Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani
einen einzigen ernsthaften Wettbewerber auf der Weltbühne, insofern ist der Erfolg auf dem chinesischen Markt wenig überraschend im Vergleich zu dem Erfolg, den Amerikas Pkw-Bauer in China hatten. Amerikanische Automobilhersteller zählen nicht zu den konkurrenzfähigsten der Welt. Selbst auf dem heimischen Markt waren sie in den 1980er-Jahren der Konkurrenz aus Japan dermaßen stark unterlegen, dass sogar Präsident Ronald Reagan, ein eingeschworener Befürworter freier Märkte, der staatliche Interventionen eigentlich verabscheute, die Japaner stark unter Druck setzte, bis sie freiwilligen Exportbeschränkungen zustimmten. Wäre Reagan seiner Ideologie der freien Märkte treu geblieben, hätte er japanischen Pkw-Herstellern uneingeschränkten Zugang zu den amerikanischen Verbrauchern gestatten müssen. Hätte er das getan, hätte es durchaus dazu kommen können, dass die amerikanische Automobilindustrie mit wehenden Fahnen untergegangen wäre.
Warum also haben die vergleichsweise wenig konkurrenzfähigen amerikanischen Automobilhersteller in China derart gut abgeschnitten? Ihr Erfolg ist erstaunlicher und weniger absehbar als Boeings. Insbesondere GM hat eine echte Erfolgsgeschichte geschrieben. 2018 verkaufte der Konzern 3,64 Millionen Fahrzeuge in China, 2017 steuerte der dortige Markt 42 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei.6 2013 nannten das Magazin Forbes und Jonathan Brookfield von der Universität Tufts einen Grund für den Erfolg von GM in China: die Gemeinschaftsunternehmen, die man mit einheimischen Herstellern betrieb. Bei Forbes hieß es: „Partnerschaften vor Ort sind für alle Unternehmen, die ihre Präsenz im Ausland ausbauen, von großer Bedeutung. Das gilt umso mehr in China, wo die einheimischen Partner über enge Verbindungen zur Kommunistischen Partei verfügen – und die bestimmt, wer in welchem Geschäftsfeld aktiv sein wird und für wie lange.“7 Und Brookfield merkt an, dass ein zentraler Baustein für den „langfristigen Erfolg (von GM) in China“ die Partnerschaft von GM mit Shanghai Automotive Industry gewesen sei: „So wichtig war das Geschäft, dass der damalige Vizepräsident Al Gore und Chinas Ministerpräsident Li Peng 1997 bei der förmlichen Unterzeichnung des 50:50-Joint-Ventures anwesend waren. 1999 verkaufte Shanghai GM Buicks so schnell, wie es sie herstellen konnte.“8
Diese Unternehmen hatten sich auf anderen globalen Märkten, wo ein starker Konkurrenzdruck herrschte, nicht etablieren können, warum also gelang das in China? Die glaubwürdigste Theorie für den Erfolg auf dem chinesischen Markt: Chinas Regierung traf aus politischen Gründen die Entscheidung, sich bei der Versorgung seines Volks mit Autos nicht ausschließlich auf Hersteller aus Europa und Japan zu verlassen. Angesichts des komplizierten und häufig belasteten Verhältnisses zwischen China und Japan wäre es politisch nicht tragbar gewesen, dass sich China abhängig von Automobilen aus Japan macht. Insofern wäre es nicht überraschend, sollte die chinesische Regierung die Regeln auf dem Automarkt dahingehend manipuliert haben, dass amerikanische Pkw-Hersteller in den Genuss besonderer Vorteile kamen.
Der Entschluss der chinesischen Regierung, Platz für amerikanische Autos zu schaffen, hat dazu geführt, dass GM und Ford in China gewaltige Gewinne erzielten. Ihre Erlöse auf dem dortigen Markt waren höher als die auf dem US-Markt. CNN berichtete am 7. Februar 2017: „China ist jetzt GMs größter Markt. Das dortige Umsatzwachstum hat den Konzern in eine Größenordnung geführt, die er nicht einmal damals erzielt hat, als er der weltgrößte Pkw-Hersteller war. Während der Absatz des Konzerns in den USA leicht zurückging, der erste Rückgang auf GMs Heimatmarkt seit 2009, meldet GM das vierte Jahr in Folge einen Rekord beim Gesamtabsatz. Der amerikanische Automarkt hat nach sieben Jahren Wachstum in Folge seinen eigenen Rekord aufgestellt, könnte 2016 aber seinen Höhepunkt überschritten haben. Die Rekordabsätze des vergangenen Jahres verhalfen GM mit 12,5 Milliarden Dollar, einem Plus von 16 Prozent, zu einem Rekord beim Betriebsgewinn. Gerade einmal sieben Jahre zuvor hatte GM staatliche Finanzhilfe in Anspruch nehmen und ein Konkursverfahren durchlaufen müssen.“9 Kurzum: China hat mit GM einer der großen Wirtschaftsikonen Amerikas zu neuer Blüte verholfen.
