Terrafutura. Carlo Petrini
zusammen. So läuft das in der Politik. Das ist, wenn Sie so wollen, das Salz in der Suppe!
C(lacht) Hauptsache, man versalzt die Suppe nicht. Nachdem ich für den Verlag Edizioni San Paolo den Kommentar zu Ihrer Enzyklika verfasst hatte, bekam ich Gelegenheit herumzureisen, um an Gesprächen und Debatten mit zahlreichen Katholiken, darunter auch Pfarrer und Bischöfe, teilzunehmen. Als man mich bat, meine Lesart der Laudato si’ darzustellen, waren es vor allem vier Punkte, die ich hervorhob: das Konzept der ganzheitlichen Ökologie, der Dialog als Methode, der Wert der biologischen Vielfalt und schließlich der Punkt, der mich am meisten fasziniert hat, nämlich die Bedeutung, die die guten Praktiken des Individuums für das Bewirken nachhaltiger Veränderungen haben. Ich würde gern wissen, ob Sie sich in dieser »weltlichen« Interpretation wiederfinden.
FFür meine Antwort fange ich mit dem vierten Punkt an: Weshalb erstaunt uns das so? Weil dabei ein Wert ins Spiel kommt, der außer Mode geraten ist, ja bisweilen vielleicht sogar ein wenig verachtet wird. Dieser Wert ist die Aufrichtigkeit. Aufrichtigkeit ist nicht bloß ein moralischer, sondern vielmehr ein menschlicher Wert. Er sorgt dafür, dass ein Mensch sich aufrichtig verhält, also in einer Atmosphäre der Harmonie handelt. Aufrichtigkeit erzeugt Harmonie, immer. Denn die Dimension der Aufrichtigkeit, egal ob sie nun durch eine Person, eine Gemeinschaft oder eine Familie ihren Ausdruck findet, löst immer Sympathie und Vertrauen aus. Und hier entsteht Dialog und wird erfahren, unmittelbar. Wie oft kommt es vor, dass man denkt: »Dieser Mensch denkt zwar anders als ich, aber er ist ehrlich.« Wenn die Aufrichtigkeit fehlt, kann es zu keinem tragfähigen Dialog kommen, das ist schier unmöglich. Als Beispiel für mangelnde Aufrichtigkeit ist mir einmal folgende kleine Geschichte erzählt worden. Eigentlich hat man sie mir erzählt, um zu zeigen, wie schlecht die Italiener sind, aber da ich italienischer Abstammung bin, kann ich sie selbstironisch zum Besten geben. Es geht um neun Unternehmer großer Firmen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Sie berufen eine Versammlung ein, um übereinzukommen. Nach stundenlanger Diskussion gelangen sie zu einem gemeinsamen Ergebnis und formulieren eine endgültige Vereinbarung. Alle lesen sie und stimmen zu, und während man die Kopien zum Unterzeichnen ausdrucken lässt, stößt man fröhlich an, wie unter guten Freunden. Als schließlich die ausgedruckten Exemplare zum Unterzeichnen vorliegen und auf dem Tisch die Runde machen, sind Sie und ich, wir Italiener, bereits dabei, unterm Tisch ein weiteres Abkommen zwischen uns zu unterzeichnen. Das ist eine kleine Spitze gegen die Italiener, aber lassen wir das beiseite. Es geht um Unaufrichtigkeit. Der Unehrliche hat keine Anziehungskraft, er vereint nicht, da er kein Vertrauen einflößt und daher auch keines entgegengebracht bekommt. Aufrichtigkeit ist die Basis für Vertrauen. Auf der Basis der Aufrichtigkeit muss ich als Mensch handeln, um für mich und die anderen zur Harmonie in der Welt beizutragen. Denn ich kann nicht ehrlich zu den Menschen sein, wenn ich es nicht auch gegenüber der Natur, der Umwelt, dem Leben bin, das mich umgibt. Es gibt keine Aufrichtigkeit ohne Altruismus. Das ist der vierte Punkt.
CWenn ich mit anderen über diesen Aspekt der Enzyklika spreche, merke ich, wie ungeheuer wichtig es ist, sich bewusst zu werden, dass man aktiv an der Veränderung mitwirken kann. Selbst wenn man nur eine geringe, einfache Stellung hat. Es gibt eine Passage, in der Sie die Bedeutung der ganz kleinen Dinge unterstreichen, wie etwa das Licht auszuschalten, Wasser zu sparen, das Richtige zu konsumieren. Diese guten Praktiken des Einzelnen werden von der »hohen Politik« als veraltet, unbedeutend und folkloristisch abgetan. Dabei bilden sie die Grundlage für Veränderung, den Nährboden, auf dem eine bessere Zukunft für alle wachsen kann. Wir als Bewegung haben uns das auf die Fahnen geschrieben. Wir waren von Anfang an davon überzeugt, dass sich durch Nahrungsmittel – um die es der Slow-Food-Bewegung geht – tiefgreifende Veränderungen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems herbeiführen lassen, dass man die Welt verändern kann. Und wir glaubten und glauben nach wie vor, dass man mit den kleinen Dingen beginnen muss. Jeder trifft tagtäglich individuelle Entscheidungen, die jedoch Auswirkungen auf globaler Ebene haben und niemals neutral sind. Die eigenen Nahrungsmittel auszusuchen, gehört zu diesen Entscheidungen. Es handelt sich um einen wirkungsmächtigen Veränderungsmechanismus. Auf diese Weise gibt man einem Produktions- und Wirtschaftsmodell den Vorzug gegenüber einem anderen.
