Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
Um eine besondere Form der auflösenden Bedingung handelt es sich schließlich bei dem in § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG vorgesehenen Widerrufsvorbehalt[169], wobei dessen nachfolgende Ausübung durch die Behörde, d.h. die Erklärung des Widerrufs mittels gesonderten Verwaltungsakts, das Ereignis ist. Nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwVfG gibt der Vorbehalt des Widerrufs der Verwaltung die Befugnis, den mit dieser Art von Nebenbestimmung versehenen Verwaltungsakt später zu widerrufen (Rn. 329). Zugleich weist der Widerrufsvorbehalt den Adressaten von vornherein auf diese Möglichkeit hin, so dass bei diesem kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des betreffenden Verwaltungsakts zu entstehen vermag, vgl. § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG (Rn. 332).
Beispiel[170]
Z beabsichtigt, auf dem Bürgersteig einer durch die Stadt S führenden Bundesfernstraße einen Zeitungskiosk zu betreiben. Die von ihm nach § 8 Abs. 1 FStrG beantragte Sondernutzungserlaubnis wird mit dem „Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs“ (vgl. § 8 Abs. 2 S. 1 FStrG) erteilt.
87
Mit der Auflage[171] (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG; vgl. auch § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG; Rn. 329) schreibt die Behörde dem durch den betreffenden Verwaltungsakt Begünstigten ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) vor. Sie enthält folglich eine eigene, selbstständig vollstreckbare Sachregelung zusätzlich zu der im Verwaltungsakt ausgesprochenen Hauptregelung (vgl. auch den Gesetzeswortlaut: „verbunden werden mit“) und wird daher ihrerseits als Verwaltungsakt qualifiziert (str.).[172] Gleichwohl ist die Auflage „nur“ eine Nebenbestimmung, da sie von der Hauptregelung inhaltlich wie rechtlich abhängig ist.[173]
Beispiel[174]
In unmittelbarer Nähe des Fußballstadions in M betreibt G eine Gaststätte. Nachdem es infolge Alkoholkonsums in der Gaststätte des G vor Heimspielen des FC M regelmäßig zu schweren Auseinandersetzungen unterschiedlicher Fangruppen und zum „Anpöbeln“ auch unbeteiligter Stadionbesucher gekommen war, erließ die zuständige Behörde eine auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG gestützte Auflage, mit der sie G aufgab, jeweils 2 Stunden vor Beginn bis 3 Stunden nach Beendigung eines Heimspiels des FC M alkoholhaltige Getränke nur bis zu einem maximalen Alkoholgehalt von 3 % auszuschenken.
88
Sind im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts bestimmte Auswirkungen der in diesem getroffenen Regelung zwar denkbar, aber noch nicht eindeutig feststellbar und will sich die Behörde die Möglichkeit vorbehalten, später noch entsprechend reagieren zu können, so kann sie den Verwaltungsakt mit einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage versehen, siehe § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG. Dieser Auflagenvorbehalt[175] dient ebenso wie der Widerrufsvorbehalt dazu, die Entstehung von schutzwürdigem Vertrauen auszuschließen (Rn. 86).
Beispiel[176]
Genehmigung einer Diskothek unter dem Vorbehalt der nachträglichen Ergänzung von Lärmschutzauflagen.
89
Was die Abgrenzung der Nebenbestimmungen untereinander anbelangt, so bereitet insbesondere die Unterscheidung zwischen der aufschiebenden Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG; Rn. 85) und der Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG; Rn. 87) häufig Schwierigkeiten (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung mit dem „Zusatz“, 3 Stellplätze auf dem Grundstück zu errichten). Die inhaltlichen Unterschiede zwischen beiden bestehen darin, dass der mit einer Auflage verbundene Verwaltungsakt sofort und unabhängig davon rechtswirksam ist, ob die Auflage erfüllt wird oder nicht – wohingegen im Fall der aufschiebenden Bedingung der Verwaltungsakt erst mit ihrem Eintritt wirksam wird – und das dem Begünstigten mit einer Auflage vorgeschriebene Verhalten – im Gegensatz zur aufschiebenden Bedingung – von der Behörde im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden (Auflage als Grundverwaltungsakt; Rn. 335 und Rn. 341) bzw. diese den Hauptverwaltungsakt unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG widerrufen kann (Rn. 329).
