Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


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ist hier traditionell als déformation professionelle ein Ausweis für komplexes und tiefgründiges Denken. Das führt zu Kommunikationsbarrieren zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, man denke an die beiden Kulturen der Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler (Snow, 1987). Allerdings ist die wissenschaftliche Prosa dabei, sich aus den traditionellen Schreibzwängen zu lösen (Sanders, 2008). Wissenschaftliche Texte sind immer weniger Anpassungen an ein überholtes Reputationssystem. Immer mehr Wissenschaftler sehen, wie verständlich und anregend z.B. amerikanische Kolleginnen und Kollegen schreiben. Sogar Bestseller! Schreiben wurde traditionell an den deutschen Hochschulen nicht gelehrt, ein angehender Wissenschaftler wird in den Schreibstil seines Faches hineinsozialisiert. Nachdem in akademischen Texten erhebliche Defizite aufgefallen sind, werden jetzt Workshops und Schreibwerkstätten angeboten und das Schreiben wird zum Soft Skill aufgewertet. Aber eine deutsche Wissenschaftssprache ist vielleicht bereits ein Auslaufmodell, da Englisch als lingua franca das Deutsch in den Instituten und Hörsälen immer mehr verdrängt. Wer in der Scientific Community Karriere machen will, der tut gut daran, seine Qualifizierungsschriften gleich englisch abzufassen (dazu kritisch Kaehlbrandt, 2016).

      Außerwissenschaftliche Adressaten. Bei Texten von Wissenschaftlern für Nichtwissenschaftler bzw. die interessierte Öffentlichkeit wird oft moniert, dass Fachleute sich wenig Mühe geben, sich verständlich auszudrücken. Ein Grund dafür ist der „Curse of knowledge“: Je intensiver man sich mit einer Wissensdomäne auseinandergesetzt hat, desto weniger kann man sich in die Adressaten hineinversetzen, die über dieses Wissen nicht verfügen (Nickerson, 1999). Ein kommunikativer Graben zwischen Wissenschaftlern und Nichtwissenschaftlern ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht akzeptabel.

      1. Zum einen wird Wissenschaft weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert und ist den Geldgebern, letztlich den Steuerzahlern Rechenschaft über ihre Ergebnisse schuldig. Wissenschaftler müssen den theoretischen wie den praktischen Nutzen ihrer Arbeit vermitteln, das gilt vor allem für teure Grundlagenforschung (Weitze & Gießler, 2016). Wissenschaftler sollten ihre Arbeiten verständlich in den Medien sowie in Sachbüchern und populärwissenschaftlichen Zeitschriften präsentieren können, um Akzeptanz für ihre Forschung zu erreichen (von Campenhausen, 2014).

      2. Die vielen Akademiker aus hochspezialisierten Studiengängen, die derzeit die Hochschulen verlassen, verbleiben bei weitem nicht alle im wissenschaftlichen System, sondern viele werden in außerakademischen Institutionen arbeiten. Ihre Bewerbung gewinnt, wenn ein zukünftiger Arbeitgeber eine Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit versteht und nicht schon am verschwurbelten Titel der Arbeit scheitert.

      Einen wichtigen Wissenstransfer leistet die Politikberatung (Pörksen, 2014). Bei Themen wie Energiewende, Klimawandel, pränatale Diagnostik, Gen-Lebensmittel, Sterbehilfe usw. sind verantwortliche politische Entscheidungen ohne verständlich formulierte wissenschaftliche Expertisen nicht mehr denkbar.

      Medizinische Kommunikation

      Hier haben wir es mit einem Sonderfall der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu tun. Nachdem die Wissensmacht der Ärzte schrumpft, weil sich Patienten mit Ratgeberliteratur und Verbraucherinformationen im Web informieren, bekommen verständliche medizinische Befunde, Informationen über Medikamente, Anleitungen für medizinische Geräte und Hinweise zur gesunden Ernährung einen wichtigen Stellenwert. Die Beipackzettel zu Medikamenten waren schon mehrfach Gegenstand der Verständlichkeitsforschung (z.B. Hoffmann, 1983; van Vaerenbergh, 2007). Eine Hürde stellen vor allem die Warnungen vor Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten dar. Tests mit Adressaten zeigen, dass viele Fremd- und Fachwörter nicht verstanden werden: Gravidiät wird als Übergewicht missverstanden, Insuffizienz als Impotenz, Dosis als Verpackung und orale wird mit analer Applikation verwechselt. Das Problem ist die Mehrfachadressierung, denn die Texte sind nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte und Apotheker geschrieben. Zudem sind bestimmte schwierige Wörter und Formulierungen gesetzlich vorgeschrieben.