FEs sind die kleinen Dinge, die auf einen Ursprung verweisen. Der Pfarrer hat die Angewohnheit, ständig das Licht auszumachen. Pfarrer haben diese Manie. Aber warum? Weil Pfarrer die Spenden hüten müssen, um sie für wohltätige Zwecke zu verwenden. Das bedeutet, in Harmonie zu treten, sich persönlich einzubringen, zum aktiven Subjekt zu werden.
Ich komme auf einen anderen Punkt, den Sie betont haben, die ganzheitliche Ökologie. Zunächst möchte ich klarstellen, dass die Enzyklika Laudato si’, im Gegensatz zu dem, was viele denken und schreiben, keine Umweltenzyklika, kein Text zur Ökologie ist. Es handelt sich eher um eine Sozialenzyklika. Wenn wir über Ökologie sprechen, müssen wir uns vor Augen führen, dass wir in allererster Linie selbst ein Teil der Ökologie sind. Das scheint offensichtlich, ist es aber keineswegs. Wissen Sie, für was Familien, nach Nahrung und Kleidung, am meisten Geld ausgeben?
CKleidung … die Wohnung?
FNein. An dritter Stelle kommt Schminke … wie sagt man? … Kosmetik! Rechnet man die Schönheitschirurgie dazu, stehen die Ausgaben hierfür weltweit an dritter Stelle. Und an vierter Stelle? Die kleinen Lieblinge, Haustiere! Diese Statistik ist ein paar Jahre alt, aber es hat sich nicht viel verändert. Merkwürdig, oder? Bildung taucht zum Beispiel gar nicht auf. Vor einem solchen Hintergrund lässt sich schwerlich von einem neuen ökologischen Ansatz und einer neuen Harmonie mit der Umwelt sprechen. Angesichts einer Welt, die derart viel für solche Dinge ausgibt, fällt das nicht leicht. Unsere Epoche ist von einer tiefen Eitelkeit geprägt, die uns dazu bringt, eine künstliche, flüchtige und oberflächliche Schönheit zu verherrlichen …
CKonsum, konsumieren, konsumieren …
FKonsum. Den wir vorhersehen, kontrollieren können, der uns Besitz verheißt. Wir wollen Zuneigung auf Befehl, wie bei den Haustieren, wir wollen Antworten vorhersagen können. Über ganzheitliche Ökologie zu sprechen bedeutet, diese Sichtweise umzukehren, es bedeutet, dass Mensch und Umwelt nicht voneinander trennbar sind. Es ist ein echtes Aufbegehren gegen diese Welt. Ich kann mich erinnern, welches Aufsehen Anna Magnani mit der Geschichte um ihre Falten erregt hat. Als sie gefragt wurde, ob sie vorhabe, ihre Falten durch eine Schönheitsoperation entfernen zu lassen, antwortete sie: »Auf keinen Fall. Ich habe sie mir über Jahre redlich erworben!« Sie ist das Beispiel eines Menschen, der die Verbindung mit der Natur, die Schönheit der Natur, zutiefst verstanden hat. Eine ganzheitliche Natur, deren integraler, untrennbarer Bestandteil wir sind.
CUnd der entscheidende Punkt dabei ist, dass eine Verletzung der Erde der Verletzung unserer selbst gleichkommt. Immer wieder ist zu hören, wir müssten die Natur achten, um »den Planeten zu retten«. Was bei dieser Ansage, teils wider besseres Wissen, vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Erde weiterexistieren wird, ob mit oder ohne uns. Er wird sich verändern, wird neue Formen der Anpassung und des Lebens hervorbringen. Wir, als Spezies Homo sapiens, laufen dagegen Gefahr zu verschwinden. Darüber müsste man sprechen, dann würden sich die persönliche und die kollektive Einstellung vielleicht wirklich verändern. Abgesehen davon, bekommen wir das alles bereits tagtäglich zu sehen, die Beispiele sind zahlreich: Ökologische Notstände sind der Schlüssel zum Verständnis der großen Migrationsbewegungen, die wir derzeit erleben. Denn diese Migrationsströme sind nicht nur eine Folge des Kolonialismus, sondern auch des Klimawandels und der fortschreitenden Wüstenausbreitung. Doch unser Europa begreift das nicht und errichtet Mauern, nährt Angst und Misstrauen, schürt Konflikte zwischen den Armen.
FMich beunruhigt, wie dieser Trend zum Populismus in Europa Einzug gehalten hat. Ich muss dabei an manch furchtbare Verirrung denken, die wir in der Vergangenheit bereits erlebt haben, wie etwa die folgenschwere Verführung mit Heilsversprechen 1932/1933 in Deutschland. In jenem Fall bedurfte es keines gewaltsamen Staatsstreichs; es genügte das Votum der Leute, die sich von populistischen, unter dem Deckmantel des gesunden Menschenverstandes gehaltenen Reden in die Irre leiten ließen. Populismus ist wie Falschgeld.
CMan appelliert an das Bauchgefühl und weckt niedere Instinkte. In einer solchen Situation zu handeln, ist schwierig. So gesehen kann Bildung eine zentrale Rolle spielen, um derartigen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, und dennoch investiert man nicht genug