Terrafutura. Carlo Petrini

Terrafutura - Carlo Petrini


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Nutzung und Bewahrung der Schöpfung einher. Als dann, fast zwei Jahre später, die Enzyklika erschien, vermutete ich, dass Sie vielleicht bereits damals, 2013, die Idee hatten, Franz von Assisi auf diese Weise zu interpretieren. Ja, ich war davon überzeugt.

      F2013 eigentlich noch nicht. Oder, besser gesagt, war es ein langer Prozess, der 2013 bereits seinen Anfang genommen hatte. Ich erinnere mich, wie ich 2007, als Bischof von Buenos Aires, an der V. Generalkonferenz des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik in Aparecida, Brasilien, teilgenommen habe und mit welchem Nachdruck die brasilianischen Bischöfe über die großen Probleme des Amazonasgebietes sprachen. Bei jeder Gelegenheit kamen sie auf dieses Thema, legten wortreich die Auswirkungen auf die Umwelt und die sozialen Folgen der aufgeworfenen Probleme dar. Ich kann mich gut erinnern, dass mir dieses Verhalten auf die Nerven ging und ich sogar kommentierte: »Diese Brasilianer machen uns noch ganz verrückt mit ihren Reden!« Damals habe ich nicht begriffen, weshalb sich die Bischofskonferenz dem Thema Amazonien widmen sollte, mich beschäftigte das Wohl der grünen Lunge der Erde kaum, oder zumindest verstand ich nicht, was das mit meiner Rolle als Bischof zu tun hatte. Im Lauf der Stunden sah sich das Redaktionsteam für das Abschlussdokument auch von Kolumbianern und Ecuadorianern mit immer weiteren Anregungen zu dem Thema konfrontiert. Ich war nach wie vor der Ansicht, man solle sie außer Acht lassen, und hatte kein Verständnis für dieses Drängen und diese Beharrlichkeit. Seit jenem Jahr ist viel Zeit verstrichen und ich habe meine Wahrnehmung der Umweltproblematik komplett verändert. Damals wollte ich nicht begreifen, sieben Jahre später habe ich die Enzyklika geschrieben.

      CWelch wunderbare Geschichte! Glauben Sie, dies ist mit ein Grund dafür, dass ein Teil der Kirche die Ideen der Laudato si’ nur langsam verinnerlicht hat? Oder ist das nur mein persönlicher Eindruck?

      FIch gebe Ihnen recht, es stimmt. Und wie gesagt, habe ich diese Thematik anfangs selbst nicht verstanden. Als ich dann anfing, mich damit auseinanderzusetzen, habe ich ein Bewusstsein dafür entwickelt, habe den Schleier zerrissen. Ich glaube, man muss allen genügend Zeit zum Verstehen lassen. Gleichzeitig ist jedoch dringend ein Paradigmenwechsel geboten, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

      CIch würde Sie jetzt gern noch etwas anderes fragen. Sie wissen, dass ich Agnostiker bin …

      FEin frommer Agnostiker. Sie haben Ehrfurcht vor der Natur, und das ist eine edle Haltung.

      C(lacht) »Frommer Agnostiker« ist eine gute Umschreibung, die muss ich mir merken. Ihre im Lauf des Pontifikats entstandenen Texte und Ihre Stellungnahmen haben mir gezeigt, mit welchem Nachdruck Sie fordern, dass auch Agnostiker, und ganz allgemein die Nichtgläubigen, Achtung vor dem Transzendenten haben sollten. Ich habe das verstanden und kann Ihnen nur zustimmen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die beiden Welten, die gläubige und die säkulare Welt, weiterhin parallel nebeneinander existieren und große Mühe haben, sich aufeinander einzulassen und ernsthaft in Dialog zu treten. Auseinandersetzungen und gemeinschaftliches Handeln von Gläubigen und Nichtgläubigen sind nicht üblich, und das zu einem Zeitpunkt, da die großen vor uns liegenden sozialen und ökologischen Herausforderungen ein gemeinsames Engagement und die gemeinsame Anstrengung aller Menschen guten Willens erfordern würden. Es gelingt nicht, diese Interessenvereinigung zu schaffen. Vielleicht ist es auch ein Problem der Sprache und der Formulierungen. Ich will ein Beispiel nennen, das mir für die Schwierigkeiten des Zusammenwirkens besonders bezeichnend zu sein scheint: das von Ihnen 2016 ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit. Die Welt der Nichtgläubigen hat dieses Ereignis nur sehr marginal wahrgenommen, obwohl das Thema zentral ist und alle dazu aufgerufen sind, daran teilzuhaben. Doch das Wort Barmherzigkeit ordnet man ganz und gar der katholischen Welt zu, und uns Nichtgläubigen gelingt es nicht, das kulturelle und politische Potenzial dieser Botschaft zu erfassen; wir erleben sie als etwas, das uns überhaupt nicht betrifft.