Hinweis
Klassisch insoweit der von Carl Friedrich von Savigny[177] formulierte Merksatz: „Die Bedingung […] suspendi[e]rt, zwingt aber nicht; der Modus [scil. die Auflage] zwingt, suspendi[e]rt aber nicht.“
90
Ob überhaupt[178] eine und gegebenenfalls welche Art von Nebenbestimmung im konkreten Fall vorliegt, ist im Wege der Auslegung der betreffenden behördlichen Regelung nach ihrem objektiven Erklärungswert zu ermitteln (vgl. Rn. 42 und Rn. 55). Maßgeblich ist deren materieller Gehalt, nicht die formelle Bezeichnung (z.B. als „Auflage“, „Bedingung“) – sofern Letztere überhaupt unter Rückgriff auf die in § 36 Abs. 2 VwVfG verwendeten Termini erfolgt (Negativbeispiele: „Maßgabe“, „Zusatz“ etc.). Die Wortwahl ist vielmehr lediglich ein erstes Indiz dafür, was die Behörde tatsächlich gewollt hat. Selbst hinter einer scheinbar unzweideutig als „Auflage“ bezeichneten Regelung kann sich daher eine Bedingung – oder gar eine Inhaltsbestimmung (Rn. 91) – verbergen bzw. sich eine „auflösende Bedingung“ aus Sicht eines objektiven Empfängers als vorläufiger Zuwendungsbescheid darstellen (Rn. 65).
Eine Bedingung liegt i.d.R. nur dann vor, wenn die Beachtung der jeweiligen behördlichen Verhaltensvorgabe derart bedeutsam ist, dass die Wirksamkeit des Verwaltungsakts mit ihr „steht oder fällt“[179]. Im Zweifel ist daher grundsätzlich von einer Auflage auszugehen, da diese sich aufgrund ihrer selbstständigen Durchsetzbarkeit sowohl für die Behörde als auch angesichts der von ihr unberührt bleibenden Wirksamkeit des Verwaltungsakts für den Betroffenen als die günstigere Maßnahme darstellt. Abweichendes gilt freilich dann, wenn eine dieser beiden Arten von Nebenbestimmungen im Einzelfall unzulässig sein sollte. In einem solchen Fall ist im Zweifel nämlich davon auszugehen, dass die Behörde sich rechtmäßig verhalten, d.h. die allein zulässige Nebenbestimmung gewählt hat.
Beispiel[180]
G beabsichtigt, in der Bonner Südstadt eine Gaststätte zu betreiben und beantragt daher bei der zuständigen Behörde eine entsprechende Erlaubnis. Diese wird ihm auch erteilt, allerdings mit der „Maßgabe“
a) | die bisher allein bestehende Unisex-Toilette durch zehn getrennte Toilettenanlagen für Frauen und Männer zu ersetzen; |
b) | über die neun bereits vorhandenen Toiletten hinaus noch eine weitere zu errichten. |
In Fall a) ist bislang keine (angemessene) Toilettenanlage vorhanden. Bis diese eingebaut wird, soll die Gaststätte nach dem Willen der Behörde nicht in Betrieb gehen. Bei der „Maßgabe“ handelt es sich daher um eine aufschiebende Bedingung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW. Anders dagegen in Konstellation b). In Anbetracht der neun bereits existierenden Toilettenanlagen besitzt die „Maßgabe“ der Errichtung einer weiteren Toilette hier für die Behörde nicht dieselbe Bedeutung wie in Fall a). Insoweit handelt es sich nur um eine Auflage i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW.
91
Von den