Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

Staatsrecht III - Hans-Georg Dederer


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BVerfG hat schon früh die „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG herausgestellt (BVerfGE 6, S. 309 ff, 362 f). Dieser Grundsatz ist nirgendwo im GG explizit normiert, sondern lässt sich dem GG nur aus einer Gesamtschau mit Blick auf Satz 1 der Präambel sowie Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 und Art. 24 bis Art. 26 GG entnehmen.

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      Aus dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit hat das BVerfG durchaus weitreichende Folgerungen gezogen. Zunächst gilt das Gebot völkerrechtskonformer Auslegung und Anwendung des einfachen (Gesetzes-)Rechts. Hintergrund hierfür ist eine auf der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG beruhende Vermutung. Das BVerfG hat diese Vermutung folgendermaßen formuliert (BVerfGE 74, S. 358 ff, 370):

      „(E)s ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.“

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      Sind auslegungsmethodisch mehrere Interpretationen eines Gesetzes möglich, dann ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, welche dieser Vermutung Rechnung trägt, also den Einklang des Gesetzes und seiner Anwendung mit dem Völkerrecht und den daraus für die Bundesrepublik folgenden Verpflichtungen wahrt. In diesem Sinne handelt es sich beim Gebot völkerrechtskonformer Auslegung um eine „Konfliktvermeidungsregel“ (Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 24, Rz 3).

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      Das Gebot völkerrechtskonformer Auslegung gilt sinngemäß für die Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen. Wie Auslegungsspielräume sind auch Ermessens- und Beurteilungsspielräume dergestalt wahrzunehmen, dass ein Verstoß gegen die völkerrechtlichen Bindungen Deutschlands vermieden wird.

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      Das Verfassungsgebot völkerrechtskonformer Auslegung hat allerdings auch Grenzen. Verwirklichen lässt es sich nur, solange „im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind“ (BVerfGE 111, S. 307 ff, 329). Anders gewendet endet die völkerrechtskonforme Auslegung dort, „wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint“ (BVerfGE 128, S. 326 ff, 371).

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      Gemäß der Vermutung, dass der Gesetzgeber sich in den Grenzen der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands halten will, ist ein später erlassenes Gesetz im Einklang mit einem früheren völkerrechtlichen Vertrag auszulegen (BVerfGE 74, S. 358 ff, 370). Weitergehend wird aus dieser Vermutung aber auch der Schluss zu ziehen sein, dass im Fall einer Normkollision, die sich durch völkerrechtskonforme Auslegung zB mangels entsprechenden Auslegungsspielraums nicht a priori vermeiden lässt, zwischen späterem Gesetz und älterem Vertrag die lex posterior-Regel nicht gilt (ähnlich Sauer, S. 106 f). Vielmehr stellt der frühere völkerrechtliche Vertrag gewissermaßen eine lex specialis gegenüber dem späteren Gesetz dar, welches den früheren Vertrag nach dem zu vermutenden Willen des Gesetzgebers nicht berühren sollte.

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      Anderes gilt dann, wenn der Gesetzgeber in seinem späteren Gesetz den Willen zum Bruch des Völkerrechts, insbesondere eines völkerrechtlichen Vertrags, klar bekundet hat (sog. „treaty override“; s. Rn 837 ff). Dann soll nach dem Willen des Gesetzgebers das spätere Gesetz dem früheren völkerrechtlichen Vertrag nach der lex posterior-Regel vorgehen. Eine solche „Abkommensüberschreibung“ ist allerdings entgegen der Auffassung des BVerfG (BVerfGE 141, S. 1 ff) mit dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit schwer zu vereinbaren (s. Rn 67, 839 f, 892). Denn nach diesem Prinzip sind „die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen“ (BVerfGE 112, S. 1 ff, 26). Der letztlich notwendige Ausgleich zwischen Herrschaft des Rechts (Rechtsstaatsprinzip) und Herrschaft des Volkes (Demokratieprinzip) ist in der Weise herzustellen, dass der jeweilige unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber einen älteren völkerrechtlichen Vertrag nicht einseitig „überschreiben“, sondern das für notwendig erachtete, aber mit dem geltenden völkerrechtlichen Vertrag unvereinbare Gesetz erst nach einer entsprechenden Vertragsänderung (Rn 125 ff) oder -beendigung (Rn 128 ff) oder nur unter Berufung auf völkerrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe (zB als Notstands- oder Gegenmaßnahme, s. Art. 22 und Art. 25 ILC-Artikel über Staatenverantwortlichkeit; Sartorius II, Nr 6) erlassen darf.

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      Mit dem Konzept der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG geht eine erhöhte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte gegenüber den Fachgerichten einher. So unterliegt die fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte der uneingeschränkten Kontrolle des BVerfG. Das Gericht hat das folgendermaßen begründet (BVerfGE 111, S. 307 ff, 328):

      „Allerdings ist das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Zuständigkeit auch dazu berufen, Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch deutsche Gerichte liegen und eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands begründen können, nach Möglichkeit zu verhindern und zu beseitigen (vgl BVerfGE 58, 1 [34]; 59, 63 [89]; 109, 13 [23]). Das Bundesverfassungsgericht steht damit mittelbar im Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts. Aus diesem Grund kann es geboten sein, abweichend von dem herkömmlichen Maßstab die Anwendung und Auslegung völkerrechtlicher Verträge durch die Fachgerichte zu überprüfen.“

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      Das Gebot völkerrechtskonformer Auslegung und Anwendung greift auch für das Verfassungsrecht. Das Grundgesetz ist daher nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (BVerfGE 111, S. 307 ff, 318). Allerdings darf es dadurch nicht zu einer Einschränkung des Grundrechtsschutzes in Deutschland kommen (BVerfGE 74, S. 358 ff, 370; stRspr).

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      Das gilt insbesondere mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention, zumal in ihrer Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (BVerfGE 128, S. 326 ff, 367 f):

      „Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes.“

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      Auch andere internationale Menschenrechtsverträge hat das BVerfG schon als „Auslegungshilfen“ heran- bzw in Erwägung gezogen. Beispiele sind der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Sartorius II, Nr 20; zB BVerfG, NJW 2019, S. 1201 ff, 1206 f), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sartorius II, Nr 21; zB BVerfGE 149, S. 126 ff, 151 f), die UN-Behindertenrechtekonvention (zB BVerfG, NJW 2019, S. 1201 ff, 1206 ff) und die UN-Kinderrechtekonvention (zB BVerfG, NJW 2015, S. 3366 ff, 3367).

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      Darüber hinaus hat das BVerfG internationale menschenrechtliche Standards aus rechtlich


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