Systemisches Case Management. Matthias Müller
wo es heißt: »Die Teilnahme an einer sozialen Gruppenarbeit soll älteren Kindern und Jugendlichen bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen helfen. Soziale Gruppenarbeit soll auf der Grundlage eines gruppenpädagogischen Konzepts die Entwicklung älterer Kinder und Jugendlicher durch soziales Lernen in der Gruppe fördern.«
Inzwischen hat die Konzeption der Gruppenarbeit unterschiedliche theoretische und methodische Grundlegungen erfahren. Bedeutend scheinen derzeit die systemisch-konstruktivistischen Ansätze der Gruppenarbeit zu sein, die Georg Nebel und Bernd Woltmann-Zingsheim (1997) in einem Werkbuch vorstellen.
Zwei Definitionen sozialer Gruppenarbeit: »Gruppenarbeit wird hier gesehen und beschrieben als eine der drei Methoden der Sozialarbeit. Durch sie will ein dafür besonders ausgebildeter Gruppenleiter die Menschen in der Gruppe dazu bereit und fähig werden lassen, als ganze Menschen sich zu entwickeln, zu wachsen und zu reifen. Dabei spielen die Beziehungen eine ausschlaggebende Rolle, die die Mitglieder zueinander, zum Leiter und zu anderen Gruppen haben. Von wesentlicher Bedeutung sind jedoch außerdem die Begegnung und Auseinandersetzung mit einem sachlichen Programm« (Lattke 1962).
»Soziale Gruppenarbeit ist eine Methode der Sozialarbeit, die den Einzelnen durch sinnvolle Gruppenerlebnisse hilft, ihre soziale Funktionsfähigkeit zu steigern und ihren persönlichen Problemen, ihren Gruppenproblemen oder den Problemen des öffentlichen Lebens besser gewachsen zu sein« (Konopka 1971).
Drei Bestimmungsmerkmale der sozialen Gruppenarbeit
Erstens: Die Gruppe ist nicht Selbstzweck, sondern dient als Medium psycho-sozialer Veränderung. Daher stehen im Mittelpunkt Ziele wie Wachstum, Reifung, Bildung, Heilung und/oder Integration des Einzelnen.
Zweitens: Von sozialer Gruppenarbeit wird erst dann gesprochen, wenn ein sozialpädagogisch geschulter Experte die Gruppe anleitet.
Drittens: Die Zielsetzung bezieht sich auf gesellschaftseingliedernde (integrierende bzw. inkludierende) Bestrebungen. Durch die Gruppen soll der Einzelne seine sozialen Anpassungsmöglichleiten bzw. seine soziale Funktionsfähigkeit erhöhen.
Der Gruppenleiter muss insbesondere das Phasenmodell der Gruppenarbeit (nach Garland et al. 1975; vgl. dazu Nebel u. Woltmann-Zingsheim 1997) kennen, will er eine Gruppe kompetent anleiten und gestalten. Demnach gliedert sich die Entwicklung einer sozialen Gruppe folgendermaßen:
Phasen | Bezeichnung der Phasen | Aufgaben in den Phase |
1. | Orientierungsphase, Voranschluss | Es muss das Problem der Gruppenzusammensetzung gelöst und es sollten erste Ziele für die Gruppe formuliert werden. |
2. | Machtkampf, Übergangsphase | Kontraktklärung (in Lerngruppen: Lernzielabsprache). Drei Hauptprobleme sind zu lösen:1. Rebellion und Autonomie;2. die normative Krise (die Wahrscheinlichkeit des Austritts aus der Gruppe ist in dieser Phase am höchsten);3. Schutz und Stützung. |
3. | Vertrautheitsphase, Beziehungsphase | Wichtig sind Fragen der emotionalen Beziehungsabklärung, des Treffens von Entscheidungen und Bewältigung von Konflikten. |
4. | Entwicklungsphase, Differenzierung | Wichtig sind Fragen des Lösens von Gruppenaufgaben und des Miteinanderarbeitens. |
5. | Trennung, Ablösung | Wichtig sind: 1. Klärung, ob die Trennung gruppenentwicklungsbedingt oder durch die Umstände erzwungen ist; 2. Frage nach der Zukunft. |
Abb.: Phasen sozialer Gruppenarbeit
Soziale Gemeinwesenarbeit
Geschichte: Die Gemeinwesenarbeit stammt wie die anderen klassischen Methoden/Arbeitsformen der Sozialen Arbeit (Soziale Einzelfallhilfe, Soziale Gruppenarbeit) aus der amerikanischen Social Work. Sie ist dort zum einen als Community Organization und zum anderen als Community Development in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert entwickelt worden. Community Organization, als die auch in Deutschland der 1950er Jahre aufgenommene Form der Gemeinwesenarbeit, zielte auf die Verbesserung der Infrastruktur in urbanen Großstadtzentren ab: »Ihr Anliegen war es, in den durch Einwanderer unterschiedlichster Herkunft geprägten großstädtischen Elendsvierteln durch gezielte Intervention und Unterstützung Entwicklungen in Gang zu setzen, die die Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppen in die amerikanische Gesellschaft förderten und die ›Rekonstruktion heruntergewirtschafteter Massenwohnviertel‹ (Müller 1992, S. 105) vorantrieben« (Galuske 1998, S. 88).
