Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer
Die Art der produzierten Güter und deren ökonomischer Verwendungszweck werden in wesentlichen Teilen der Selbststeuerung der Gesellschaft überlassen. Nur vereinzelt bestehen Vorgaben, die sich rechtlich aus Staatszielbestimmungen oder Grundrechten der Einzelnen und faktisch aus dem Entwicklungsstand der Volkswirtschaft ergeben. Für Strafrecht bleibt in diesem Bereich naturgemäß kaum Raum. Soweit dieses Feld der gesellschaftlichen Selbststeuerung überlassen bleibt, kann Strafrecht nur zur Gewährleistung der Grundbedingungen dieser Selbststeuerung eingesetzt werden. Strafnormen zum Schutz von Produktionszielen sind nicht, solche zum Schutz bestimmter Güterarten sind nur ausnahmsweise vorstellbar[595].
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In Bezug auf die für eine Volkswirtschaft wesentlichen Güterarten lassen sich vor allem zwei Aufgaben legitimer Staatstätigkeit ausweisen: Erstens muss die Hoheitsgewalt bestimmen, ob und inwieweit Güter zu den freien bzw. zu den knappen Gütern gehören. Freie Güter sind solche, die als unbegrenzt verfügbar gelten und daher keinen Preis haben. Knappe Güter stehen dagegen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung, müssen teilweise erst hergestellt werden und haben daher einen Preis. Naturgüter können durch hoheitliche Maßnahmen in knappe Güter verwandelt werden, indem für ihre Bereitstellung bzw. Inanspruchnahme – wie zum Beispiel für Wasser oder den Durchgang durch ein Tal – Kosten auferlegt werden. Eine Tendenz zur Verknappung natürlicher Güter folgt namentlich aus der Staatszielbestimmung des Umweltschutzes in Art. 20a GG und aus fiskalischen Interessen der hoheitlichen Hand. Zweitens muss festgelegt werden, welche Güter als Individualgüter und welche als Kollektivgüter anerkannt werden. Individualgüter, oft auch private Güter genannt, dienen ausschließlich zur Befriedigung der Bedürfnisse eines Einzelnen. Andere Personen sollen davon ausgeschlossen sein. Dieses Ausschlussprinzip gilt bei Kollektivgütern, zum Teil spricht man hier von öffentlichen Gütern, nicht. So kann etwa das Bedürfnis nach äußerer Sicherheit, nach einer öffentlichen Infrastruktur oder nach Märkten zwar von einer Einzelperson artikuliert, aber nur zusammen mit anderen Personen befriedigt werden[596]. Handlungsaufträge zur Gewährleistung öffentlicher Güter folgen vor allem aus dem Sozialstaatsprinzip, aus der Teilhabefunktion der Grundrechte, aber auch aus der Festlegung auf eine soziale Marktwirtschaft insgesamt. Der Hoheitsgewalt obliegen insoweit Vorsorgepflichten in Bezug auf Sachgüter und Dienstleistungen, die wegen einer fehlenden Gewinnaussicht nicht von privaten Wirtschaftssubjekten über den Markt bereitgestellt werden[597]. In der Sache sind solche öffentlichen Güter etwa Sicherheit, Bildung, Kultur oder Information. Hauptaufgabe strafrechtlicher Normen ist hier die Sicherung öffentlicher Güter und knapper Individualgüter sowie die Verknappung freier Güter entsprechend der hoheitlichen Planung durch die Sanktionierung eines übermäßigen Verbrauchs. Beispiele sind Strafnormen zum Schutz der Umwelt, der strafrechtliche Eigentumsschutz oder Tatbestände wie der Subventionsbetrug oder die Korruptionsdelikte, wenn dadurch die Bereitstellung öffentlicher Güter gesichert werden soll.
2. Grobsteuerung der Produktionsweise
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Muss der Staat im Hinblick auf die konkreten Produktionsziele und Güter nur in geringem Umfang tätig werden, so ist er bei der Grobsteuerung der Produktionsweise weit stärker gefordert. Der Staat hat hier in großem Umfang seine Hoheitsgewalt legitimierende Kernaufgaben wahrzunehmen und auch das Strafrecht einzusetzen[598].
a) Grundsatz: Schaffung eines elementaren Ordnungsrahmens bezüglich der Produktionsprozesse und ihrer Ausgestaltung
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Produktion bedeutet im ökonomischen Sinn, Sachgüter und Dienstleistungen (sog. Produktionsfaktoren) im Rahmen eines technischen Prozesses (sog. Produktionsprozess) so einzusetzen, dass entweder vorhandene Güter verändert oder neue Güter hergestellt werden[599]. Anders ausgedrückt ist die Produktion die Summe aller Maßnahmen und Handlungen mit dem Ziel der Erzeugung oder Veränderung bestehender Güter. Indem die Hoheitsgewalt die Rahmenbedingungen festlegt, unter denen produziert werden soll, bestimmt sie, auf welche Weise Produktionsfaktoren eingesetzt werden können, welche Produktionsprozesse als grundsätzlich zulässig erachtet werden und wie diese Produktionsprozesse ausgestaltet werden müssen.
