Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
etc.), dem Verfahren sowie den übrigen Umständen des Zustandekommens der Regelung auch, wie typisch der geregelte Lebenssachverhalt ist. In häufig auftretenden Konstellationen wird die Behörde eher in Form des Verwaltungsakts handeln, wohingegen sie bei einer atypischen Lage zur Erzielung von interessenausgleichenden Resultaten eher von einer vertraglichen Regelung Gebrauch machen wird.
Beispiel[191]
Unternehmer U produziert in der Stadt S Fertighäuser. Zur Erweiterung seiner Fabrikanlage benötigt U Baugrund, der in S allerdings nur zu sehr hohen Preisen angeboten wird. Deshalb kündigt U in einer Pressekonferenz an, den gesamten Betrieb in eine andere Gemeinde zu verlegen. Um den hierdurch eintretenden Verlust von Arbeitsplätzen sowie von Gewerbesteuereinnahmen zu verhindern, beschließt der Rat von S, dem U eine Gewerbeförderung zum Erwerb eines bestimmten Grundstücks in S zu gewähren. Hierzu legen S und U nach längeren Verhandlungen Folgendes schriftlich nieder: „(1) S verpflichtet sich zur Zahlung von 250 000 € an U. (2) U verpflichtet sich, den vorgenannten Betrag zum Erwerb eines (näher bezeichneten) Grundstücks in S zu verwenden und mit dem erweiterten Teil seines Betriebs mindestens noch 15 Jahre in S ansässig zu bleiben.“ Nach Erhalt der 250 000 € wandert U unter Hinweis auf „zwingende betriebliche Gründe“ gleichwohl mit seinem Betrieb in eine andere Gemeinde ab. S möchte U auf Rückzahlung der Fördersumme in Anspruch nehmen, ist sich aber nicht sicher, ob sie hierfür zuvor noch einen Verwaltungsakt erlassen muss. Europarecht ist nicht zu prüfen.
Als Grundlage für den Rückforderungsanspruch könnte § 346 Abs. 1 i.V.m. § 323 Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 62 S. 2 VwVfG) in Betracht kommen, dessen Geltendmachung nicht vom vorherigen Erlass eines Verwaltungsakts durch S abhängig ist. Dann müsste das von U und S schriftlich Niedergelegte als (privat- oder öffentlich-rechtlicher) Vertrag zu qualifizieren sein. Sollte es sich hierbei dagegen um einen Verwaltungsakt mit Nebenbestimmung – als solche kommt hier i.E. wohl nur eine Auflage i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG in Betracht – handeln, so stünde S der gegenüber U geltend gemachte Anspruch nur dann zu, wenn S diesen zunächst gem. § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 des einschlägigen VwVfG für die Vergangenheit widerruft und den Zuschuss sodann nach dessen § 49a Abs. 1 zurückfordert. Mithin kommt es entscheidend darauf auf, welche dieser beiden Handlungsformen hier vorliegt. Der Annahme eines Verwaltungsakts steht entgegen, dass es sich hier nicht um eine einseitige Maßnahme einer Behörde handelt. Denn neben der beiderseitigen Mitwirkung von S und U sowohl am Abschluss als auch am Inhalt der schriftlichen Niederlegung enthält diese zudem beiderseitig gleichrangige und gegenseitige Pflichten. Also kann S gegenüber U aufgrund des Vertragscharakters der schriftlichen Niederlegung die Rückzahlung der 250 000 € geltend machen, ohne zuvor noch einen Verwaltungsakt erlassen zu müssen.
2. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
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Sofern ein Vertrag vorliegt (Rn. 95 f.), muss das durch diesen begründete, geänderte oder aufgehobene Rechtsverhältnis gem. § 54 S. 1 VwVfG zudem noch ein solches „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ sein (dazu siehe Rn. 23 ff.). Hierdurch wird der öffentlich-rechtliche Vertrag i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG vom privatrechtlichen Vertrag abgegrenzt, der v.a. im Bereich des Haftungsrechts, des Rechtswegs sowie der Vollstreckungsmöglichkeiten anderen Regeln folgt als der öffentlich-rechtliche.
