Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer
2. Wirtschaftsverfassung als Freiheitsverfassung für einen homo oeconomicus mit sozialen Bindungen
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Das Bild des homo oeconomicus wird auf diese Weise zur Grundlage einer liberalen Staatsvision. Die Grundausrichtung der verfassungsmäßigen Ordnung reintegriert dieses Bild jedoch in umfassendere gesellschaftliche Zusammenhänge[679]: Zunächst korrigiert sie die Beschränkung der Rationalitätsannahme und der Eigennutzprämisse auf ökonomische Zusammenhänge. Der Einzelne wird damit zu einer Person mit weitergehenden sozialen und kulturellen Bindungen. Darüber hinaus gibt die Verfassung die grundlegende Wertordnung vor, die Rationalität und Eigennutz des Einzelnen begrenzen[680]. Beispiele dafür sind soziale oder ökologische Verpflichtungen des Einzelnen. Wirtschaftswissenschaftlicher Maßstab der Leistungsfähigkeit einer Gesamtordnung ist das in einer Wirtschaftsordnung mögliche Maß an Produktivität. Die Gesamtordnung hat sich danach an dem Ziel zu orientieren, ein möglichst ergiebiges Verhältnis zwischen dem Einsatz an produktiven Faktoren und dem dadurch erzielten Produktionsergebnis zu erzielen[681]. Mit ihren Vorgaben für das einfache Recht determiniert die Verfassung die rechtlichen Beschränkungen individueller Freiheiten. Ökonomisch betrachtet sollen diese Beschränkungen möglichst vielfältige Tauschmöglichkeiten und damit eine prosperierende wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen[682]. Die politischen Institutionen selbst werden von dieser Maxime dagegen weitgehend ausgenommen[683].
3. Zulässigkeit der Organisation von individuellem Verhalten in Unternehmen bei weitgehender Indifferenz gegenüber konkreten Einzelausgestaltungen
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Die Möglichkeit, individuelles Handeln in der Form von Unternehmen zu gestalten, wird von der Wirtschaftsverfassung grundsätzlich anerkannt. Das Unternehmen an sich wird institutionell und als offenes und dynamisches Sozialsystem behandelt. Konkrete Einzelvorgaben werden aber nicht normiert. So bleibt etwa die Frage, inwieweit Belange der Stakeholder in der Unternehmensverfassung zu berücksichtigen sind, auf einer ersten Stufe der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und auf einer zweiten Stufe der Umsetzungskompetenz der Unternehmensführung vorbehalten[684]. Eine prinzipielle Vorrangstellung der Shareholder gegenüber den anderen Bezugsgruppen eines Unternehmens folgt lediglich indirekt aus der Verpflichtung der Exekutive und der Legislative auf eine sozial korrigierte Marktwirtschaft[685]. Die Interessen der Fremdkapitalgeber stehen grundsätzlich im selben Maß unter dem Schutz des Eigentums wie diejenigen der rechtlichen Eigentümer einer Unternehmung. Die Vorgaben sind insgesamt weit genug, um das je nach Betätigungsfeld der Unternehmung erforderliche Maß an Eigenkomplexität und Offenheit der Unternehmung sowie die notwendigen Handlungsspielräume der in der Unternehmung tätigen Einzelnen zu gewährleisten.
4. Folgen für das Wirtschaftsstrafrecht
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Die grundlegende Folge dieser individualistischen Orientierung der Wirtschaftsverfassung für das Wirtschaftsstrafrecht liegt in seiner nun nicht mehr aus methodisch-analytischen, sondern aus verfassungsrechtlich-normativen Gründen gebotenen individualistischen Orientierung.
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Orientierungspunkte eines solchen Wirtschaftsstrafrechts sind der Schutz des individuellen Eigentums[686], der individuellen Erwerbsfähigkeit[687] und der individuellen allgemeinen Handlungsfreiheit[688] sowie einer elementaren sozialen Risikoordnung[689]. Im Verkehr des Einzelnen mit anderen Wirtschaftsteilnehmern müssen Strafnormen als soziale Handlungsdeterminanten so eingesetzt werden, dass die vorgenannten Individualfreiheiten gerade auch in diesem Verkehr gesichert und soweit möglich erweitert werden.
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Die Notwendigkeit eines Schutzes sozialer Institutionen als solcher konnte dagegen nicht ausgemacht werden. Insbesondere geht es auch dort, wo der Staat in erster Linie verteilend in die allgemeine Marktordnung eingreift, darum, eine möglichst sichere und kostenneutrale Übertragung von Verfügungsrechten zu gewährleisten[690]. Bereits an dieser Stelle wird also deutlich, dass das Steuerstrafrecht und das Strafrecht gegen den Missbrauch staatlicher Leistungen nicht mehr als eine Sonderform des Vermögensstrafrechts sein kann[691].
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