Wer macht was im Gottesdienst?. Liborius Olaf Lumma

Wer macht was im Gottesdienst? - Liborius Olaf Lumma


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mit gewissen Mitmach-Elementen, aus dem man persönlichen Gewinn zog oder jedenfalls ziehen sollte. Der Raum, in dem das alles stattfand, war aufgeteilt in eine Art Bühne und einen Zuschauerraum. Zwischen beiden Bereichen bestand eine architektonische Grenze: mehrere Stufen, eine kleine Trennmauer oder Ähnliches. Wer sich auskannte, wusste, dass diese Grenze während des Rituals und sogar außerhalb des Rituals nur nach genauen Regeln und nur von bestimmten Personen überschritten werden durfte. Alles andere war ein Störfaktor, wenn nicht ein Skandal.

      Die alles entscheidende Rolle in diesem Geschehen spielte eine einzige Person, die das Zeremoniell leitete. Sie musste männlich sein, die katholische Priesterweihe empfangen haben, nahm auch im Alltagsleben der Gemeinde eine besondere Stellung ein, war in der Kirche und außerhalb der Kirche schon durch die Kleidung erkennbar und genoss besonderes gesellschaftliches Ansehen. Dieser Priester wurde im Ritual von einigen assistierenden Personen ergänzt, manchmal handelte es sich auch bei ihnen um Priester, jedenfalls waren alle männlich. In bestimmten Rollen agierten bevorzugt Kinder.

       Gottesdienst als Versammlung

      Im 20. Jahrhundert hat sich vieles davon geändert. Diese Änderungen geschahen Schritt für Schritt, und sie geschehen auch heute noch. Innerhalb dieser langfristigen Entwicklung gab es einen besonders großen einzelnen Schritt: die Neuherausgabe des Messbuchs 1969 zuerst in lateinischer Sprache, anschließend in den verschiedenen Landessprachen. Dies geschah auf Grundlage der durch das Konzil begründeten und inhaltlich skizzierten Liturgiereform. Die Zulassung der Landessprachen darf zweifellos als einer der bahnbrechendsten Konzilsbeschlüsse gelten.

      Viele katholische Gemeinden pflegen aber auch heute noch die Mentalität eines Publikums, das den Spezialisten – zum Teil hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche, zum Teil Ehrenamtliche – beim Ritual „zuschaut“ und die einzelnen Mitmach-Elemente mit mehr oder weniger aktiver Beteiligung über sich ergehen lässt.

      Diese Einstellung wird allerdings der Liturgie nicht gerecht. Grundmodell der Liturgie ist nicht das Gegenüber von Bühne und Zuschauerraum, sondern die Versammlung der Kirche, oder besser: die Versammlung als Kirche, oder noch besser: die Kirche als Versammlung.

      Dabei handelt es sich nun nicht etwa um eine neumodische Idee des 20. Jahrhunderts, sondern um etwas, das sich in der frühen Selbstfindung des Christentums genauso festmachen lässt wie in den liturgischen Büchern, und zwar durchaus auch den liturgischen Büchern vor dem Konzil. Das Konzil wollte Liturgie nicht neu definieren, sondern die Bedeutung der Liturgie, die im Prinzip für alle Zeiten gilt und gegolten hat, die aber nicht allen Beteiligten im Bewusstsein war, deutlich herausstellen und daraus Konsequenzen für die Praxis ziehen, konkret für die Neuherausgabe liturgischer Bücher.

      Zu den wichtigsten Aufträgen Jesu gehörte es, Menschen zu (ver-) sammeln (Lk 11,23; Joh 11,52 – an beiden Stellen steht im Neuen Testament dasselbe griechische Wort, das auch den jüdischen Versammlungsraum Synagoge bezeichnet). Paulus spricht von der Versammlung der Gemeinde (was auch mit Versammlung als Kirche übersetzt werden kann, siehe 1 Kor 11,18 und 14,23). Das Versammeltsein und dabei Einssein der Kirche ist eine Vorausschau auf eine vereinte Menschheit, die von Frieden erfüllt ist und in der der Tod keine Macht mehr hat (Joh 17). Diese endgültige Einheit und dieser endgültige Friede sind kein Menschenwerk, sondern können nur von Gott kommen. Insofern bleibt die Kirche als Versammlung derer, die zu Jesus Christus gehören und mit ihm und unter seiner Führung eins sind, immer vorläufig und unerfüllt.