Boeing und GM gehören zu den größten Produktionsunternehmen der amerikanischen Wirtschaft. Sie haben auf dem chinesischen Markt gewaltige Gewinne erzielt, insofern hätten sie eigentlich zu den lautesten Stimmen zählen sollen, die sich für eine Win-win-Beziehung zwischen Amerika und China starkmachen. Tatsächlich war die Geschäftswelt in den USA in den frühen Jahren der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zuversichtlich und optimistisch, was China anging. Als Präsident Bill Clinton 1993 versuchte, die Frage, ob China weiterhin in den Genuss des Meistbegünstigungsprinzips („Most Favoured Nation“-Status) kommen sollte, an Menschenrechtsfragen zu koppeln, meldete die New York Times: „Viele amerikanische Unternehmen […] haben im Weißen Haus und im Kongress vehement für eine Verlängerung von Chinas Privilegien geworben und darauf verwiesen, dass Milliarden Dollar in Exporten genauso wie Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden.“ Weiter argumentierten sie, „wenn man Handelsprivilegien dafür nutze, Menschenrechte und Rüstungsgeschäfte anzusprechen, werde das nur wenig dazu beitragen, die Chinesen zu überzeugen. Einige Manager argumentierten zudem, dass es den Vereinigten Staaten beim Durchsetzen ihrer politischen Ziele helfen könne, wenn man an China verkaufe.“10
Ein anderer Bericht dokumentiert, wie wichtig Boeing dafür war, Chinas Status als „Most Favoured Nation“ (MFN) zu bewahren: „Als sich [in den 1990er-Jahren] Interessengruppen bildeten, die den Kontakt mit China abbrechen wollten, spielten Boeing und zahlreiche andere US-Unternehmen eine zentrale Rolle, als es darum ging, den Kongress davon zu überzeugen, den MFN-Status zu verlängern. Boeing stand an der Spitze der ‚Corporate Foreign Policy‘ und bei einigen als das in Sachen China versierteste Unternehmen im Land und als ‚Quarterback‘ dieser Anstrengungen. Ein Senatsmitarbeiter sagte, Boeing habe auf dem Capitol Hill einen Full Court Press für MFN organisiert.“11 [Anm. d. Übers.: Ein Full Court Press, deutsch auch: Ganzfeldpresse, ist eine Verteidigungstaktik aus dem Basketball.]
Betrachtet man also, mit welchem Engagement sich amerikanische Unternehmen in der Vergangenheit für ein gutes Verhältnis zwischen China und USA eingesetzt haben, ist es wirklich schockierend, was geschah, als Präsident Donald Trump im Januar 2018 überraschend einen Handelskrieg gegen China vom Zaun brach: In der amerikanischen Unternehmenswelt wurden keine einflussreichen Stimmen laut, die versuchten, ihn davon abzubringen. Im Grunde gab es in Amerika praktisch überhaupt keine Stimmen, die versuchten, Trump von seinem Vorhaben abzubringen. Stattdessen stellte Trump (möglicherweise zu seiner eigenen Überraschung) fest, dass er für sein Vorgehen breite und weitreichende überparteiliche Rückendeckung erhielt. Selbst führende Demokraten hießen den Schritt gut. Senator Chuck Schumer sagte: „Wenn es darum geht, wie hart man gegen Chinas Handelspraktiken durchgreift, stehe ich Trump näher als Obama oder Bush.“12 Die Kongressabgeordnete Nancy Pelosi sagte: „Die Vereinigten Staaten müssen gegen Chinas schamlos ungerechte Handelspolitik stark, klug und strategisch vorgehen. Es ist noch deutlich mehr vonnöten, um die ganze Bandbreite von Chinas schlechtem Verhalten abzudecken.“13 Selbst ein gemäßigter und moderater Kommentator wie Thomas Friedman sprach Trump seine Unterstützung aus. Friedman stimmte mit Trump darin überein, dass sich China nicht an die Regeln gehalten habe, und schrieb: „Aus diesem Grund lohnt es, sich auf diesen Kampf einzulassen. Die Tatsache, dass Trump diesen Angriff anführt, sollte nicht davon ablenken, wie wichtig es ist, dass sich die USA, Europa und China auf dieselben Regeln für 2025 einigen – bevor es wirklich zu spät ist.“14
Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, dass die amerikanischen Handelskammern in Schanghai und Peking ihr Leid 2018 öffentlich beklagten. Die amerikanische Handelskammer in Schanghai schrieb 2018 in ihrem China Business Report: „Die Teilnehmer der Befragung glauben, dass die Politik der chinesischen Regierung einheimische Unternehmen begünstigt (54,5 Prozent). 60 Prozent der Befragten sagten, Chinas regulatorischem Umfeld mangele es an Transparenz und es sei keine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr festzustellen. Fehlender Schutz geistigen Eigentums und Durchsetzung entsprechender Bestimmungen (61,6 Prozent), der Erwerb erforderlicher Lizenzen (59,5 Prozent) sowie Datensicherheit und Schutz von Geschäftsgeheimnissen (52 Prozent) stehen ganz oben auf der Liste regulatorischer Hindernisse.“
Im selben Bericht heißt es auch: „Obwohl unsere Mitglieder vergleichsweise optimistisch sind, blicken sie doch verhalten in die Zukunft. Die staatliche Beschaffungspolitik bevorzugt weiterhin einheimische Unternehmen und könnte sogar strenger werden, wenn ‚Made in China