Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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werden sollten.

      Da beide Methodenbaukästen wohlbegründet und bei der Analyse gesellschaftlicher Phänomene erfolgreich sind, gibt es im Anschluss an die Gegenüberstellung der Instrumente keinerlei Veranlassung dazu, einer Seite die Existenzberechtigung abzusprechen. Wir haben es in der Soziologie vielmehr mit zwei kontingenten, aber legitimen Versionen der empirischen Suche nach sozialen Mustern zu tun. Sofern man sich mit dieser friedlichen Koexistenz nicht begnügen [72]will, stellt sich allerdings die Frage, ob und wie diese Methoden trotz diverser Unterschiede in methodologischer und forschungspraktischer Hinsicht miteinander kompatibel gemacht werden können. In den folgenden Abschnitten diskutieren wir daher einige Kombinations- und Integrationsversuche, die darauf ausgelegt sind, Synergieeffekte zu generieren.

Quantitative MethodenQualitative Methoden
Erkenntnismoduserklärendverstehend
Beobachterrolleneutralinteraktiv
Theoriebezugtheorietestend (deduktiv)theoriegenerierend (abduktiv)
Fallauswahlstatistical samplingtheoretical sampling
Fallzahlhochgering
Fallbeschreibungsparsamdetailliert
Erhebungsmethodestandardisiertunstandardisiert
Datenformatnumerische Messwertesprachlich vermittelte Daten
Forschungsprozesssequenzielliterativ-rekursiv
Forschungszielgeneralisierbare Befunde über soziale Strukturengeneralisierbare Befunde über soziale Strukturen

      Abbildung 1: Zentrale Differenzen zwischen quantitativen und qualitativen Methoden

3.Die Konvergenz quantitativer und qualitativer Methoden – Zwei Perspektiven

      Für die allermeisten Sozialwissenschaftler stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von quantitativen und qualitativen Methoden in ihrem Forschungsalltag überhaupt nicht. Sie driften aufgrund kontingenter Ereignisse in eines der beiden Lager, werden mit den dortigen Überzeugungen infiziert und eignen sich im Laufe ihrer akademischen Sozialisation die ausgeklügelten Verfahren der betreffenden Methodenkultur an, ohne dass ein längerer Blick über den Tellerrand vonnöten wäre. Sie forschen an eigenen Lehrstühlen, ziehen eigene Nachwuchsgruppen heran und publizieren in methodisch homogen ausgerichteten Journals. Die enorme Ausdifferenzierung und Verfeinerung der Methoden hat in der Gegenwart zur weiteren Zementierung dieser Kluft beigetragen, denn es ist nahezu unmöglich geworden, die Entwicklungen auf beiden Seiten des Methodenspektrums zu überblicken (oder gar mitzugestalten). Es gibt daher nur wenige Grenzgänger, die nennenswerte Kompetenzen in beiden Bereichen aufweisen. Stattdessen wird die Beziehung durch episodisch wiederkehrende Interventionen belastet, wie den Vorwurf der »Variablensoziologie« (vgl. z. B. Blumer 1956; Esser 1996) als Grundsatzkritik an deterministischen Implikationen einer statistischen Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit oder durch die Unterstellung von »Subjektivität«, als Kritik an der unstandardisierten Vorgehensweise qualitativer Studien und den damit aufgeworfenen Validitäts- und Reliabilitätsproblemen (vgl. z. B. Merton 1968 [1949]).

      [73]Die evolutionäre Entkopplung zwischen quantifizierenden und qualifizierenden Methoden der Sozialforschung wird seit ihren Anfängen von einer eher marginalen Gegenbewegung begleitet, die darauf abzielt, die entstehende Lücke forschungsstrategisch zu überwinden. In den 1960er-Jahren wurden diese zaghaften Bemühungen erstmals unter dem Begriff der »Triangulation« gebündelt. Der Ausdruck stammt aus dem Bereich der Landvermessung und bezeichnet dort ein Verfahren, bei dem die Koordinaten eines Gegenstands von zwei unterschiedlichen Punkten aus bestimmt werden (Flick 2012: 11). In der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis lassen sich im Anschluss an Norman K. Denzin (1970) vier Formen der Triangulation unterscheiden: Datentriangulation (verschiedene empirische Quellen werden zur Bestimmung eines Gegenstands herangezogen), Forschertriangulation (verschiedene soziologische Beobachter), Theorietriangulation (verschiedene Theorieperspektiven) und Methodentriangulation (verschiedene Methoden). Der Begriff wird in der Gegenwart häufig auf die Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden reduziert. Das Motiv für eine derartige Methodentriangulation besteht darin, validere und reichhaltigere Befunde zu erhalten. Dieser vergleichsweise bescheidene Anspruch ist in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Richtungen auf Kritik gestoßen. Aus dem konstruktivistischen Lager wird die damit postulierte Möglichkeit einer synergetischen Kombination bestritten, weil jede Methode ihren eigenen Gegenstand hervorbringt, so dass es demzufolge gar keinen gemeinsamen Nenner für eine Triangulation geben kann. Methodologisch ausgerichtete Forscher greifen diese Kritik auf und bemühen sich darum, eine integrative Plattform für qualitative und quantitative Ansätze zu entwickeln, von der aus eine Kombination der beiden Methodenbaukästen möglich wird. Und schließlich gibt es eine breite und eher forschungspragmatisch ausgerichtete Diskussionslinie, in der es vorwiegend um die formale Ausbuchstabierung und empirische Realisierung konkreter Mixed-Methods-Forschungsdesigns geht.

