Mamas Alzheimer und wir. Peggy Elfmann
deren Ratschläge ich sehr schätze, hatte gesagt: „Du darfst auf keinen Fall deinen Job aufgeben.“ Dieser Satz hämmerte in meinem Kopf. Ich hatte nicht ernsthaft daran gedacht, meinen Beruf aufzugeben. Ich lebte und liebte meinen Job als Journalistin: interessante Menschen treffen, Interviews führen und schreiben. Ich hatte immer selbstständig sein wollen. Ich wollte das nicht aufgeben. In meinem Kopf war aber auch der Wunsch und ein wenig die Verpflichtung: ‚Ich kann Mama nicht im Stich lassen, ich bin doch ihre Tochter.‘ Das Gedankenkarussell drehte sich in einem fort: Was ist mit meiner Arbeit? Was mit meiner Tochter? Was mit dem Leben, das ich mir in München eingerichtet habe? Ich kann doch nicht so einfach umziehen – und meiner eigenen kleinen Familie diese Entscheidung aufdrücken. Oder konnte ich doch? War es nicht sogar meine Pflicht als Kind?
Wir waren innerlich alle voller Panik und Sorge – und doch versuchten wir, einen Plan für das Ungewisse zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben aufzugeben. Und meine Eltern sagten klar, dass sie das auch nicht wollten. Aber ich wollte doch auch für sie da sein und ihnen zeigen, dass ich mich kümmern möchte und sie nicht alleinlasse. Aber mit der Distanz, die zwischen uns liegt, ist das natürlich nicht so einfach. Wir sprachen sehr vage über mögliche Lösungen. Sollten sie zu mir und meiner Familie ziehen? Oder zu meinem Bruder und seiner Frau? Keiner von uns hatte eine Wohnung oder ein Haus, in dem genug Platz gewesen wäre. Könnten sie weiter zu Hause bleiben, irgendwann mit entsprechender Unterstützung? Über einen möglichen Umzug in ein Pflegeheim sprachen wir nicht. Ich traute mich nicht einmal, das auszusprechen, und versuchte, diesen Gedanken zu ignorieren. Ich hatte kein schönes Bild von einem Pflegeheim im Kopf – und das, obwohl ich doch keine Erfahrung damit hatte. Wenn ich an ein Heim dachte, sah ich meine Mama vor mir, die alleine, hilflos und verwirrt im Gang eines Pflegeheimes umherirrte. Wir sprachen nicht über alternative Wohnformen wie ein Betreutes Wohnen oder Senioren-WGs, diese Möglichkeiten kannten wir damals noch nicht. Meine Mama war doch noch so jung. 55 Jahre alt – es wirkte absurd, dass wir über Altenheime entscheiden sollten. „Wir helfen euch“, versprachen mein Bruder und ich.
Papa wollte das Haus verkaufen, dann irgendwo in meine Nähe ziehen. Das hatten wir uns überlegt und es schien für alle eine Möglichkeit. Konkreter wurde dieser vage Plan nie, bis heute nicht. Vielleicht war das auch gar nicht wichtig in der Situation damals. Wichtig war, dass wir uns versichert hatten, dass wir eine Familie sind und uns unterstützen. Ja, die Diagnose Alzheimer war schrecklich. Aber: Mama war nicht allein und wir wollten sie unterstützen.
Angst um meine Tochter
Ich war in großer Panik – und versuchte sie doch von meiner Tochter fernzuhalten. Ich unterdrückte meine Tränen, wenn ich nachmittags mit ihr Duplo spielte oder wir auf dem Spielplatz waren. Meine Tochter war noch nicht ganz drei Jahre alt und hatte klare, kindliche Bedürfnisse. Sie wollte ihren kleinen Duplozug aufbauen, wollte hohe Türme mit den Bausteinen stecken und auf dem Spielplatz klettern. Sie brauchte Essen, ich kaufte ein und kochte und machte all das, was man für kleine Kinder macht. Diese Routine sorgte dafür, dass mein Leben weiterlief, dass ich mich nicht ins Bett legte und weinte und mich aufgab, weil die Welt um mich herum plötzlich so schrecklich gemein wirkte. Abends, wenn sie schlief, schlich ich manchmal in ihr Zimmer und betrachtete ihr zartes Gesicht. Da war die Welt mit einem Mal friedlich und ich etwas versöhnt.
Wie kann man einer Dreijährigen Alzheimer erklären? Was weiß ein kleines Kind über das Gehirn und über Nervenzellen, die nicht mehr so arbeiten, wie sie arbeiten sollen? Nichts. Viel zu kompliziert wären diese Erklärungen. Sollte ich sagen: ‚Die Oma ist krank‘? Das wirkte irgendwie unglaubwürdig. Wie kann die Oma krank sein, wenn sie weder Husten noch Schnupfen hat und auch nicht mit Fieber im Bett liegt, sondern lächelnd in der Küche steht und kocht? Und so sprach ich die Diagnose nicht an. Ich sagte meiner Tochter damals nicht die klaren Worte: ‚Oma hat Alzheimer.‘ Ich dachte, es wäre besser so. ‚Was sollte es bringen, meiner Tochter von etwas zu erzählen, das sie nicht verstehen kann?‘, das fragte ich mich und entschied, dass sie überhaupt nichts davon hätte. Vielleicht wollte ich es aber einfach immer noch nicht wahrhaben. Ich hoffte auf ein kleines Wunder. In jedem Fall konnte ich es immer noch nicht verstehen. Ich verstand nicht, was Alzheimer ist und was die Erkrankung mit sich bringen würde.
