Wer macht was im Gottesdienst?. Liborius Olaf Lumma

Wer macht was im Gottesdienst? - Liborius Olaf Lumma


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soll, dann steht folgende Leitfrage im Hintergrund: In welchem Verhältnis steht die einzelne Rolle zur Versammlung der Kirche? Jede Rolle ist Dienst an der Versammlung, damit die Versammlung sich als das erfährt, was sie sein soll. Eine christliche Gemeinde versammelt sich nicht wegen ihres Bischofs (Kapitel 8) oder wegen der Leiterin der Wort-Gottes-Feier (Kapitel 9), sondern umgekehrt: Bischof und Wort-Gottes-Feier-Leiterin üben ihre liturgische Rolle wegen der Versammlung der Kirche und für die Versammlung der Kirche aus. Liturgische Rollen sind niemals Selbstzweck.

      Liturgische Rollen sind auch keine privilegierte Beziehung zu Gott oder zu Jesus Christus. In Bezug auf Gott und auf Christus sind alle Angehörigen der Kirche gleich. Wo es Unterschiede in der öffentlich ausgeübten Rolle gibt, ergeben sie sich aus ihrem Bezug zur Versammlung.

      Man könnte es auch so sagen: Aus einer Versammlung, in der alle gleich sind – nämlich von Gott in die Kirche berufen –, treten einzelne Personen heraus, um dann für die Versammlung zu handeln, und zwar im Doppelsinn des für: einerseits im Dienst der Versammlung, andererseits stellvertretend für die Versammlung, je nachdem, um welche Handlung es sich im Einzelnen handelt (wie im Folgenden noch zu sehen sein wird).

      Trotz der großen Bemühungen durch das Konzil ist dieses Liturgie- und Rollenverständnis noch immer nicht bei allen Beteiligten angekommen: von den Hauptamtlichen bis zu denen, die nur gelegentlich zur Versammlung dazustoßen.

       Architektonische Rahmenbedingungen

      Einen großen Beitrag zu diesem Defizit leistet die Architektur, die über viele Jahrhunderte ein anderes Verständnis der Versammlung in Szene setzte, nämlich das schon beschriebene Gegenüber von liturgisch Handelnden und fromm Anwesenden, oder anders gesagt: Bühne und Zuschauerraum. Alte Kirchenräume verdienen es, mit ihrer Geschichte, ihrem kunsthistorischen Wert, der Augen- und Linienführung im Raum usw. ernst genommen zu werden. Sie sind aber oft ungeeignet, um Versammlung erleben und erfahren zu können.

      Es wurde und wird seit einigen Jahrzehnten viel ausprobiert und wieder verworfen, umgebaut, neugebaut und wieder rückgebaut, so dass ich für dieses Buch nicht von einer typischen Gestaltung eines katholischen Liturgieraums nach dem Konzil ausgehen kann. Bei Kirchenräumen der byzantinischen Tradition – um noch einmal kurz einen Abstecher ins östliche Christentum zu machen – ist das völlig anders. Sie folgen immer derselben Raumaufteilung, ganz gleich ob man in einem winzigen Provisorium oder einer riesigen Kathedrale Liturgie feiert.

      Ich werde es daher in diesem Buch immer bei Hinweisen allgemeiner Art belassen müssen. Die Konkretisierung kann nur in jedem Gottesdienstraum einzeln vorgenommen werden. Ich habe aber mittlerweile einen Favoriten unter den Raumkonzepten, nämlich das Modell des Chorgestühls, bei dem sich die Versammlung in Gruppen aufteilt, die einander gegenüberstehen und anschauen. Das muss kein starres Gegenüber von zwei Seiten sein, es kann sich auch in Richtung eines Halboder Dreiviertelkreises oder -ovals erweitern. Die Erfahrung einer aus konkreten Menschen bestehenden Gemeinschaft ist im Chorgestühl unmittelbar gegeben, wenn man sein Gegenüber ansieht und selber angesehen wird. Sowohl in der Mitte als auch an der Stirnwand des Raumes befinden sich Stellen, die von überall gut zu sehen sind. So kann man sowohl ein symbolisches Zentrum erfahren als auch sich gemeinsam symbolisch nach außen öffnen – auf das dazu passende lateinische Schlagwort extra nos werde ich in Kapitel 3 noch in anderem Zusammenhang eingehen.

       Das Wir und das Amen

      Der Versammlungscharakter der Kirche wird in einem sprachlichen Detail deutlich, das von allerhöchster Bedeutung ist. An Gott gerichtete Gebete – in der Eucharistiefeier sind dies das Tagesgebet, das Gabengebet, das Eucharistische Hochgebet und das Schlussgebet – sind in der katholischen Liturgie immer in der Wir-Form formuliert, niemals in der Ich-Form. Das ist umso bemerkenswerter, als diese Gebete nur von einer einzelnen Person laut hörbar vorgetragen werden, nämlich dem Liturgievorsteher (Kapitel 9).