      FGenau dafür hatte Benedikt XVI. ein starkes Gespür. Zu dem letzten von ihm abgehaltenen interreligiösen Treffen in Assisi hatte er auch Agnostiker eingeladen, da sie uns, wie er sagte, etwas zu geben hätten. In seinen Augen sollten die Agnostiker zu allen Gläubigen sprechen, gleich, welcher Religion sie angehören. Benedikt hatte eine Intuition, mit der er eine neue Phase eingeläutet hat. Es wird Zeit brauchen, bis sie zur Entfaltung kommt, aber seit damals ist man auf der richtigen Spur. Ich glaube, dass das Problem der beiden Parallelwelten ein Erbe der Aufklärung ist, das wir auch dreihundert Jahre später noch immer mit uns schleppen. Man tut übrigens gut daran, zunächst zwischen den beiden Begriffen Laizität und Laizismus zu unterscheiden: Laizität ist ein gesunder Ansatz, Laizismus dagegen eine verschlossene, kindliche Haltung. Wir sind Kinder jener Sichtweise der Aufklärung, mit der die vollständige Trennung festgeschrieben wurde: Der Glaube ist weit weg, abstrakt, wir dagegen sind weltlich und haben damit nichts zu tun. Aber so ist es nicht. Wahre Laizität bedeutet transzendente Offenheit, anders geht es nicht. Wenn es anders wäre, nähme man dem Menschen die Möglichkeit, sich selbst zu transzendieren, sich der Welt und dem Anderen zu öffnen, sich in das hineinzuprojizieren, was außerhalb von ihm besteht. Jedes Werk der Solidarität bedeutet ein Sichöffnen gegenüber dem Anderen, dem Transzendenten. Aber wir sind mit der völligen Trennung der Sphären aufgewachsen und können uns nicht vorstellen, dass sie miteinander im Austausch stehen; dazu fehlen uns tatsächlich die geistigen Kategorien. Das ist ein grundlegender Fehler. Auch die Gläubigen, die offen für das Transzendente sind, müssen den agnostischen Humanismus verstehen, der nun einmal Realität ist. Es ist diese Ebene des Verständnisses, auf der sich ein Dialog führen lässt.

      CDavon bin ich fest überzeugt und habe es während der letzten drei Jahre stark gespürt. Denn es war die Enzyklika Laudato si’, die mich dazu gebracht hat, wieder über diese Dinge zu diskutieren. Das muss ich ehrlich zugeben, denn ich bin darin auf ein starkes ethisches und moralisches Bewusstsein gestoßen. Gleichzeitig sehe ich natürlich die Schwierigkeit des Brückenbauens. Deshalb hoffe ich, dass unsere Laudato-si’-Gemeinschaften in dieser Hinsicht gut funktionieren werden.

      FDas ist wichtig, der Dialog ist äußerst wichtig. Die Enzyklika Laudato si’ ist ein gemeinsamer Punkt für beide Seiten, denn der Text wurde für alle geschrieben.

      CWo wir gerade beim Dialog sind: Als ich die Enzyklika las, habe ich mich unter anderem lange mit dem ethischen Aspekt dieses Begriffs befasst. Nach tieferem Nachdenken habe ich jedoch eingesehen, dass der Dialog keine moralische Option ist. Er ist im Gegenteil in erster Linie eine Methode. Genau in dem Sinne, wie es Romano Guardini bereits um die Mitte des letzten Jahrhunderts dargelegt hat (ich muss Ihnen gestehen, dass ich noch nie so viel Theologie gelesen habe wie in den letzten Monaten). Guardini hat mich fasziniert, weil er diese Dinge bereits dreißig Jahre vor den anderen gesagt hat! So habe ich erkannt, dass der Dialog eine Methode ist. In meinen Augen ist er eine kulturelle, politische und operative Methode. Wie denken Sie darüber?

      FDer Dialog ist vor allem eine menschliche Methode. Guardini ist ein Ansatz gelungen, der gegensätzliche Spannungen nicht als etwas betrachtet, das es zu beseitigen gilt, sondern als etwas, das man auf einer höheren Ebene überwinden muss. Es geht also nicht darum, Differenzen und Konflikte zu verwischen, sondern sie im Gegenteil hervorzuheben und gleichzeitig für ein übergeordnetes Wohl zu überwinden. Guardini war dazu in der Lage, weil er den Dialog gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hat. Er stammte nämlich aus einer italienischen Familie, die sich in Deutschland niedergelassen hatte, als er selbst erst ein Jahr alt war. Die Kultur seiner Familie war also eng mit der deutschen Kultur verwoben, innerhalb derer er seine gesamte Ausbildung absolvierte. Er musste keine Synthese vollziehen, sondern den Gegensatz auf einer höheren Ebene auflösen, auf einer Ebene, die es ermöglichte, die Spannung der beiden Gegensätze beizubehalten und gleichzeitig aufzuheben. Darin lag seine Größe. Er hat den Dialog mit der Muttermilch aufgenommen, er hatte ihn im Blut.

      CIch glaube, Sie haben nicht zu Unrecht das Interesse an der italienischen Politik verloren. Sie ist tatsächlich von immer heftigeren Beleidigungen und Attacken geprägt, die sich oft gegen einzelne Personen und nicht gegen Ideen richten. Doch wenn im Parlament nicht die nötige Stimmenzahl fürs Regieren zusammenkommt, müssen die Parteien sich zwar an den runden Tisch setzen und versuchen, die Lage zu klären. Hat man sich zuvor jedoch immer schlimme Sachen gesagt, ist es tatsächlich schwierig, zu einem Dialog zu finden. Wir erleben de facto den permanenten Wahlkampf und Regierungsabkommen, die gerade mal ein paar Monate überdauern!

      FDas


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