      Technische Kommunikation

      Dazu zählen Anleitungen zur Montage, Bedienung, Wartung und Reparatur von Geräten und Maschinen sowie die technische Beschreibung von Produkten und ganzen Anlagen. BedienungsanleitungenBedienungsanleitung haben keinen guten Ruf. Jeder kennt den Scherz: Wenn man gelernt hat, ein Gerät zu bedienen, dann versteht man auch die Gebrauchsanleitung. In der technischen Kommunikation hat der Druck auf Verständlichkeit jedoch zugenommen (Jahr, 2007):

      1. Eine unverständliche Bedienungsanleitung ärgert den Endkunden und wirkt sich negativ auf die Bewertung und das Image des Produkts und der Firma aus. Verständliche Texte sind auch ein Aspekt des Marketings.

      2. Seit 1990 legt das Produkthaftungsgesetz fest, dass die Bedienungsanleitung Teil des Produkts ist und damit der Hersteller für Personen- und Sachschäden haftet, die auf eine unverständliche oder fehlerhafte Anleitung zurückzuführen sind. Eine missverständliche Anleitung kann so juristische Konsequenzen haben: Wer sich mit der neuen Brotschneidemaschine einen Finger kupiert, kann die Firma verklagen, wenn das Unglück nachweislich auf Mängel in der Bedienungsanleitung zurückzuführen ist. Seitdem bemühen sich Firmen um verständliche Anleitungen. Sie richten dazu entweder eigene Abteilungen ein oder lagern die technische Dokumentation zu Dienstleistern aus. Immer häufiger wird die Verständlichkeit der technischen Dokumentation mit Usability-Tests empirisch überprüft (Ballstaedt, 2000).

      3. Schließlich werden die meisten Produkte für einen globalen Markt hergestellt und eine einfache und verständliche Sprache ist besser in andere Zielsprachen zu übersetzen, sowohl von menschlichen Übersetzern, erst recht aber für eine maschinelle Übersetzung.

      Über Jahrzehnte war Verständlichkeit in der technischen Kommunikation ein zentrales Thema, das derzeit aber in den Hintergrund tritt, denn das standardisierte und kontrollierte Schreiben ist auf dem Vormarsch. Dabei sind lexikalische und syntaktische Formulierungsregeln vorgegeben, deren Einhaltung durch elektronische Tools überwacht wird. Eine derart reduzierte Sprache dient zwar primär der besseren Übersetzbarkeit, aber gleichzeitig verbessert sich auch die Allgemeinverständlichkeit.

      Didaktische Kommunikation

      Hier geht es um Lehr- und Sachbücher für Schulen und Weiterbildung. Schulbuchverlage haben Handreichungen für Autoren und Autorinnen entwickelt und bemühen sich durch eine Qualitätskontrolle um verständliche Texte. Dabei wird meist das Hamburger Modell der Verständlichkeit adaptiert (Langer, Schulz von Thun & Tausch, 2011). Man kann feststellen, dass die Lehrbücher in den letzten Jahrzehnten deutlich verständlicher formuliert und übersichtlicher gestaltet sind. Vorbild sind dabei amerikanische Lehrmaterialien, die schon länger nach Kriterien des Instructional Design gestaltet und evaluiert werden (Burnett, 2005).

      Weniger überzeugend sind oft Informationstexte in Ausstellungen und Museen. Von den Beschriftungen an den Exponaten bis zu den Katalogen gibt es viele Texte, die für einen breiten Adressatenkreis verständlich sein sollten. Sie werden meist von Fachwissenschaftlern geschrieben und diese nehmen auf den heterogenen Adressatenkreis wenig Rücksicht (Ballstaedt, 1992). Hier liegt noch ein erheblicher Forschungsbedarf, was verständliche Formulierungen, aber auch eine augenfreundliche Präsentation betrifft.

      Journalistische Kommunikation

      Der Journalismus steht nicht zufällig an letzter Stelle der Praxisfelder. Er ist sozusagen die Vermittlungszentrale zwischen allen gesellschaftlichen Systemen. Ressort-Journalisten müssen Verständigung über die Grenzen von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Gesundheit und Bildung ermöglichen. Für journalistische Texte ist deshalb Verständlichkeit ein zentrales Qualitätskriterium (Bucher, 2005). Verständliche Nachrichten, Kommentare, Reportagen sind eine Voraussetzung zur Partizipation an demokratischen Entscheidungsprozessen. Untersuchungen zur Verständlichkeit von Nachrichten und Kommentaren waren deshalb ein frühes Arbeitsfeld der angewandten Linguistik (Straßner, 1975; Ballstaedt, 1980). Von einem Journalisten stammen auch die beliebtesten modernen Stillehren, in denen Verständlichkeit eine zentrale Rolle spielt (Schneider, 1984, 1987, 1994, 2005).

      Im Bereich Journalismus werden auch Probleme verständlicher Sprache in Anpassung an verschiedene Medien diskutiert, z.B. Schreiben für das Hören (Radio) oder von Texten für das Internet (Online-Zeitung). Es hat sich eine Medienlinguistik


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