      Warum darf jemand wir sagen, obwohl die anderen dabei schweigen?

      Die Antwort gehört zum Wichtigsten, das es zu christlicher Liturgie zu sagen gibt. Zunächst einmal ist offensichtlich: Niemand darf ohne das Einverständnis der anderen wir sagen. Das gilt im Prinzip immer und überall. Wer ohne die Erlaubnis der anderen wir sagt, handelt übergriffig und unrechtmäßig. So ist es auch in der Liturgie. Wer sich öffentlich an Gott wendet und wir sagt, macht sich davon abhängig, dass die anderen das Gesagte bestätigen, und das können sie natürlich nur im Nachhinein. Man spricht hier von der Ratifikation eines Gebetes, etwa so, wie wenn eine Regierung einen Vertrag mit einem anderen Land aushandelt und anschließend vom eigenen Parlament die Ratifikation (Gültigmachung) des Vertrags erbitten muss. Lehnt das Parlament ab, so ist der Vertrag nicht zustande gekommen, auch wenn er noch so feierlich vor Fernsehkameras unterzeichnet worden ist.

      Es ist so ähnlich wie bei der Vorsitzenden, die von der Entlastung durch die Vereinsmitglieder abhängig ist (siehe Kapitel 1): Wer ein Wir-Gebet vorträgt, drückt gegenüber Gott eine Gemeinschaft aus, in deren Hände er sein Schicksal legt. Die Gemeinschaft muss das wir erst noch bestätigen, ansonsten ist es nicht zustande gekommen. Die Ratifikation geschieht in der Liturgie tatsächlich: Die Versammlung sagt Amen – das kommt aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen, ist in der christlichen Liturgie nie übersetzt worden und bedeutet nichts anderes als So sei es, Jawohl oder Zustimmung.

      Zugegeben: Durch seine häufige Verwendung wurde das Amen in der christlichen Liturgie erheblich stilisiert. Es wurde zu einer boshaften Redewendung, mit der man ausdrückt, dass man auf Mitsprache verzichtet: „zu allem ja und Amen sagen“. Es wird auch heute kaum jemandem auffallen, wenn jemand in der Liturgie das Amen verweigert und stattdessen den Kopf schüttelt oder sich aus der Versammlung schleicht. Das Amen hat dasselbe Schicksal erfahren wie die Entlastung des Vorstands in den meisten Jahreshauptversammlungen: Der Bericht des Vorstands wird einfach durchgewunken, die meisten Mitglieder lesen den Bericht überhaupt nicht, interessieren sich nicht für die finanziellen Details (oder verstehen sie gar nicht erst) und wollen eigentlich nur, dass die Sitzung schnell vorbeigeht und das Buffet eröffnet wird. Aber auch dort gilt: Die Vereinsmitglieder tragen trotzdem die Verantwortung für ihre Abstimmung, und das kann erhebliche rechtliche Folgen haben.

      Eine christliche Versammlung, die sich über die Bedeutung ihres Amen im Klaren ist, hat schon das Allerwichtigste ihrer liturgischen Rolle verstanden: Sie bildet, sie trägt und sie bestätigt das wir, das in der Liturgie zu Gott spricht. Im Amen zeigt sich die Mitgliedschaft zur Kirche und die Zustimmung zur gemeinsamen Ausrichtung auf Gott. Darin sind alle gleich. In dieser Rolle ist die Versammlung durch nichts und niemanden zu ersetzen, vor allem nicht durch den Vorsteher allein.

      Insofern ist es ein sehr sinnvolles Projekt der gegenwärtigen Kirchenmusik, attraktive Melodien für den Ruf Amen zu erarbeiten und ihnen zu breiter Bekanntheit zu verhelfen. Mancherorts gelingt das schon ganz gut. So soll die Würde und Bedeutung des Amen besser zum Ausdruck gebracht werden als durch das belanglose Gemurmel, das man in katholischen Kirchen meistens hört. Wo ein Amen in einer solchen Weise erklingt und von der Versammlung so mitgetragen wird, dass es gar keiner theoretischen Erklärung mehr bedarf, sondern Gemeinschaft stiftet und die ganze Versammlung auf Gott ausrichtet, ist die wichtigste Grundlage für jede Liturgie gegeben, auf der alles andere aufbaut.

       Gemeinsam vorgetragene Wir-Texte

      Nun drängt


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