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Dem Staat[600] kommt eine Funktion allerdings erst insoweit zu, als diese Bedingungen in der Wirklichkeit nicht bestehen und erst geschaffen werden müssen oder die beschriebenen Marktmechanismen bedroht sind und daher geschützt werden müssen. Der Staat muss kurz gesagt den ordnungspolitischen Rahmen setzen, damit die Gemeinwirtschaft funktionieren kann. Zu den konstituierenden Basiselementen einer durch die Wirtschaftsverfassung vorgegebenen sozial korrigierten Gemeinwirtschaft gehören neben den Produktionsfaktoren, Verfügungsrechte der Einzelnen entsprechend den Grundsätzen des Privateigentums, die privatautonome Übertragbarkeit dieser Rechte und ein Haftungsrahmen zur Lösung von Fällen nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllter Verpflichtungen[601] . Das Strafrecht sichert diese allgemeine Handlungsordnung generell ab. Es stabilisiert dabei aber keine spezifische wirtschaftsstrafrechtliche Ordnung, sondern eine allgemeine Ordnung, in die sich auch das Subsystem Wirtschaft zu integrieren hat[602].
b) Arbeit als grundlegend regelungsbedürftiger Faktor – Verpflichtung zur Schaffung eines elementaren Ordnungsrahmens und der Möglichkeit zur Spezialisierung und Flexibilisierung
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Der grundlegendste Faktor, für den der Staat einen ordnungspolitischen Rahmen setzen muss, ist der Faktor Arbeit. Volkswirtschaftlich ist damit die Summe aller ökonomischen Leistungen der Menschen einer Volkswirtschaft unterschieden nach Menge und Qualität, die in einer bestimmten Zeiteinheit erbracht werden, gemeint[603]. Die Aufgabe des Staates besteht vornehmlich darin, die Bedingungen näher auszugestalten, unter denen die Arbeit im Wirtschaftsprozess eingesetzt werden kann und diesen Einsatz entsprechend der grund- und menschenrechtlichen Determinanten zu beschränken. Außerdem müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Arbeit in einer dem Markt und den Marktteilnehmern entsprechenden Weise angeboten werden kann, etwa Spezialisierungen und Flexibilisierungen möglich sind. Der Staat muss daher auch strafrechtliche Maßnahmen treffen, dass der Faktor Arbeit nicht missbraucht werden kann. Dazu gehört die Sanktionierung wesentlicher Vorschriften des Arbeitsschutzrechts ebenso wie die Sanktionierung der Ausbeutung der Arbeitskraft[604]. Insbesondere strafrechtliche Zurechnungsstrukturen sind außerdem so zu formulieren, dass sie gerade die Rahmenbedingungen für im Bereich komplexer Ökonomien unbedingt erforderliches, spezialisiertes Handeln unterstützen[605].
c) Gewährleistung von Eigentum in Form von Verfügungsrechten – Verpflichtung zur Garantie der individuellen Verfügungsmacht
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Als notwendige Ergänzung des Faktors Arbeit in einer Marktwirtschaft muss der Staat eine spezielle Form von Eigentum gewährleisten: Verfügungsrechte, die individuell zugewiesen werden können. Aus der Ergänzungsfunktion des Eigentums als Grundlage des Wirtschaftsprozesses folgt, dass der Inhalt des Eigentums bzw. der zu schaffenden Verfügungsrechte[606] durch originär ökonomische Grundsätze vorgeformt ist, die sich damit auch wesentlich auf zentrale strafrechtliche Probleme auswirken.
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Der notwendige Inhalt dieser Form von Eigentum lässt sich wiederum gut mithilfe der Institutionenökonomik entwickeln. Um dies zu veranschaulichen, soll – ehe auf die moderne Lehre von den Verfügungsrechten eingegangen wird – zunächst die klassische Nationalökonomie mit der von ihr ausgelösten Kritik dargestellt werden.
aa) Exkurs: Die Auffassung der klassischen Nationalökonomie und ihre Kritik
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Die klassische Nationalökonomie stand auf dem Boden des Naturrechts und nahm ihren Ausgangspunkt beim isolierten Siedler, der mittels seiner Arbeitskraft Werte schafft[607]. In sich folgerichtig wurde die Existenz von Institutionen fast vollständig ignoriert, weil Institutionen angeblich keine Auswirkungen auf die Güterverteilung