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Praktisch relevant wird diese Differenzierung insbesondere auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung (z.B. Betrieb eines städtischen Schwimmbads), wo die Behörde über ein Wahlrecht zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zum Bürger verfügt und somit letztlich auch zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vertrag wählen kann (Rn. 22; siehe ferner Rn. 20 zum Verwaltungsprivatrecht). Maßgebliches Kriterium für die diesbezügliche Abgrenzung ist allein der Gegenstand des Vertrags, nicht hingegen etwa die Rechtsstellung der an diesem Beteiligten. Um den §§ 54 ff. VwVfG zu unterfallen, muss der wesentliche Inhalt des Vertrags nach objektiven Kriterien darauf gerichtet sein, Rechtsfolgen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts herbeizuführen (z.B. Vollzug öffentlich-rechtlicher Normen, Begründung einer Pflicht der Verwaltung zum Erlass eines Verwaltungsakts).
Hinweis
„Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet. Für die Abgrenzung eines öffentlich-rechtlichen von einem privatrechtlichen Vertrag kommt es daher auf dessen Gegenstand und Zweck an. Die Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist.“[192]
Umstritten ist, was gilt, wenn der Vertrag nur zum Teil dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (z.B. die Behörde verpflichtet sich zur Erteilung eines Dispenses), ansonsten aber Sachbereiche betrifft, die nach Privatrecht zu beurteilen bzw. rechtsgebietsneutral sind (z.B. der Bürger verpflichtet sich zu einer Geldzahlung). Entgegen einer früher vertretenen Auffassung[193], die in derartigen Fällen von einem gemischten bzw. gespaltenen Vertrag mit sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Elementen ausging, weist die in Rechtsprechung[194] und Literatur[195] h.M. darauf hin, dass ein Rechtsverhältnis, d.h. die sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebende rechtliche Beziehung zwischen (mindestens) zwei Rechtssubjekten oder einem Rechtssubjekt zu einer Sache[196], nur einheitlich entweder als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich beurteilt werden kann (Rn. 37). Der gesamte Vertrag – inkl. seines privatrechtlichen Teils – ist daher dann ein solcher i.S.v. § 54 VwVfG, wenn der öffentlich-rechtliche Teil ihm insgesamt das Gepräge gibt (wie im Beispiel des Baudispensvertrags der Fall; Schwerpunkttheorie). Dies gilt auch dann, wenn im Vertrag ausdrücklich nur die Geldzahlungspflicht des Bürgers geregelt wird, nicht dagegen auch die dem Vertrag ggf. seinen öffentlich-rechtlichen Schwerpunkt (Sachzusammenhang) gebende Leistung der Behörde, im Hinblick auf welche die Gegenleistung des Bürgers erfolgt (hinkender Austauschvertrag, siehe Übungsfall Nr. 2). Sind allerdings mehrere, inhaltlich voneinander unabhängige (teilbare) öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Vereinbarungen lediglich rein äußerlich in einer Vertragsurkunde zusammengefasst (z.B. Grundstückskaufvertrag und erschließungsrechtlicher Ablösungsvertrag), so liegt bei der maßgeblichen materiell-rechtlichen Betrachtungsweise in Wahrheit nicht ein einheitliches (entweder öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zu qualifizierendes) Rechtsverhältnis, sondern vielmehr eine entsprechende Vielzahl von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rechtsverhältnissen vor (zusammengesetzter Vertrag).
Beispiel[197]
In einer nicht gesondert kündbaren „Nebenabrede“ zum zwischen dem Angestellten A und dem Bundesland L geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es: „L sichert zu, den A spätestens in 4 Jahren bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen in das Beamtenverhältnis zu berufen. L gewährleistet A mit dem Tage der Begründung des Arbeitsverhältnisses eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften. Für diese Zusicherungen (Vollzeitbeschäftigung als Beamter und entsprechende Altersversorgung unter Anrechnung der Beschäftigung im Angestelltenverhältnis) verpflichtet sich A zu einer Gegenleistung i.H.v. 150 € monatlich. Dieser Betrag wird mit den laufenden Vergütungsansprüchen verrechnet.“ Nach erfolgter Übernahme in das Beamtenverhältnis meint A, die Nebenabrede sei gem. § 59 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m.