      Wir werden nun auf die beiden letztgenannten Strömungen etwas genauer eingehen, da sie die aktuelle Diskussion um eine Annäherung der beiden Methodenstränge maßgeblich vorangetrieben haben.

3.1Möglichkeiten methodenintegrativer Sozialforschung

      Der hierzulande einflussreichste Vorschlag zur methodologischen Integration der beiden Methodenstränge stammt von Udo Kelle (2008). Kelle hat in den letzten Jahren ein integratives Forschungsprogramm entwickelt, auf dessen Basis quantitative und qualitative Ansätze sinnvoll zusammenarbeiten können. Die gemeinsame Plattform weist vier zentrale Charakteristika auf: einen gegenstandsadäquaten Kausalitätsbegriff, ein Konzept der verstehenden Erklärung, einen doppelten Theoriebegriff sowie ein modifiziertes Phasenmodell des sozialwissenschaftlichen Forschungsprozesses.

      (1.) Kelles integratives Programm geht in Übereinstimmung mit der quantitativen Forschungslinie von der Notwendigkeit zur kausalen Interpretation empirischer Zusammenhänge aus. Der Begriff der Kausalität erfährt allerdings in zwei zentralen Hinsichten eine Veränderung bzw. Präzisierung. Zum einen werden seine deterministischen Anklänge zugunsten einer Versöhnung mit den Konzepten menschlicher Autonomie und Kreativität getilgt. Demzufolge wird soziales Handeln durch drei verschiedene Bedingungen beeinflusst bzw. verursacht: situative Faktoren, individuelle Handlungsziele und soziokulturell variable Handlungsregeln. Kelle geht im Rahmen seines Ansatzes davon aus, dass Akteure prinzipiell dazu in der Lage sind, diese drei Einflussgrößen zu verändern. Zum anderen wird der Kausalitätsbegriff an den Gegenstandsbereich der Sozialwissen-schaften [74]angepasst. Denn kausale Aussagen haben dort laut Kelles Analyse eine geringere Geltungsreichweite als in den Naturwissenschaften. Die Soziologie hat es stets mit raum-zeitlich begrenzten Strukturen mittlerer Reichweite zu tun, was die Entdeckung universeller Gesetzmäßigkeiten unmöglich macht (ebd.: 181–225).

      (2.) Mit dem integrativen Konzept der verstehenden Erklärung wendet sich Kelle gegen den disziplinhistorisch eingeschliffenen Dualismus von Erklären und Sinnverstehen. Er betrachtet das Verhältnis dieser beiden Erkenntnismodi als komplementär: Quantitative Studien beschreiben die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung auf der Makroebene, qualitative Analysen liefern durch detaillierte Fallbeschreibungen eine mikrofundierte Tiefenerklärung dafür, wodurch diese Korrelationen zustande kommen. Sofern sichergestellt ist, dass sich qualitative und quantitative Studien auf denselben empirischen Gegenstand beziehen, können sie sich also wechselseitig befruchten, validieren oder sogar korrigieren (ebd.: 267–269).

      (3.) In Kelles Programm wird das Verhältnis von theoriegenerierenden (qualitativen) und theorieprüfenden (quantitativen) Verfahren genauer bestimmt. Zu diesem Zweck hält er es für erforderlich, zwei Missverständnisse auszuräumen. Demzufolge sind qualitative Studien nicht – wie gelegentlich suggeriert wird – dazu in der Lage, ex nihilo neue Theorien zu entwickeln. Vielmehr spielen theoretische Vorannahmen, Erwartungen und Wissensbestände eine wichtige Rolle bei der Konstitution und Erforschung des Gegenstandsbereichs.


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