      Die Versammlung der Kirche weist in doppelter Weise über sich selbst hinaus. Sie verweist zurück in eine Vorzeit, in der ihr Ursprung liegt: Ohne Jesus – und Jesus wiederum eingebettet in die Geschichte Israels – und die Geschichte der ersten Christengenerationen würde es die heutige Versammlung der Kirche gar nicht geben. Außerdem verweist die Versammlung auf die Zukunft, denn die Einheit der Menschheit in Frieden, die sich in der Kirche anfanghaft ausdrücken soll, ist hier und jetzt und aus menschlicher Kraft gar nicht in ganzer Fülle möglich. Ihre Erfüllung kann es nur in der Zukunft geben, und sie wird kein Menschenwerk sein, sondern ein Geschenk.

       Liturgische Versammlung und himmlisches Jerusalem

      Wenn sich die Kirche als Versammlung bildet, dann folgt sie dem Auftrag, den sie von Jesus erhalten hat, und sie beruft sich auf seine Zusage (Mt 18,20). Damit steht die Versammlung zugleich als Repräsentantin der gesamten Menschheit vor Gott. Denn Christsein bedeutet, Hoffnung auf Leben und Frieden für alle zu haben, auch jene, die nichts von Gott wissen oder nichts von ihm wissen wollen (Joh 17,18).

      Die Versammlung der Kirche ist somit zugleich eine visionäre Vorausschau. Sie bringt hier und jetzt zum Ausdruck, was es hier und jetzt noch nicht gibt, nämlich Einheit und Frieden. Die Versammlung macht ihre eigene Hoffnung hier und jetzt erfahrbar, obwohl die Erfüllung dieser Hoffnung noch aussteht.

      Aus diesem Grund muss sich die Versammlung der Kirche symbolischer Ausdrucksweisen bedienen. Denn nur im symbolischen Handeln kann Unsichtbares sichtbar und erfahrbar gemacht werden, wie etwa Einheit aller in Frieden, ohne Grenzen von Raum und Zeit oder von Schuld und Tod.

      Das Konzil schreibt: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem, zu der wir als Pilger streben, gefeiert wird“ (SC 8). Jerusalem ist schon im Alten Testament Ausdruck für die gemeinsame Heimat aller Menschen (Ps 95) und wird im Neuen Testament in einer symbolisch aufgeladenen Erzählung zum Bild der Zukunftshoffnung (Offb 21–22,5). Kein Zufall also, wenn manche christlichen Kirchengebäude als himmlisches Jerusalem künstlerisch ausgestaltet sind.

      Liturgie ist Manifestation der Kirche (SC 41) in ihrer Ausrichtung auf das Vergangene – ihren geschichtlichen Ursprung – und das Zukünftige – ihr Ziel in der Erfüllung aller menschlichen Hoffnung.

       Ekklesia als Versammlung

      Das griechische Wort, das sich im frühen Christentum zur Selbstbeschreibung ausbildete, war ekklesia, meist als Kirche, manchmal als Gemeinde oder Versammlung übersetzt. Der Wortherkunft nach bedeutet ekklesia so etwas wie „die Herausgerufenen“. Dieser Begriff stammt nicht aus der antiken Religionssprache, sondern aus dem Feld der Politik. Er bezeichnete beispielsweise eine städtische Bürgerversammlung. Auch für die wichtigsten Ämter der christlichen Gemeinden wurden Begriffe übernommen, die weniger in die antiken Religionen als mehr in das private Vereinswesen gehörten, wobei zugegebenermaßen die Grenzen fließender waren als in der uns heute vertrauten Trennung von Staat und Religion. Das Wort episkopos (Bischof, Kapitel 8), wörtlich Aufseher, bezeichnete Leitungsämter unterschiedlicher Art wie etwa den Stifter oder Finanzier eines Vereins. Presbyter (Kapitel 8) waren Mitglieder kollektiver Leitungsorgane von Gemeinschaften, die man vielleicht als Ältestenrat, Vorstand oder Senat in unsere Welt übertragen könnte. Ein diakonos (Diakon, Kapitel 10) übernahm Hilfsdienste unterschiedlicher Art, etwa in der Organisation von Versammlungen. Heute würde dem vielleicht eine Mischung aus Sekretär, Pförtner, Eventmanager und Kellner entsprechen.

      Das Christentum wollte sich vermutlich durch solche Ämterbezeichnungen von anderen Religionen abgrenzen und den Gemeinschaftscharakter der Kirche herausstellen: Christen sind die, die sich zu einer ekklesia versammeln. Die wichtigste dieser Versammlungen ist die Eucharistiefeier, in manchen alten christlichen Sprachen wurde das Wort Versammlung dann auch zum Namen der Eucharistiefeier.

       Liturgische Rollen im Verhältnis zur Versammlung

      Wenn dieses


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