Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer

Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts - Marco Mansdörfer


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unmöglich ist, etwa eine Zentralverwaltungswirtschaft einzuführen[575].

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      Noch wenig geklärt ist aber, in welchem Umfang sich aus diesem Verständnis der Gemeinschaftsverträge Kompetenzen und Rechte der Einzelnen ergeben. Bis zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden derartige Überlegungen kategorisch abgelehnt[576]. Mit der Grundrechtscharta der Europäischen Union wurden dann erstmals die Rechte des Einzelnen urkundlich betont[577]. Dogmatisch wurden in der Rechtsprechung spätestens im Jahr 2003 Tendenzen deutlich, Individualgrundrechte zunehmend als Schranken-Schranken wirtschaftlich determinierten Gemeinschafts- und Unionsrechts zu verstehen und beide Sachmaterien als gleichgewichtige Begründungsansätze des Rechts zu einer praktischen Konkordanz zu führen[578].

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      Für das Wirtschaftsstrafrecht führen diese supranationalen Vorgaben jedenfalls zu keinen grundlegenden konzeptionellen Änderungen. Da nationales und supranationales Grundsystem in weiten Teilen identisch sind, beschränken sich die Einwirkungen auf Einzelfälle. Das führt insbesondere zu erweiterten individuellen Handlungsspielräumen bei einer grenzüberschreitenden Freiheitsausübung, da im Rahmen der Europäischen Union dem Ziel der Marktintegration eine überragende Bedeutung zukommt und die Gemeinschaftsorgane bei der Verwirklichung dieser Ziele ein weit gespanntes, nicht aber uneingeschränktes Ermessen haben. Diese Integration darf indessen nicht beliebig zu Lasten eines hinreichenden Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutzes verfolgt werden[579], sodass die Union gehalten ist, bei der Verfolgung der Ziele jenen Ausgleich sicherzustellen, den Widersprüche zwischen den verschiedenen Zielen erforderlich machen können[580]. Insgesamt kann dieser Aspekt damit bei der hier unternommenen funktionalen Analyse des Wirtschaftsstrafrechts außer Betracht bleiben.

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      Eine ähnlich geringe Bedeutung für die nachstehenden Überlegungen hat die Integration der Bundesrepublik in eine sich immer stärker verflechtende Weltwirtschaft. Auch weltweit setzt sich die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung durch, sodass inzwischen mehr als neunzig Volkswirtschaften wettbewerbsrechtlich geordnet sind[581]. Dieser Erfolg und die Notwendigkeit, im globalen Handel hoheitliche Kompetenzen zunehmend auf supranationale und völkerrechtlich fundierte Einrichtungen zu übertragen[582], haben zwar mittelbar auch zu einem steigenden Einfluss wirtschaftsvölkerrechtlicher Vorgaben geführt[583]; für das Strafrecht sind diese bislang allerdings nur von randständiger Bedeutung.

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      Das Wirtschaftsvölkerrecht enthält heute im Wesentlichen Vereinbarungen über den Handel mit Waren oder Dienstleistungen sowie den Schutz von geistigem Eigentum[584]. Darüber hinaus bestehen zaghafte Ansätze zu einem internationalen Wettbewerbsrecht[585]. Auch hier werden aber durch das Prinzip der Nichtdiskriminierung und das Prinzip der offenen Märkte zumindest im Ansatz die Grundbedingungen für einen fairen Wettbewerb gewährleistet. Dazu wurde institutionell zum 1. Januar 1995 mit der Welthandelsorganisation (WTO) eine universelle internationale Organisation des Welthandels gegründet[586]. Eine der wichtigsten Aufgaben der WTO besteht darin, die gegenläufigen Ziele von freiem Handel einerseits und Umwelt- sowie Gesundheitsschutz andererseits zu einem praktischen Ausgleich zu bringen[587]. Nach Art. XVI Abs. 4 WTO muss jeder Mitgliedstaat außerdem sicherstellen, dass seine Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsverfahren mit den WTO-Vorgaben in Einklang stehen[588].