Definitionen von Gemeinwesenarbeit (nach Galuske 1998, S. 90 f.): »Community Organization for Social Welfare gilt als eine der ›grundlegenden Methoden‹ der Sozialen Arbeit. In der einfachsten Form wird sie praktiziert, wenn eine Gruppe von Bürgern einer Stadt sich zusammentut, um in planmäßiger Weise ein gemeinsames Bedürfnis zu befriedigen. Als berufsmäßig ausgeübte Tätigkeit mit erprobten Methoden und anerkannten, lehrbaren Fertigkeiten aber ist Community Organization der Prozess, durch den Hilfsquellen und Bedürfnisse der sozialen Wohlfahrt innerhalb eines geografisch oder inhaltlich begrenzten Arbeitsfeldes immer wirksamer aufeinander abgestimmt werden« (Lattke 1955, zit. nach Galuske 1998, S. 90).
»Der Begriff Gemeinwesenarbeit […] bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf ein Gemeinwesen seine Bedürfnisse und Ziele feststellt, sie ordnet oder in eine Rangfolge bringt, Vertrauen und den Willen entwickelt, etwas dafür zu tun, innere und äußere Quellen mobilisiert, um die Bedürfnisse zu befriedigen, dass es also in dieser Richtung aktiv wird und dadurch die Haltung von Kooperation und Zusammenarbeit und ihr tätiges Praktizieren fördert« (Ross 1968, zit. nach Galuske 1998, S. 91).
»Gemeinwesenarbeit ist eine Methode, die einen Komplex von Initiativen auslöst, durch die die Bevölkerung einer räumlichen Einheit gemeinsame Probleme erkennt, alte Ohnmachterfahrungen überwindet und eigene Kräfte entwickelt, um sich zu solidarisieren und Betroffenheit konstruktiv anzugehen. Menschen lernen dabei, persönliche Defizite aufzuarbeiten und individuelle Stabilität zu entwickeln, und arbeiten gleichzeitig an der Beseitigung akuter Notstände (kurzfristig) und an der Beseitigung von Ursachen von Benachteiligung und Unterdrückung« (Karas u. Hinte 1978, zit. nach Galuske 1998, S. 91).
Gemeinwesenarbeit ist »die zusammenfassende Bezeichnung verschiedener, vor allem nationaler und im Laufe der Entwicklung der letzten Jahrzehnte unterschiedlicher Arbeitsformen, die auf die Verbesserung der soziokulturellen Umgebung als problematisch definierter, territorial oder funktional abgegrenzter Bevölkerungsgruppen (Gemeinwesen) gerichtet ist. Diese Verbesserung soll in methodischer Weise unter fachkundiger Begleitung durch theoretisch und praktisch ausgebildete Sozialarbeiter und unter aktiver Teilnahme der (entsprechenden) Bevölkerung(sgruppe) durchgeführt werden. Es geht hierbei um eine Anpassung der Problemgruppe an die Umgebung, um eine Veränderung der (Einstellungen, Verhaltensweisen der) Umgebung und um die gemeinsame Erarbeitung von, gemäß den entsprechenden kulturellen Normen, notwendigen Fertigkeiten oder Institutionen« (Ludes 1977, zit. nach Galuske 1998, S. 91).
Zielstellungen: Soziale Arbeit bezieht sich entweder auf Verhaltensänderung oder auf Verhältnisänderung bzw. hat beide Bereiche gleichzeitig im Blick. Während die Soziale Einzelfallhilfe und die Soziale Gruppenarbeit tendenziell eher Verhaltensänderungen von Individuen anstreben, intendiert Gemeinwesenarbeit eher eine Verhältnisänderung, eine Beeinflussung der sozialen Milieus, der Umwelt bzw. des Umfeldes von Individuen. In der Gemeinwesenarbeit werden also sozial-strukturelle Veränderungen angestrebt, um die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern. Dazu ist keine asymmetrische SozialarbeiterIn-KlientIn-Beziehung, mithin keine individuelle Falldefinition, notwendig.
Gemeinwesenarbeit ist vor allem durch folgende Aspekte gekennzeichnet:
•Sie bezieht sich auf soziale Netzwerke, und zwar – territorial – auf einen Stadtteil, eine Nachbarschaft, eine Gemeinde, einen Wohnblock, einen Straßenzug etc., – kategorial – auf bestimmte ethnisch, geschlechtsspezifisch, altersbedingt abgrenzbare Bevölkerungsgruppen und/oder – funktional – auf inhaltlich bestimmbare Problemlagen, z. B. Wohnen, Bildung.