlichkeit prüft.

      Juristische Kommunikation

      Die Forderung, dass Gesetze für die Adressaten verständlich sein müssen, denen sie zur Richtschnur dienen sollen, stammt bereits aus der Aufklärung (Lück, 2008). Zu den nachgeordneten juristischen Texten zählen Kommentare, Vorschriften, Ausführungsbestimmungen, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) usw. Für Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsklauseln gilt ein Transparenzgebot als Rechtsprinzip (§. 307 Absatz 1 Satz 2 BGB). Es fordert klare Formulierungen der Rechte und Pflichten der Vertragspartner. Verbraucherverbände weisen darauf hin, dass das Transparenzgebot in AGBs bei Online-Angeboten, denen der Kunde mit einem Klick zustimmen muss, oft nicht eingehalten wird.

      Die Frage, ob und wie weit juristische Texte allgemeinverständlich formuliert werden können, wird kontrovers diskutiert (Lerch, 2004; Eichhoff-Cyrus & Antos 2008). Von linguistischer Seite wird eine verständlichere Rechtssprache gefordert und mit abschreckenden Befunden argumentiert (Dietrich & Kühn, 2000; Neumann, 2009; Wolfer, 2017). Von juristischer Seite wird dagegengehalten, dass die sprachlichen Formulierungen den Adressaten im System der Justiz verständlich sind und zudem Deutungsoffenheit ein Strukturmerkmal rechtlicher Kommunikation darstellt, an dem auch Umformulierungen nichts ändern (Ogorek, 2004). Die Kritik an der Schwerverständlichkeit juristischer Texte wird auch als stereotypes habitualisiertes Urteil gesehen, in dem sich ein Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber ausdrückt (Warnke, 2004).

      In Deutschland beraten seit 2009 sechs Sprachwissenschaftler das Justizministerium und überprüfen die Gesetze aller Ministerien. Diese sollen sprachlich einwandfrei und so weit wie möglich für jeden verständlich sein. So wird z.B. aus der „Erweiterung des Restmüllbehältervolumens“ schlicht eine „größere Mülltonne“. – In der Schweiz werden Gesetze schon seit über 30 Jahren auf Verständlichkeit geprüft, die sprachliche Redaktion ist dort institutionalisiert. Zudem sorgt schon die Tatsache, dass die Gesetze in drei Sprachen veröffentlicht werden, für einfachere Formulierungen (Nussbaumer, 2002).

      Wirtschaftskommunikation

      Die Sprache der Real- und vor allem der Finanzwirtschaft steht seit langem wegen ihrer Unverständlichkeit in der Kritik. Eine empirische Untersuchung der Verständlichkeit von Bankdokumenten (Kontoeröffnungsunterlagen, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Datenschutzerklärungen, Newsletter) ergab, dass sie teilweise „dem Schwierigkeitsgrad einer Doktorarbeit“ entsprechen (Brettschneider, 2010). Besonders Fachwörter wie Fluktuationsquote, Bonität, Risikoinventur usw. werden nicht definiert. Die Beschreibung von Finanzprodukten und deren Risiken bleibt für Kunden oft undurchschaubar. John Lanchester (2015) behauptet, dass hier Unverständlichkeit zum Programm gehört.

      Auch Verlautbarungen des Managements sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar, nicht zuletzt wegen der vielen Anglizismen und Neologismen. Die Reden der Chief Executive Officer (CEO) auf den Hauptversammlungen von DAX-Unternehmen sind für Analysten und Wirtschaftsexperten verständlich, aber nicht für eine interessierte Öffentlichkeit (Brettschneider, 2013). Insgesamt zeigt die externe Unternehmenskommunikation, z.B. durch Geschäftsberichte, erhebliche Mängel der Verständlichkeit (Keller, 2006; Moss, 2009).

      Am meisten Mühe geben sich Firmen mit PR-Texten, aber auch hier besteht oft noch Optimierungsbedarf, vor allem wenn es um Krisen-PR geht (Ebert, 2014).

      Politische Kommunikation

      Politiker und Politikerinnen drücken sich oft nicht klar und verständlich aus, selbst wenn sie die Wähler als Adressaten direkt ansprechen. Bei dieser Berufsgruppe ist oft ein strategisches Sprachverhalten zu beobachten: Zum einen achten sie wegen der oft komplexen Materie und verschiedener Rücksichtnahmen wenig auf Verständlichkeit. Zum anderen dominiert die persuasive Funktion der Sprache gegenüber der Verständigungsfunktion.

      Parteiprogramme sind das Ergebnis von Kompromissen in Expertenrunden und deshalb oft verklausuliert und mit Fachwörtern durchsetzt. Eine empirische Studie der Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2009 ergab: Die Linke hatte das unverständlichste Programm, die Grünen das verständlichste, aber beide noch weit von guter Verständlichkeit entfernt (Brettschneider, Haseloff & Kercher, 2009; Kercher, 2013).

      Wissenschaftskommunikation

      Die Sprache der Wissenschaften steht in Bezug auf Verständlichkeit in mehrfacher Hinsicht immer wieder am Pranger. Dabei muss man zunächst einräumen, dass es hier nicht allein um die Sprache, sondern auch um komplexe Inhalte geht. Wissenschaft ist ohne spezifische Fachwörter und ohne differenzierte Argumentation nicht denkbar (Otero, Leon & Graesser, 2002). Dazu kommt eine Tradition wissenschaftlicher Prosa, die sich nach dem Motto richtet: „Je schwieriger ein Text, desto klüger sein Autor“. Das hat zur Ausbildung eines Imponierdeutsch in den Wissenschaften geführt, wobei einige Disziplinen dafür offenbar besonders anfällig sind, z.B. die Soziologie (Ballod, 2001; Groebner, 2012). Grundsätzlich gibt es für Wissenschaftler wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Adressaten.

      Wissenschaftliche AdressatenAdressat. Zu den wissenschaftlichen Texten gehören Fachaufsätze und Monografien, aber auch die Qualifikationsschriften wie Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen und


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