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      Konkrete Konfliktfelder zwischen dem Welthandelsrecht und dem europäisierten nationalen Wirtschaftsrecht sind etwa, das Verhältnis des auf nationaler und europäischer Ebene gewährleisteten Gesundheitsschutzes zu den Marktfreiheiten und das verbindliche Maß an Verbraucherschutz[589]. Das Welthandelsrecht ist mittlerweile so ausgestaltet, dass die letzte Definitionsmacht bei der WTO selbst sowie den ihr verbundenen internationalen Standardisierungsorganisationen liegt. Diese Kompetenz erweist sich wegen der mangelhaften Bindung dieser Institutionen an Grund- und Menschenrechte zwar als problematisch; rechtspraktisch führt die mangelnde Bindung aber nicht dazu, dass diese Rechte überhaupt nicht berücksichtigt werden können. Möglich bleibt sowohl eine menschenrechtskonforme Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe als auch auf politischer Ebene die Fortentwicklung des Völkervertragsrechts.

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      Für das Strafrecht kann dies freilich dazu führen, dass insbesondere etwa bei Gesundheitsschutz größere Gefahren rechtlich toleriert werden müssen als bei rein nationalen Sachverhalten. Folgen kann dies aber auch für konkrete Verhaltensnormprogramme etwa im Bereich der Produktsicherheit haben, sodass bestimmte Produkte etwa nicht zurückgerufen werden müssen und trotz bestehender Gefahren vertrieben werden dürfen. Mit dem zunehmenden Abbau staatlicher Handelshemmnisse zeigt sich außerdem das auf regionaler Ebene bereits aus der Ausarbeitung des Vertrags zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bekannte Problem, dass Wettbewerbsbeschränkungen zunehmend durch private Marktteilnehmer aufgebaut werden. Theoretisch werden damit Fälle der Nötigung denkbar, die so früher nicht möglich gewesen waren, von der rechtstheoretischen Seite dagegen keine prinzipiell neuen Überlegungen erfordern.

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      In erster Linie sicherheitspolitischen Zwecken dienen dagegen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats, die zu Embargos gegenüber Staaten oder seit 1999 auch zu gezielten Handelsverboten gegenüber Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen führen (sog. smart sanctions bzw. targeted sanctions)[590]. Praktisch bedeutsam wurden in letzter Zeit entsprechende Maßnahmen gegen den Irak, Afghanistan, die Taliban und Listen mit Personen, die im Verdacht stehen, internationale Terroristen zu unterstützen[591]. Die aus solchen Verboten resultierenden Handelsbeschränkungen für Dritte mit diesen Staaten bzw. Personen sind nur eine zwangsläufige Nebenfolge der Verbote, aber kein Welthandelsrecht im engeren Sinn, sondern Maßnahmen im Rahmen einer kontrollierten Außenwirtschaft.

      Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D › II. Korrespondierende Aufgabenbereiche und Ziele der Staatstätigkeit

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      Bereits aus der Beschreibung der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben für individuelles ökonomisches Verhalten wurde deutlich, dass dem Staat zunehmend eine Globalverantwortung für den Bestand und die Entwicklung der Gesellschaft in ökonomischer, sozialer und kultureller Sicht zugeschrieben wird[592]. Diese Entwicklung hat selbstverständlich Rückwirkungen auf das Aufgabenverständnis seitens der Hoheitsgewalt und ihre Aufgabenerfüllung[593]. Welches die wesentlichen Bereiche legitimer Staatstätigkeit in einer sozial korrigierten Marktwirtschaft sind, lässt sich anhand von drei von der Volkswirtschaftslehre herausgearbeiteten Grundfragen zeigen:

1. Was soll produziert werden?
2. Wie soll produziert werden?
3. Wie soll das Produktionsergebnis verteilt werden?

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      Mit der Antwort auf die Frage, was produziert werden soll, wird die Art und der Umfang der Güter festgelegt, die zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen in einer Volkswirtschaft dienen sollen[594]. Da die Bedürfnisse im Verhältnis zu den Möglichkeiten ihrer Befriedigung theoretisch wie praktisch unbegrenzt sind, muss zunächst eine Prioritätenliste erstellt werden. Die Wirtschaftsverfassung verhält sich in Bezug auf die Ausgestaltung dieser Prioritätenliste – solange diese Güter keine übermäßigen Gefahren in sich bergen – neutral. Aussagen, ob vorwiegend Sachgüter oder Dienstleistungen, Konsumgüter oder Produktionsgüter, Verbrauchs-


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