Ich sprach mit meiner sensiblen Tochter auch nicht über meine Gedanken. Ich zeigte ihr meine Gefühle nicht. Wenn ich mit ihr zusammen war, habe ich mich sehr zurückgenommen. Ich wollte meiner Kleinen keine Angst machen. Ich wollte ihre Unbeschwertheit nicht trüben. Aber in Gedanken war ich oft weit weg. Ich hatte Angst um meine kranke Mama und reiste Hunderte Kilometer, um sie zum Arzt zu begleiten. Aber meinem Kind sagte ich wie nebenbei: „Ich gehe mit der Oma zum Arzt.“ Ich hatte Panik, dass meine Mama bald stirbt. Ich traute mich nicht, das meiner Tochter zu sagen. Was wusste mein Kind vom Sterben und dem Tod? Sie wusste ja nicht einmal, dass es ihn gab. Ich fühlte mich hilflos, ob und wie ich das Thema Alzheimer ansprechen sollte.
Ich dachte, es würde sich ergeben und meine Tochter hineinwachsen. Ich nahm mir vor, dass ich ihre Fragen beantworten würde, wenn sie älter wäre und es die Situation erfordere. Aber ich wollte sie nicht unnötig besorgen.
Aber jetzt hatte ich Angst. Angst, etwas falsch zu machen. Angst, meiner Tochter wehzutun. Angst, mit ihren Tränen nicht umgehen zu können. Ich wollte mein Kind beschützen. Ich wollte sie vor meiner Trauer beschützen, ich wollte nicht, dass sie weint und sich sorgt. Aber es wäre vielleicht hilfreich gewesen, ihr zu sagen: ‚Ich bin traurig, weil es der Oma nicht gut geht.‘ Oder: ‚Ich mache mir Sorgen um die Oma.‘ Heute weiß ich: Das Schlimme waren nicht meine traurigen und wütenden Emotionen, sondern dass ich sie nicht ausgesprochen habe. Meine Gefühle waren da, auch wenn ich sie nicht zeigte. Sie schwebten wie eine Wolke über mir und verdunkelten meine Stimmung. Aber Kinder haben feine Antennen, sie kennen ihre Eltern so gut, weil sie sie immerzu beobachten, und natürlich spüren sie ganz besonders, wenn da eine dunkle Wolke über einem schwebt, und es macht ihnen ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, ob meine Tochter sich Gedanken dazu gemacht hat, sie war sehr rücksichtsvoll. Aber vielleicht hätte es ihr geholfen, wenn ich gesagt hätte: ‚Ich bin gerade traurig, weil die Oma eine Krankheit hat. Das hat nichts mit dir zu tun.‘
In diesen ersten sorgenvollen Wochen nach der Diagnose hatte ich seit langer Zeit wieder das Gefühl, dass ich eine Tochter bin. Aber ich sah mich nicht mehr als die kleine, liebe Tochter, die bei ihrer Mama Hilfe sucht. Mit einem Mal war ich erwachsen geworden. Ich fühlte mich als Tochter, die auf einmal eine Verantwortung hatte – und doch überhaupt keinen Plan, was sie tun konnte und sollte. Ich wollte für meine Mama da sein, aber ich wusste nicht wie. In meinem Kopf wummerte es noch immer und ich fragte mich immerzu: ‚Warum meine Mama?‘ Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Würde sie mich jetzt alleine lassen? Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Die Krankheit machte mir Angst und ich wählte die Strategie des Überspielens. Ich wollte so viel Alltag und Arbeit wie möglich, um mich abzulenken. Bald lächelte ich wieder nach außen hin, ich war die fröhliche, liebe Peggy, aber innerlich hatte sich ein grau-trüber Schleier über mein Herz gelegt.
Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?
Ärzte bedienen sich verschiedener Methoden, um eine Demenz zu diagnostizieren. Es gibt mehr als 50 Formen der Demenz – die Alzheimerdemenz ist die häufigste. Die Symptome der einzelnen Demenzformen sind verschieden und lassen sich nicht immer klar trennen. Wenn Sie eine Demenz bei sich vermuten, sollten Sie sich zuerst an den Hausarzt oder einen Neurologen beziehungsweise mit Überweisung an eine Gedächtnisambulanz wenden. Für Angehörige ist die Deutsche Alzheimer Gesellschaft eine gute erste Anlaufstelle. Für die Therapie ist es wichtig, die genaue Form zu kennen. Diese Verfahren werden zur Diagnose der Alzheimerdemenz angewendet:
Anamnese: Das Arztgespräch ist ein erster wichtiger Teil der Diagnose. Der Arzt informiert sich umfassend und fragt etwa Ihre Vorgeschichte ab: Welche Beschwerden haben Sie? Wie lange bestehen diese schon? Haben sie sich verändert? Beeinträchtigen sie den Alltag? Finden Sie manchmal nicht die richtigen Worte? Wie gut können Sie sich räumlich orientieren?